Ferdinand Berger, geb. 1917 in Graz, Automechaniker. Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Wehrsports, Teilnahme an den Februarkämpfen in Gösting bei Graz. Übertritt zum Kommunistischen Jugendverband, 1934-1936 mehrmals inhaftiert. Ende 1937 von Österreich nach Spanien, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939), 1939 nach Frankreich, Internierung bis April 1940, Prestataire-Kompanie (unbewaffneter militärischer Arbeitsdienst). Verhaftung durch die Gestapo in der Bretagne, Februar 1941 bis Mitte 1944 KZ Dachau, dann bis Kriegsende KZ Flossenbürg.
Nach 1945 Dienst in der Polizei, Studium der Rechtswissenschaften, 1975 pensioniert, ehrenamtlicher Mitarbeiter des DÖW.
Verstorben 2004.
Und da ist dann eine ganze Gruppe von neu Angekommenen mit mir zur Flak [Kurzform für Fliegerabwehrkanone, gleichbedeutend mit: Fliegerabwehr] gegangen, darunter auch Paul Jellinek. Wir sind mit dem Zug nach Valencia gefahren. Das hat ausgesehen, als ob ganz Valencia brennen würde. Die Faschisten hatten am Tag zuvor die Öltanks in Valencia bombardiert. Über ganz Valencia war eine riesengroße schwarze Rauchwolke. Die Batterie war ein bissel außerhalb Valencias in einem Orangenhain, nicht feuerbereit, sondern marschbereit. Wir sind mitten im Orangenhain gelegen, die Orangen waren gerade erntereif, wir haben fleißig Orangen gegessen, dann haben wir geschlafen. Zeitlich in der Früh sind wir mit der Batterie weggefahren, nach Barcelona. In Barcelona bin ich dann als Gehilfe eingeteilt worden vom Batteriemechaniker. Das war ein Deutscher. Die Batterie ist in Barcelona in Stellung gegangen auf der Festung Montjuich. In der Nacht, ich habe geschlafen, hat es auf einmal zu krachen begonnen, und ich habe mir gedacht, die ganze Festung fällt zusammen. Ich frage den Batteriemechaniker: "Was ist denn das?" Er sagt: "Na, das ist unsere Flak, die schießt." Denk ich mir: "Kruzitürken, das schnalzt aber. Da muss ich raufgehen und mir das anschauen." Wie ich die Tür aufmache, kracht 's schon wieder, ich bin gleich drei Meter zurückgesprungen und wieder in der Kasematte gewesen. Dann habe ich mich langsam an die Tür herangeschlichen und habe mir das angeschaut. Wie die Schießerei vorbei war, bin ich wieder schlafen gegangen. Am nächsten Tag, untertags, sind auch Flieger gekommen. Und auf einmal hat es so komisch gerauscht in der ganzen Umgebung, und ich sage zu einem: "Sag, was rauscht denn da so? Da pfeift 's und rauscht 's, was ist denn das?" Sagt er: "Das sind Bomben." Und ich habe sie immer gesucht, die Bomben, aber man hat nichts gesehen. Wir sind vierzehn Tage oder drei Wochen in Barcelona gelegen. Fast jeden Tag sind die italienischen Flieger aus Mallorca rübergekommen und haben Barcelona bombardiert, und ich habe mir noch gedacht, sehr lange wird der Krieg von Österreich auch nicht wegbleiben, wie wird es meinen Leuten gehen, hoffentlich wissen sie, wie man sich vor Bomben schützen kann, denn schreiben kann ich ihnen das nicht. Eines Tages in aller Früh hat es geheißen: "Batterie marschbereit". Und wir sind abgefahren von Barcelona, wussten aber nicht, wohin.
Das war die Batterie "Dimitroff", eine deutsche Flakbatterie, bei der lauter Deutschsprechende waren, also auch Dänen, Holländer und Schweden, die soweit Deutsch gekonnt haben. Die Chauffeure, die eigentlich nichts weiter zu tun gehabt haben mit der Batterie, waren Spanier. Wir haben also mit Spaniern fast keinen Kontakt gehabt. Die spanischen Chauffeure haben unsere Geschütze in die Batteriestellung geführt und sind mit den Autos sofort wieder gefahren.
In Barcelona hatten wir noch ein sehr lustiges Erlebnis. Eines Tages in der Früh sehen wir ein paar Lastautos mit den buntesten Sachen beladen: rot, gelb, blau - also richtig grelle Schockfarben. Wir haben geschaut und geschaut, was das ist, und dann kommen sie zu uns. Die Jugend von Barcelona hat uns Strohsäcke gebracht - nicht mit Stroh, sondern mit Kork gefüllt. Die haben ja viele Korkeichen; von dem Abfall haben sie das gefüllt. Stoff haben sie keinen anderen gehabt. Rot und blau, schöne Stoffe, herrliche, aber für eine Flak unmöglich. Wenn wir das dort liegen gelassen hätten, hätten sie uns erschlagen mit Bomben, so grell war das. Also wir haben sofort Zeltplanen über diese "Strohsäcke" gegeben. Ansonsten haben sie uns sehr gute Dienste geleistet, weil sie verhältnismäßig leicht waren und daher auch leicht zu verpacken. Unterwegs sind wir durch Reus gefahren, das gerade vorher bombardiert worden war. Es war ein scheußlicher Anblick. Dann sind wir die ganze Nacht durchgefahren. In der Nacht ist es furchtbar kalt geworden. Ich bin, nachdem ich zu keinem Geschütz gehört habe, sondern Batteriemechaniker war, allein auf dem Munitionswagen oben gelegen, habe mir meinen Strohsack auf den Munitionskisten ausgebreitet, die Decke darübergezogen und über das Ganze noch eine Zeltplane. Gegen Morgen hörte ich, dass das Auto nicht fährt. Ich denke mir, was ist denn los da, warum bleiben sie stehen? Und auf einmal höre ich Flieger brummen. Ich gebe die Zeltplane weg und schaue, da sind sie schon da. Ich bin schnell von dem Munitionswagen herunter in die Wiese gesprungen. Die anderen sind schon dort gelegen, und schon sind die Bomben gefallen, ich war noch so neugierig, dass ich genau geschaut habe, wo die Splitter hingehen. Die sind links und rechts reingegangen, ich habe überhaupt nicht gedacht, dass einem da etwas passieren kann, dass es einen erwischen kann.
Wir sind nach Teruel weitergefahren. Wir haben Teruel direkt vor uns, gehen in Stellung, haben unsere Stellung fertig, als ein paar Soldaten zu uns kommen und sagen: "Seid Ihr wahnsinnig geworden? Was macht Ihr da?" "Na, in Stellung gehen." Sie zu uns: "Horchts zu. Hier ist gestern eine Artilleriebatterie gestanden. Die hat so viel Zunder gekriegt von den Faschisten, denn die haben da oben einen Beobachtungsposten. Die sehen das Gebiet vollkommen ein. Wenn ihr einen Schuss abgebt, könnt ihr nicht mehr schießen. Da setzt die Artillerie von oben ein, und ihr seid nicht mehr imstande wegzukommen." Daraufhin hat scheinbar der Batteriekommandant mit dem übergeordneten Kommando eine Aussprache gehabt, und wir sind von dort weggefahren und in eine andere Stellung gegangen. Teruel ist eine Hochebene, etwa zwischen Barcelona und Saragossa. Alles Stein. An Gewächsen gibt es dort Dornensträucher. Kalt war 's, eine Hundekälte. Es hat ein jeder Angst gehabt, aufs Klo zu gehen, die Hose runterzuziehen bei der Kälte. Vom Waschen war überhaupt keine Idee. Erstens hat es kein Wasser gegeben, und zweitens hätte sich keiner das Wasser auf die Haut zu geben getraut, so kalt ist es gewesen. Jeden Tag - es war gerade die faschistische Gegenoffensive in Teruel - sind die Faschisten-Flieger gekommen und haben uns angegriffen. Klar, immer wird die Flak angegriffen, weil sie schauen, dass die Flak ausgeschaltet wird. Dann können sie die Infanterie und die Artillerie bombardieren. Eines Tages ist eine ziemlich große Anzahl von Bombern gekommen, die haben Brandbomben geworfen und Sprengbomben; wir hatten einige Verwundete. Wir sind noch einige Zeit dort oben gestanden, dann sind die Faschisten durchgebrochen. Wir sind langsam zurückgegangen, immer vor den Faschisten her. Die Zeit damals war scheußlich, weil wir im Tag drei-, vier- und fünfmal Stellung wechseln mussten. Bei jedem Stellungswechsel hat es geheißen, zuerst die Batterie fahrbereit machen, die ganze Munition aufladen, in der neuen Stellung die Munition abladen, Batterie feuerbereit machen, Löcher graben. Kaum waren wir fertig und sind ein paar Stunden gestanden, ist die Geschichte wieder von vorn losgegangen. Wir sind immer spätnachts ins Bett gekommen und zeitlich in der Früh auf, weil schon die Flieger da waren. [...]
Auf dem Rückzug von Teruel zum Mittelmeer ist mein Chef, der Batteriemechaniker, fahnenflüchtig geworden. Was mit ihm geworden ist, weiß ich nicht. Die Batteriemechanikerstelle ist aufgelassen worden und ich hin an das erste Geschütz gekommen. Der Geschützführer war ein Pole, ein gewisser Franzl Schubert, der schon lange als Emigrant in Frankreich in einem Kohlenbergwerk gearbeitet hatte. Auch sein Sohn und seine Tochter waren in Spanien und sind dort beide gefallen. Bei dem Geschütz musste ich die Granaten einstellen, dass sie eine bestimmte Höhe erreichen und erst dann explodieren. Die Einstellung wurde uns vom Geschützführer bekannt gegeben. Während eines schweren Kampfes, wo wir von ca. hundert Bombern angeflogen worden sind, hat der Seitenkanonier, der Kanonier 1 von unserem Geschütz, durchgedreht und ist vom Geschütz gesprungen und davongerannt. Ich bin sofort auf den Sessel gesprungen, weil ich mir gesagt habe: Das Einzige, was uns retten kann, dass wir nicht erschlagen werden von Bomben, ist, dass wir schießen, schießen und wieder schießen. Ich habe sofort den Schützen 1 gemacht während des Kampfes und war ab diesem Zeitpunkt Seitenkanonier des Geschützes. Wir hatten bisher immer mit russischen Granaten geschossen. Die russischen Granaten waren äußerst exakt, aber hatten nicht dieselbe Wirkung wie die der deutschen Flak. Die russischen Granaten waren Schrapnellgranaten. Das heißt, wenn die Granate explodiert ist - da waren so Eisenkerne drinnen -, sind die vorne herausgedrückt worden und nur nach vorn gegangen. Wenn die Granate in gleicher Höhe mit dem Flugzeug explodiert ist, hat es ruhig einen halben Meter neben dem Flugzeug passieren können, es ist überhaupt nichts geschehen, weil es nach oben weggegangen ist. Bei der deutschen Flak sind die ganzen Granaten zerplatzt, nach allen Seiten, und natürlich war die Sprengwirkung viel stärker.
Nachdem von den russischen Granaten nicht mehr genügend da waren, hat man in Spanien begonnen, Granaten zu erzeugen. Und eines Tages ist ein spanischer Offizier vom Stab der Flak gekommen und hat spanische Granaten mitgebracht. Unser Batteriekommandant Albert Giebel, nachmaliger General der Flak in der DDR, ist zu unserem Geschütz gekommen und hat gesagt: "Ihr probiert die Granaten aus." Ich habe gesagt: "Der Geschützführer Schubert ist im Moment nicht da, er ist irgendwo hingegangen." "Na, dann gehen wir zum 2er-Geschütz und probieren sie dort aus", sagte er. Das 2er-Geschütz ist von mir vielleicht 30 Meter weg gewesen. Die Granate ist hineingeschoben worden, der Seitenkanonier ist auf dem Sessel gesessen, der Höhenkanonier ist daneben gestanden, der Ladekanonier hat die Granate hineingeschoben und hat abgezogen. Und die Granate ist rausgegangen, und wir haben überall geschaut, wo sie explodiert, wir sehen keine Explosionswolke. Daraufhin haben sie noch eine Granate reingeschoben und abgezogen, und die geht überhaupt nicht raus aus dem Rohr. Jetzt haben sie sie von vorne rausgestoßen, das ist eine äußerst gefährliche Sache, weil die Granate schon gezündet ist und explodieren kann. Aber sie ist gut rausgegangen. Dann haben sie noch eine Granate reingesteckt, und es hat einen furchtbaren Kracher gegeben. Der Seitenkanonier ist ohne Kopf dort gesessen. und der Höhenkanonier hat ein Loch in der Brust gehabt, so groß, dass man zwei Fäuste hätte durchstecken können. Der Ladekanonier war ein junger Pole, der ist von seinem Geschütz weg zu mir gerannt gekommen und war am ganzen Körper voller kleiner Splitter. [...]
Nach dieser Misere hat es geheißen, wir verwenden keine spanischen Granaten mehr. Einige Tage später ist der Befehl gekommen, wir sollen auf drei russische Granaten eine spanische schießen. Ich bin, wie die Flieger gekommen sind, auf meinem Sessel gesessen und habe gezählt: "Eins, zwei, drei, vier - jetzt muss die spanische kommen." Und habe den Kopf runtergehalten, damit es ihn mir nicht vielleicht wegreißt. Nachdem wir schon eine ganze Zeit lang geschossen haben, habe ich einmal nach hinten gefragt: "Wie viel spanische Granaten habt ihr denn schon geschossen?" Haben sie gesagt: "Gar keine." Also, so ist die Geschichte gegangen. Später haben wir doch angefangen, spanische Granaten zu schießen. [...]
Als ich nach Spanien kam, war die Situation nicht ganz so mies. Gerade vorher war die Teruel-Offensive der republikanischen Armee. Wie ich an die Front gekommen bin, folgte die Gegenoffensive der Faschisten, und dann ist es Schritt für Schritt zurückgegangen. Dass der Krieg so nicht zu gewinnen war, war offensichtlich. Von uns hat man überhaupt fast kein Flugzeug gesehen. Wir haben eine Flak stehen gehabt an einer Front. Wenn wirklich ein Flugzeug von uns gekommen ist oder ein paar Jäger, haben die Faschisten ein Flakfeuer raufgelegt, das katastrophal war. Man hat eindeutig die Überlegenheit der Faschisten gesehen, besonders krass war: Wir sind an der Front vor Valencia gestanden, hinter einem Berg. Vor dem Berg war eine Ebene, und hinter dem Berg ist die Hauptkraft der republikanischen Artillerie gestanden. Das war dieser Fleck, wo wir drei Batterien zusammen waren. Die faschistischen Flieger sind pro Tag fünf-, sechsmal gekommen. Wir haben fast ununterbrochen geschossen. Und wir haben schon eine Freude gehabt, na ja, da hat man dann doch gesehen, nach einer Woche oder zehn Tagen, aha, bei dieser Staffel sind nur mehr zwei und da sind nur mehr zwei. Und auf einmal sind sie am nächsten Tag wieder voll aufgefüllt gekommen. Also, man hat gesehen, man kann schießen, man kann kämpfen, wie man will, gegen diese Übermacht ist ganz einfach nicht anzukommen. Denn es kommen ganz einfach wieder neue Maschinen, und wir haben unser Geschütz, das bei dem Rohrkrepierer kaputt gegangen ist, nie mehr ersetzen können. Wir haben ab diesem Zeitpunkt mit drei Geschützen geschossen. Es hat keinen Nachschub gegeben, außerdem haben wir es bei der Munition gesehen usw. In dieser Richtung war es eindeutig, dass die Unterlegenheit so krass ist, dass mit einem Sieg überhaupt nicht zu rechnen ist. Es könnte nur eine politische Lösung gefunden werden, dass die Demokratien eingreifen, was eventuell möglich gewesen wäre. Und als schuldig an diesem Desaster ist - meiner Meinung nach richtig - hervorgehoben worden die Nichteinmischung, die Nichtinterventionspolitik, weil ohne Waffen kann man ganz einfach nicht kämpfen.