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Fritz Bock: Gegeneinander ist nie etwas herausgekommen

Fritz Bock, geb. 1911, Jusstudium in Wien, Promotion 1935, beruflich als Wirtschafttreuhänder und Steuerberater tätig. Funktionär des Reichsbunds der katholischen deutschen Jugend Österreichs sowie der Vaterländischen Front, ab 1936 Stellvertretender Bundeswerbeleiter der Vaterländischen Front. Verhaftung im März 1938, am 1. April in das KZ Dachau überstellt, nach seiner Haftentlassung (Anfang 1939) unter polizeilicher Aufsicht, Kontakte zur Widerstandsorganisation "O5". Anfang 1945 Flucht mit falschen Papieren ins Innviertel, wo er das Kriegsende erlebte.

Gründungsmitglied der ÖVP, seit 1945 im Bundesparteivorstand der ÖVP, 1945-1947 Geschäftsführer im Generalsekretariat der ÖVP, 1947-1953 Generalsekretär des ÖAAB, 1952-1955 Staatssekretär im Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau, 1955-1956 Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, 1956-1966 Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, 1966-1968 Vizekanzler und Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie, 1969-1989 Präsident der Creditanstalt-Bankverein. Mitbegründer und Vizepräsident, zuletzt Ehrenpräsident des DÖW.

Verstorben 1993.

 

 

Fritz Bock, als Stellvertretender Bundeswerbeleiter der Vaterländischen Front (VF] insbesondere bei der Vorbereitung der für den 13. März 1938 geplanten Volksbefragung aktiv, wurde am 1. April 1938 mit dem sogenannten Prominententransport in das KZ Dachau überstellt.

 

Bis Sommer [1938] waren drei oder vier Österreichertransporte. Als wir uns halbwegs "derappelt" haben, haben wir, wenn hiezu Gelegenheit war, z. B. am Sonntagnachmittag, wenn keine Arbeit war - das war fast ein Ausnahmefall, es war immer Arbeit - und wir auf der Dachauer Lagerstraße ungehindert spazieren gehen konnten, haben wir Österreicher von nichts anderem geredet als was wir machen werden, wenn Österreich frei sein wird und wir dann Österreich wiederaufbauen. Skurril: Sommer 1938! Wer hat da an die Wiederherstellung Österreichs gedacht? Wir haben gar keinen anderen Gedanken gehabt: Wenn Österreich frei sein sollte und wenn wir es erleben - man hat ja nicht gewusst, ob man den nächsten Vormittag erlebt -, dann werden wir, und zwar mit der linken Seite - [Franz] Olah, [Alexander] Eifler und wie sie alle geheißen haben vom ersten Transport - miteinander Österreich aufbauen. Da haben wir mündlich Konzepte entworfen. Ich erinnere mich an ein Gespräch: Was machen wir mit der Jugend? Wir haben ja schon in der ständisch-autoritären Zeit so etwas wie eine Staatsjugend gehabt, die ist hervorgegangen aus dem Jungvolk vom Heimatschutz [Jung-Vaterland] und vor allem auch aus dem Reichsbund [Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs], aus dem ja viele von uns gekommen sind. Machen wir wieder so etwas wie eine Staatsjugend, oder passt das in eine Demokratie nicht hinein? Wir haben die Frage nicht beantwortet, aber wir haben darüber diskutiert. [...] Wir haben ein zweites Gesprächsthema gehabt, das war die wirtschaftliche Gestaltung. [...] Über solche Probleme haben wir uns unterhalten und dann natürlich über die Frage, wie kann man ökonomisch richtig die kommende autonome, souveräne österreichische Wirtschaft aus der deutschen herauslösen. Darauf konnten wir natürlich überhaupt keine Antwort geben, denn wir haben ja nicht gewusst, wenn Österreich frei sein wird, unter welchen Umständen. [...] Da haben die ökonomisch Geschulten dann Modelle entworfen, das war natürlich reine Theorie; manches ist dann schon realisiert worden. Also über diese und ähnliche Punkte haben wir uns, wenn hiezu Gelegenheit gewesen ist, unterhalten - natürlich nur im vertraulichen Kreis der Österreicher und da auch nicht mit allen; nur die wirklich Standfesten und politisch Engagierten.

 

Eine solche Zeit überlebt man nur dann halbwegs, wenn man sich auf die unverbrüchliche Kameradschaft seiner Miteingesperrten verlassen kann. Na, in einem deutschen KZ war das überhaupt die Grundlage der Chance zu überleben. Es war also die Kameradschaft unter allen, von links nach rechts, eine, die es sonst kaum gibt auf der Welt; und ist einer "ausgesprungen" - ich hab' so etwas nicht erlebt, ich weiß es aus anderen Quellen -, so hat er nicht überlebt, da haben sogar die Gefangenen dafür gesorgt; sie haben ihn nicht selber umgebracht, aber dafür gesorgt, dass er nicht überlebt. Sehr einfach: Der Lagerkapo, wie er geheißen hat, das war die oberste Verwaltungsinstanz unter den Gefangenen, hat ihn halt dann zum Kiesgrubenkommando hinschreiben lassen - das war meistens tödlich. Einmal hat die SS z. B. in eine Betonmischmaschine, wie sie gelaufen ist, einen Gefangenen hineingeschmissen, der kam dann mit dem Beton vermischt unten wieder heraus. So war's. Sonst haben wir - vor allem unter den Verhältnissen eines deutschen Konzentrationslagers - wie Pech und Schwefel zusammengehalten. Das war das eine; ich würde sagen, das ist die moralische Grundlage gewesen. Das zweite war, dass wir gesagt haben, gegeneinander ist nie etwas herausgekommen in Österreich, das war immer schlecht. Wir werden gemeinsam arbeiten, wenn wir die Demokratie wieder rekonstruieren können, nach der politischen Kräfteverteilung, wie sie der Wähler zu bestimmen hat. [...] Also es war der unbedingte Wille, es gemeinsam zu machen. [...]

 

Anfang 1939 wurde Fritz Bock wegen Haftunfähigkeit aus dem KZ Dachau entlassen und kehrte nach Wien zurück.

 

Wir haben alle später unseren Hausnazi gehabt. Wissen Sie, was das ist, ein Hausnazi? Ein Hausnazi war ein kleiner oder unterer Funktionär der NSDAP, dem auf einmal so Ende 1943, Anfang 1944 ein Licht aufgegangen ist: Der Hitler wird den Krieg ja doch nicht gewinnen, oje, oje, was wird nachher mit mir sein. Da haben sich diese Leute an politisch Verfolgte herangemacht und haben gesagt: "Sie sind gefährdet. Wenn Sie noch einmal in Gefahr kommen, werde ich versuchen, Ihnen zu helfen." Das war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Was war seine Absicht? Dass er nach dem Ende sagen kann: Bitte, ich war ja eh nicht so. Mein Hausnazi war der Ortsgruppenleiter von Unterdöbling, ein NS-Funktionär aus Hamburg, der nach der Okkupation Österreichs hier nach Wien versetzt wurde wie tausend andere. [...] Er ist eines Tages bei mir aufgetaucht. Wir haben ein "Geschäftsgespräch" geführt. Anfang 1945 - ich war allein in meiner Wohnung, meine Frau ist aus Bombengründen mit dem damals kleinen Buben schon in Oberösterreich gewesen - wach' ich auf, genau um halb eins, so was merkt man sich bis ins Alter, hör' ich, wie am Haustor gerüttelt wird, ich hab' im 2. Stock gewohnt. Man hat einen sechsten Sinn. Ich habe gewusst, das gilt mir. Und dann läutet es an meiner Tür. Ich geh' zur Türe, stelle mich aber - Praxis der Konspiration - nicht vor die Türe, sondern daneben, denn wenn der reinschießt, muss er mich ja nicht gleich erwischen. Wer ist draußen? Mein Hausnazi! "Sie, fahren Sie ab. Sie sind für heute nacht zur Verhaftung ausgeschrieben." Das hing zusammen mit dem Juli 1944, wo man im ganzen Reich drei Gruppen ehemals politisch Verfolgter gebildet hat. Die erste Gruppe waren die ganz schweren Fälle, die zweite waren die leichteren Fälle und die dritte waren auch noch Prominente, aber die ganz leichten Fälle. Man konnte sie damals im Jahr 1944 gar nicht alle verhaften, weil sie nicht mehr genug Leute gehabt haben, und das hat mir schon mein Hausnazi vorher gesagt: "Sie sind in der dritten Gruppe, ich werde Sie verständigen." Er hat mich also verständigt. So schnell war ich in meinem Leben noch nicht angezogen! In einem Nebenhaus war ein Fahrrad mit Rucksack usw. vorbereitet. Ich bin auf abenteuerlichem, sehr lange dauerndem Weg in die Nähe von Schärding zu meiner Frau hinauf, dort hat man mich nicht gekannt. [...]

 

1946 bekomme ich vom amerikanischen Entnazifizierungsgericht in Hamburg einen Schrieb mit einem mehrseitigen Fragebogen, wo nach allem gefragt wurde. Es war folgendes: Mein Hausnazi steht dort als Ortsgruppenleiter vor Gericht, Pauschalstrafe: zwei Jahre. Er beruft sich aber darauf, dass er mir geholfen hat. Ich war glücklich, dass ich mich jetzt bedanken konnte, und füll' den Fragebogen hinten und vorne aus und schreib' zum Schluss die Geschichte gekürzt, wie es wirklich gewesen ist, und schreib' dann noch hinein, ich bin ihm außerordentlich dankbar dafür. Unter diesen Fragen war eine: Wie lange kennen Sie den Herrn? Kennen tu ich ihn seit 1944. Wieder ein Jahr später bekomme ich die Verständigung von dem Hamburger Gericht, dass betreffender Hausnazi zwar zu zwei Jahren Kerker hätte verurteilt werden müssen, aber aufgrund meiner Aussagen nur zu einem Jahr verurteilt wurde; das hat er durch die Untersuchungshaft abgesessen und ist freigegangen. Genau zehn Jahre später, 1955, trifft meine Schwester den Hausnazi zufällig in einem Restaurant in München; sie hat ihn auch gekannt. Da sagt meine Schwester: "Das werde ich meinem Bruder erzählen, der wird sich sicherlich sehr freuen." Und jetzt kommt's: Zehn Jahre später zieht der aus seiner Brieftasche das Urteil heraus - das hat er zehn Jahre bei sich getragen - und sagte: "Der Hass höret nimmer auf!" Was heißt das? "Wenn Ihr Bruder geschrieben hätte, dass er mich schon vor dem Krieg gekannt hat und ich mich anständig benommen hätte, hätte man mir auch noch dieses eine Jahr geschenkt."

 

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Downloads

Bericht der Kriminalpolizeileitstelle Wien, 1. April 1938
(1,4 MB)

(4,9 MB)

Auszug, 2. 4. 1938, Fritz Bock
(368,3 KB)
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