Wilhelm Schlesinger, geb. 1910 in Wien. Medizinstudium. Nach dem "Anschluss" Flucht über die Schweiz nach Frankreich, Ende 1941 verhaftet und den Deutschen übergeben. Deportation nach Auschwitz, später Überstellung nach Groß-Rosen und Buchenwald.
Nach der Befreiung 1945 Rückkehr nach Wien.
Verstorben 1992.
Das Vorstechendste nach dem "Anschluss" war, dass ich von Gesandtschaft zur Gesandtschaft gelaufen bin, voller Angst, dass man mich holt und dass man mich hoppnimmt, was man dann ja auch getan hat, und um ein Visum gefleht habe. Ich habe nirgends eines bekommen. 1938 habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt. Ich habe ja kaum studiert, sondern ich habe Geld verdient. Von zu Hause habe ich ja nichts genommen. Ich bin zu Hause gesessen, wenn ich nicht zu einem Konsulat gegangen bin, was halbe Tage, dreiviertel Tage gebraucht hat. Zu Hause sind wir jämmerlich beschissen dagesessen. Es kamen immer wieder kleinere Horden von Nazis und haben uns aus der Wohnung geholt. Wir mussten mit bloßen Händen oder mit Zahnbürsten Embleme oder Parolen der Vaterländischen Front von der Straße waschen und wurden dabei bespuckt und geschlagen.
Ich bin nicht nur zu einer "Reibkolonne", sondern zu Dutzenden geholt worden. Ich bin auch in den Augarten geholt worden, zu "Turnübungen", wir mussten bis zur Erschöpfung turnen und wurden dabei geschlagen. All diese Sachen habe ich zur Genüge kennen gelernt. Fast täglich bin ich geholt worden. Wir haben im Haus sehr viele Nazis gehabt, nach dem Krieg habe ich viele wieder getroffen. Die haben uns geholt. Zum Großteil waren es Hausbewohner, gemeinsam mit anderen Nazis aus der Straße. Es waren richtige Horden, haben die Türe fast eingeschlagen. Wenn Besuch bei uns war, das gab es auch, ist der mitgegangen zum Waschen. Einmal, kann ich mich erinnern, bin ich von einem Mitglied meines Schachklubs geholt worden. Manchmal haben wir, mein Bruder und ich, mit zwei anderen Leuten Tarock gespielt, und dann sind alle, die ganze Tarockpartie, waschen gegangen.
Ich bin dann ausgezogen aus meiner Wohnung, weil ich Angst gehabt habe, dass sie mich immer wieder suchen und holen. Ich bin in die Rueppgasse gezogen zu einem Bekannte. Der hat in der Rueppgasse 1 gewohnt, in einem Haus, in dem die Hitlerjugend war. Dort hatte ich Ruhe. Eine Woche oder zehn Tage habe ich dort gewohnt, und nach Erledigung dieser vielen Formalitäten bin ich mit dem, was ich am Leib gehabt habe, bei Hohenems über den Rhein in die Schweiz geflüchtet.