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Was ist ein "Nazi"? - Am Beispiel von Albert Massiczek

Wolfgang Neugebauer / Christine Schindler / Peter Schwarz

Replik auf Albrecht K. Konecnys Beitrag in der Zukunft (Ausgabe April 2007)

 

Prof. Albrecht K. Konecny hat sich in der diesjährigen April-Ausgabe der Zukunft mit unserem vom BSA herausgegebenen Buch "Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten" eingehend auseinandergesetzt, wobei er im Großen und Ganzen die Ergebnisse unserer Studie positiv einschätzt und nur punktuell in durchaus sachlicher und fairer Weise Kritik übt. Seine Beanstandung zielt hauptsächlich auf den Umstand, dass Dr. Albert Massiczek in unserem Buch als Fallbeispiel für jene ehemaligen Nationalsozialisten vertreten ist, die dem BSA beitraten und mit dessen Hilfe beruflich reüssierten. Konecny stellt im Zusammenhang mit dem Fall Massiczek die Frage, was denn eigentlich ein "Nazi" ist. Und er gibt zwei alternative Definitionen zur Antwort: Man könne "Nazi" als eine unbehandelbare Infektionskrankheit oder aber als korrigierbaren "Sündenfall" auffassen. Während er in Bezug auf Massiczek uns die erste Sichtweise unterstellt, reklamiert er die zweite für sich: Seiner Darstellung nach befreite sich Massiczek letztlich aus "dem 'Dunstkreis' seiner NS-Verstrickung". Hier sei kurz angemerkt: Selbst wenn es sich im Fall Massiczek so verhielte, wäre es uns nicht möglich gewesen, einen später revidierbaren "nazistischen Sündenfall" in unserer Studie a priori unter den Teppich zu kehren, zumal das BSA-Projekt auf die Erfassung des gesamten Prozesses der Integration ehemaliger Nationalsozialisten abzielte.

 

Was ist ein "Nazi"? Unsere Position

 

Als (ehemalige) Nationalsozialisten haben wir - in Konkordanz mit dem NS-Parteirecht (vor 1945) sowie den gesetzlichen Bestimmungen der Entnazifizierung im Nachkriegsösterreich (Nationalsozialistengesetz bzw. Verbotsgesetz 1945) - jene Personen qualifiziert, die der NSDAP und/oder einer ihrer Gliederungen angehört hatten. Das heißt, es wurden nicht nur schwer belastete ehemalige Nationalsozialisten, sondern u. a. auch harmlosere Fälle berücksichtigt, die wie Günter Haiden lediglich eine nominelle NS-Parteimitgliedschaft aufwiesen und eher den Typus des Mitläufers repräsentierten. Deren politisch-gesellschaftliche Reintegration haben wir auch aus heutiger Sicht für vertretbar gehalten. Demgegenüber haben wir die Integrationspolitik seitens des BSA in einer Reihe von schwerst belasteten ehemaligen Nationalsozialisten einer scharfen Kritik unterzogen. Die Grundlage für unsere wissenschaftliche Beurteilung bildeten im Übrigen die Beschlüsse des BSA-Bundesausschusses vom Mai 1949, nämlich bei der Mitgliederaufnahme analog zur staatlichen Entnazifizierung zwischen belasteten und minderbelasteten Nationalsozialisten zu unterscheiden und damit den jüngeren, einfachen Nationalsozialisten ohne Verbrechensinvolvierung eine Umkehr zu ermöglichen und nur die verbrecherischen Nationalsozialisten dauerhaft auszuschließen. Der "Sündenfall" des BSA bestand nach unserem Ermessen darin, diese Linie - wie die Fälle Heinrich Gross, Heinrich Kunnert oder Walter Lillich zeigen - nicht eingehalten zu haben. Günter Haiden zählt ganz sicher nicht zur Gruppe der belasteten Nazis, sondern gehört - wie Theodor Kery oder Karl Kunst - vielmehr zu jenem Personenkreis, dessen Reintegration in die Sozialdemokratie zulässig war. Zur Sichtbarmachung des Phänomens in seiner gesamten Dimension war aber auch die Aufzählung dieser Personen erforderlich - abgesehen davon, dass ein Verschweigen der NS-Vergangenheit von sozialdemokratischen Spitzenpolitikern erst recht auf berechtigte Kritik gestoßen wäre.

 

Albert Massiczek: Überzeugter Nationalsozialist - wie lange?

 

Zu Albert Massiczek fördert der BSA-Bericht nichts zutage, was Massiczek nicht selbst - aufgrund erhalten gebliebener Beweise - zugeben musste und u. a. in seinen beiden Autobiografien (in der Folge zitiert als I und II) einbekannt hat. Massiczeks nationalsozialistisches Engagement beginnt bereits 1933 in der verbotenen Hitlerjugend, innerhalb derer er zum Stammführer und Fähnleinführer avanciert. 1935 wird Massiczek wegen seiner illegalen nationalsozialistischen Betätigung kurzfristig verhaftet. Ab 1936 ist er Mitglied des NSD-Studentenbundes und wird in der Folge Kameradschaftsführer. 1937 tritt er der NSDAP und SS bei und ist somit ein "Alter Kämpfer" nach dem "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland und als ehemaliger "Illegaler" ein Hochverräter nach dem Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945. In diesen Jahren des so genannten Ständestaates (1933/34-38), als die Arbeiterbewegung um Demokratie und Österreich um seine Unabhängigkeit gegenüber Nazideutschland ringen, fordern die Terrorakte der illegalen Nationalsozialisten rund 170 Tote und Hunderte Verletzte in Österreich.

 

Bereits 1937 will Massiczek von der NS-Bewegung desillusioniert gewesen sein und tritt dennoch im selben Jahr der SS bei, denn "die SS war in meinen Augen eine elitäre Formation" (I, 158). Noch ernüchternder beschreibt er den "Anschluss" Österreichs an Hitlerdeutschland - "erblickte ich um mich nur Mächtigere" (II, 18) -, den er in der Uniform eines SS-Mannes erlebt. Auch diese zweite Desillusionierung geht seltsame Wege: Massiczek tritt noch 1938 dem Sicherheitsdienst (SD) der SS bei, dessen Aufgaben insbesondere Bespitzelung und Bekämpfung politischer GegnerInnen und der jüdischen Bevölkerung sowie weltanschauliche Schulung sind. Nach fünf Jahren politischer Schulung und NS-Karriere will Massiczek Funktion und Aufgabe des Sicherheitsdienstes nicht gekannt haben. Die Tätigkeit eines V-Mannes, eines Spitzels wird ihm angeboten. 1939 wird Massiczek in die Liste der V-Männer des SD aufgenommen. (II, 51 f.) Für seine SD-Beobachtungstätigkeit existieren Belege, bedauert Massiczek. So gibt er kritische Beurteilungen über drei Professoren der Universität Wien an den SD-Berlin weiter. (II, 50 f.) Ebenso erhalten geblieben sind seine Charakterisierung durch den NSD-Studentenbund als "politisch bereits sehr verdient" und "für jeden Einsatz geeignet" (1939) und der NSDAP-Gaupersonalakt, der ihn 1942 einen "treuen opferfreudigen Kameraden" und "politisch vollkommen einwandfrei" nennt.

 

Zum zentralen Ereignis, zu einer Art "Turning point" seiner Einstellung zum Nationalsozialismus erhebt Massiczek den Novemberpogrom 1938 an den österreichischen Juden und Jüdinnen: "Es geschah [...] nicht aus Gründen der Opportunität, dass ich damals die Front wechselte"; "regimefeindliche Umtriebe" schreibt sich Massiczek für diese Nacht zu (I, 173), "dass ich auch diesmal unentdeckt blieb" (I, 178), "gemeutert" (I, 180) und "Befehlsverweigerung und Sabotage" betrieben habe (II, 61), führt er weiter aus. Fakt ist, dass er bis zum Morgen als SS-Mann an den Pogromen teilnimmt. Er dringt in jüdische Wohnungen ein, bewacht die verängstigten Menschen und deren auch von ihm zum Raub aufgehäuften Wertsachen und Habseligkeiten, begleitet einen Juden zur Polizei - ein SS-Mann begleitet in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen Juden zur Polizei, ist der Begriff "Verhaftung" nicht der einzig passende? - und alleine durch seine Anwesenheit terrorisiert er auch. (I, 177 f.) Ein Kamerad "bewundert" seine "Erfahrung und Selbständigkeit als Demolierer" (I, 177).

 

Widerstand?

 

Massiczeks Selbsteinschätzung als Widerstandskämpfer kann man gerade durch und nach Lektüre seiner beiden von Konecny angeführten Autobiografien nicht folgen. Bestenfalls findet man einen Rückzug in eine nebulose innere Emigration. Die Fakten sprechen eine deutlich andere Sprache.

 

Auf der Suche nach dem Widerstand, den Massiczek am Ende seiner ersten Autobiografie als Sabotage, Wehrkraftzersetzung und anderes Schwerwiegende ankündigt, finden sich in seiner zweiten Autobiografie im Gegenteil unter anderem seine Mithilfe bei der Bewachung Schuschniggs (II, 21), seine Wachdienste im Polizeigefängnis Elisabethpromenade (II, 22), die Ausweiskontrolle von PassantInnen im ersten Wiener Gemeindebezirk (II, 23), das Eindringen in das Haus des geflüchteten Heimwehrführers Starhemberg - Massiczek nennt es ein "Volksstück von besonderem Reiz" (II, 25) - sowie die Einschüchterung des anwesenden Dieners, die Besetzung des "arisierten" Palais Rothschild, in dem später Eichmanns "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" zur Beraubung und Vertreibung der österreichischen Juden und Jüdinnen untergebracht wurde (II, 25).

 

Massiczek beruft sich auf Bekanntschaften wie seinen Studienkollegen Friedrich Heer und andere RegimekritikerInnen. Massiczek, Träger des silbernen Ehrenzeichens der SS, pflegt auch andere Freundschaften: Ein neuer Freund etwa - "wir empfanden sofort Sympathie füreinander" (II, 33) -, seines Zeichens Sprengstoffattentäter in der Zeit des "Ständestaates" und Blutordensträger der SS ("Auszeichnung für NS-Märtyrer" [II, 33] schreibt Massiczek 1989), ist Mitglied der Gauleitung Wien der NSDAP.

 

In dieser Zeit will Massiczek auf Aufforderung seines Bekannten Viktor Reimann - gleichfalls Mitglied der NSDAP, später Mitbegründer und Abgeordneter des VdU und 1974 Verfasser der berüchtigten Artikelserie "Die Juden in Österreich" in der Neuen Kronen Zeitung - der Widerstandsgruppe um Roman Karl Scholz beigetreten sein (u. a. II, 41), lässt sich aber nicht in die Mitgliedsliste aufnehmen (II, 60) und wird auch nicht wie alle anderen AktivistInnen "vereidigt". Otto Hartmann, dem späteren Verräter der Gruppe, ist Massiczek "vermutlich einmal flüchtig begegnet" (II, 41 f.). Durch Hartmann fliegt die Widerstandsgruppe auf, Scholz und andere werden hingerichtet, viele landen in Gefängnis und KZ, Massiczek als Einziger bleibt unbehelligt. Am 21. Februar 2007 schreibt der wegen Zugehörigkeit zur Scholz-Gruppe gerichtlich verurteilte Widerstandskämpfer Hofrat Dr. Herbert Crammer an Wolfgang Neugebauer: "Dr. Massiczek […] hat nicht als Mitglied zur Scholzgruppe gehört! Ich verfüge nicht über die geringsten Anhaltspunkte dafür. […] Hartmann (der Verräter) hätte von ihm als Mitglied sicherlich gewusst; da wäre M. aber ebenso sicher von der Verhaftungswelle ab Juli 1940 erfasst worden!" Auch die von Massiczek als Zeugin für seine Zugehörigkeit zur Scholz-Gruppe angeführte Hedwig Bodenstein hat gegenüber Wolfgang Neugebauer eine solche Mitgliedschaft bestritten. Tatsächlich fehlen konkrete Beschreibungen der Widerstandstätigkeiten - immerhin das Thema der Autobiografien -, so sie überhaupt vorhanden sind. Die wenigen nachprüfbaren Aussagen darüber sind zu widerlegen: Eindeutig falsch ist sein Kontakt zu dem kommunistischen Widerstandskämpfer Rabofsky, wie er ihn schildert (II, 47 f.), denn Alfred Rabofsky ist entgegen Massiczeks Ausführungen erst am 16. 6. 1943 verhaftet worden, also konnte sein Bruder Eduard Rabofsky Massiczek nicht im Januar 1939 um Hilfe bei seiner Freilassung ersuchen. Auch lernt Friedrich Heer Eduard Rabofsky im Spätherbst 1940 kennen und kann daher Massiczek und Rabofsky nicht über ein Jahr zuvor einander vorstellen.

 

Gehorsam und Engagement bis zuletzt

 

Im April 1940 kommt Massiczek zur Wehrmacht und nach Rumänien, Polen und an die sowjetische Front, wird verletzt, verliert ein Auge und kommt im November 1941 zurück nach Wien. An der Front "schießt er zu hoch" (II, 88; II, 92) und erhält das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, das Silberne Verwundetenabzeichen und das Panzer-Sturmabzeichen (II, 101).

 

Nach der Rückkehr von der Front wird Massiczek im Wiener Kriegsblindenlazarett eingesetzt, um den Blinden "Nationalpolitischen Unterricht" zu erteilen, diniert beim damaligen Höheren SS- und Polizeiführer Ernst Kaltenbrunner, der 1946 als einer der Hauptkriegsverbrecher hingerichtet wird. Im September 1942 wird Massiczek Bibliotheksreferendar an der Österreichischen Nationalbibliothek, setzt aber seinen "Nationalpolitischen Unterricht" fort. Statt Hitlers "Mein Kampf" mag er den Blinden tatsächlich anderes vorgelesen haben, allerdings NS-konform waren diese Texte allemal, so die Sage vom germanischen Helden Wieland der Schmied und auch die Werke des Nationalsozialisten Josef Weinheber. Er berichtet von regimekritischen Äußerungen, derentwegen er denunziert wird - jedoch: die Denunzianten selbst werden arretiert. (II, 118 f.) Massiczek wird noch in dieser Zeit zum verantwortlichen Leiter eines Teillazaretts befördert. Am 3. April 1945 ist Abmarsch, Flucht vor den Alliierten in den Westen. Als selbst Teile der Deutschen Wehrmacht versuchen, die Stadt Wien kampflos der Roten Armee zu übergeben, und sich allerorten Widerstandsgruppen bilden, gehorcht Massiczek dem Evakuierungsbefehl.

 

"Entnazifizierung"

 

Massiczek hat nach der Befreiung große Probleme, Zeugen seines vermeintlichen Widerstandes zu finden; Bekannte wenden sich ab oder erstarren, wenn sie von seiner SD-Mitgliedschaft erfahren (II, 138f f.). In einer Zeit der so genannten "Persilscheine" - entlastende Bescheinigungen für Nationalsozialisten - findet er kaum jemanden, der glaubwürdig für ihn einsteht.

 

Der von Konecny als Zeuge zitierte 1946 in Australien geborene Peter Singer - ein umstrittener Protagonist einer neuen Kindereuthanasie - benützte für die Darstellung Massiczeks in der Biografie über seinen Großvater Ernst Oppenheim ausschließlich Massiczeks eigene mündliche und schriftliche Äußerungen. Mangels Einbeziehung weiterer Quellen, Dokumente, Zeugenaussagen können Singers Passagen über Massiczek daher in keiner Weise als verlässliches Zeugnis herangezogen werden. Das betrifft insbesondere Massiczeks Tätigkeit in der Widerstandsgruppe Roman Scholz, die von Ernst Oppenheim nicht überliefert sein kann. In der Tat hatte Massiczek Kontakt zur jüdischen Familie Oppenheim - Amalie Oppenheim überlebt Theresienstadt, wo ihr Gatte umkommt -, inwieweit dieser Kontakt des SS-Mannes zu einer jüdischen Familie in eliminatorisch-antisemitischer Zeit sein späteres philosemitisches Weltbild mitbeeinflusst haben mag, wäre eher eine Frage an die Psychologie. Es ist ein bemerkenswerter Umstand, dass solche Einzelkontakte von Nationalsozialisten zu jüdischen Bekannten öfter bestanden und mit antisemitischen Denk- und Handlungsweisen nicht zwangsläufig inkompatibel sein mussten.

 

Im Registrierungsblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten gemäß Verbotsgesetz 1947 gibt Massiczek noch seine NSDAP- und SS-Mitgliedschaften bis 1945 an. Die Alliierten hatten 1945 in Nürnberg die SS und den SD in die Liste verbrecherischer Organisationen aufgenommen, deren Mitglieder auf Grund ihrer Zugehörigkeit gerichtlicher Verfolgung und Bestrafung unterliegen sollten. Aufgrund der zahllosen Gräueltaten dieser Organisationen wurde ihr verbrecherischer Charakter für jedes Gerichtsverfahren als erwiesen angenommen. 1950 beantragt Massiczek - erfolgreich - die Streichung seiner Eintragung als SS-Angehöriger, mit der Behauptung, er sei nie bei der SS gewesen, was er nicht nur zuvor im erwähnten Registrierungsblatt angegeben hatte, sondern in späteren Jahren geradezu öffentlich hervorstreichen sollte. Zur selben Zeit tritt er dem BSA bei.

 

Im Kampf gegen das DÖW

 

Im Zuge der 1986 einsetzenden Waldheim-Kontroverse hat Albert Massiczek als Generalsekretär der Österreichischen Widerstandsbewegung (ÖW) Positionen eingenommen, die mit Antifaschismus und sozialdemokratischer Gesinnung nichts zu tun hatten. 1987 sah sich die Leitung des DÖW (Hubert Pfoch, Wolfgang Neugebauer) aufgrund von Verwechslungen und Protesten gezwungen, sich von einer Publikation der ÖW zu distanzieren, in der zwecks Entlastung des Schuschnigg-Regimes eine pro-faschistische und pro-nazistische Haltung maßgeblicher britischer Politiker und eine Mitschuld Großbritanniens am Untergang Österreichs 1938 konstruiert wurden. So wurde z. B. der britische Premierminister Chamberlain als "Kumpane Hitlers" bezeichnet. Der Broschüre lag die Absicht zugrunde, den Briten das moralische Recht abzusprechen, Österreichs Haltung zum Nationalsozialismus kritisch zu beurteilen. Die Reaktion der Repräsentanten der ÖW, des Ex-Kommunisten Bruno Czermak als Präsident und des Ex-Nazi Albert Massizek als Generalsekretär, war ausgesprochen bösartig. In einer 1991 erschienenen Publikation forderten sie die Auflösung des "kommunistisch dominierten, politisierenden privaten Archivs" DÖW und die Integration von dessen Beständen in das Staatsarchiv. Die Forderungen stießen auf den Beifall sowohl des führenden österreichischen Neonazis Gerd Honsik als auch der Haider-FPÖ. Während der inzwischen gerichtlich verurteilte und nach Spanien geflüchtete Honsik 1991 in seiner Zeitschrift "Halt" unter Berufung auf die ÖW die Auflösung des DÖW verlangte, verfassten FPÖ-Abgeordnete mehrere parlamentarische Anfragen betreffend "kommunistische Umtriebe" im DÖW, in denen gleichfalls unter wortwörtlicher Übernahme von Formulierungen des ÖW-Pamphlets das Ende des DÖW gefordert wurde. Das Material hatte - wie später ausgetretene FPÖ-Abgeordnete mitteilten - die Führung der ÖW geliefert.

 

Höhepunkt dieser Kooperation mit der Haider-FPÖ war ein von Rechtsanwalt Dr. Dieter Böhmdorfer initiiertes Streitgespräch zwischen dem damaligen DÖW-Leiter Wolfgang Neugebauer und dem FPÖ-Obmann Jörg Haider am 30. 9. 1993 im Hotel Hilton, bei dem im Wesentlichen nur FPÖ-Spitzenfunktionäre anwesend waren. Auf Einladung der FPÖ-Seite erschienen aber auch die ÖW-Funktionäre Czermak und Massiczek und attackierten zum Gaudium der anwesenden FPÖ-Spitze das "kommunistische" DÖW. Diese Parteinahme für die FPÖ und gegen das DÖW - zu einem Zeitpunkt, zu dem gerichtliche Auseinandersetzungen um das "Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus" stattfanden - hat zur Abwendung wichtiger ÖW-Funktionäre, u. a. Simon Wiesenthal, Alfred Ströer und Erwin Lanc, und letztlich zum Niedergang der einst verdienstvollen ÖW geführt.

 

Resümee

 

Albert Massiczek hatte in der Tat lange Zeit ein sehr positives Image: als geläuterter Nationalsozialist und aktiver Antifaschist im Rahmen der SPÖ und der Österreichischen Widerstandsbewegung; auch der Mitautor Wolfgang Neugebauer war als sozialistischer Student von seinem Auftreten bei Veranstaltungen und Kundgebungen beeindruckt. Albrecht K. Konecny hat aber offenbar die in der zweiten Hälfte der 80er Jahre vollzogene Haltungsänderung Massiczeks nicht registriert. Wir haben dabei weniger Massiczeks Ausscheiden aus dem BSA und seine Abkehr von der Sozialdemokratie vor Augen, als vielmehr seine Annäherung an reaktionäre Geschichtsauffassungen bzw. an die Haider-FPÖ sowie seinen von primitivem Antikommunismus geprägten Kampf gegen das DÖW. In einer Gesamtbeurteilung des Lebenswerkes sollten all diese Metamorphosen Berücksichtigung finden. Die Einschätzung Albert Massiczeks als "Lehrer des Antifaschismus", dem durch die BSA-Studie Unrecht angetan worden wäre, kann jedenfalls aus unserer Sicht nicht aufrechterhalten werden.

 

Literatur

 

Wolfgang Neugebauer / Peter Schwarz, Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, hrsg. v. Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und KünstlerInnen, Wien 2005.

Albert Massiczek, Ich war Nazi. Faszination, Ernüchterung, Bruch. Ein Lebensbericht (1916- 1938), Wien 1988.

Albert Massiczek, Ich habe nur meine Pflicht erfüllt. Von der SS in den Widerstand. Ein Lebensbericht: Zweiter Teil, Wien 1989.

Interview von Dr. Konstantin Kaiser mit Dr. Albert Massiczek 1985, DÖW-Interviewsammlung 271.

Peter Singer, Mein Großvater. Die Tragödie der Juden von Wien, Leipzig 2005.

Gerhard Oberkofler, Eduard Rabofsky. Jurist der Arbeiterklasse. Eine Biografie, Wien 1997.

 

 

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