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Leopold Spira: Wir waren Respektspersonen

Leopold Spira, geb. 1913 in Wien, Geographiestudent. Kommunistischer Jugendverband, KPÖ. 1937 wegen kommunistischer Betätigung zu 1 Jahr Kerker verurteilt, Ausschluss vom Hochschulstudium. April 1938 aus Österreich nach Spanien, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) auf Seiten der Republik. 1939 Internierung, Mitbegründer der Volkshochschule Gurs. 1939 von Gurs nach Großbritannien. Nach Internierung auf der Isle of Man Dreher in Glasgow, ab 1944 in London.

1946 Rückkehr nach Wien. Angestellter der KPÖ, 1971 Parteiausschluss. Projektleiter im Institut für Empirische Sozialforschung, Autor und Redakteur des "Wiener Tagebuchs". Autobiographische Werke: Kommunismus adieu. Eine ideologische Biographie (1992); Das Jahrhundert der Widersprüche. Eine Wiener-jüdische Familienchronik (1996).

Verstorben 1997.

 

 

[1939 war Leopold Spira in Frankreich interniert.]

 

Die politische Herkunft war bei allen sehr ähnlich, es waren überwiegend Leute, die 1934 aus der SP gekommen sind, eine gemeinsame Mentalität oder Geschichte gehabt haben usw. Es gab also bei uns ganz wenige Auseinandersetzungen - im Lager minimal. Wir sind dann von Argelès weg, quer auf die andere Seite, nicht über die Pyrenäen, sondern in die andere Richtung gebracht worden und haben das große Lager Gurs gebaut, das auch nachher noch längere Zeit bestanden hat, wo die Österreicher eine sehr intensive politische und gesellschaftliche Arbeit entwickelt haben.

 

Es gab die ziemlich bekannt gewordene Volkshochschule in Gurs, wo ein richtiger Unterrichtsbetrieb war, wo die Hälfte der Österreicher - etwa 150 - als Schüler ein echtes Kursprogramm täglich mitgemacht haben und wo ein Kollektiv war, in dem die "Falken"-Mentalität herrschte: Jeder hat alles, was er von draußen bekommen hat, abgegeben, und es wurde gemeinsam für alle verwaltet. So etwas wäre z. B. bei den Deutschen völlig unmöglich gewesen.

 

Die Lebensbedingungen müssen in Gurs ziemlich schlecht gewesen sein?

 

Nein, zunächst nicht so schlecht. Man war ziemlich ungestört innerhalb des Lagers, konnte dort machen, was man wollte; konnte halt nicht hinaus. Sie haben uns einmal hinausgelassen, da ist die Tour de France vorbeigekommen, und das war den Franzosen so wichtig, dass sie uns unter Bewachung an die Straße geführt haben. Ich glaube, das war sogar noch in Argelès. Und von Gurs dann bin ich im August 1939 nach England gekommen, also unmittelbar vor Ausbruch des Krieges, wobei man zuerst versucht hat, die Deutschsprechenden alle nach Schweden zu bringen, sozialdemokratische Regierung usw., die uns aber nicht genommen hat. Und dann begann der Versuch, über Emigrantenorganisationen, da und dort, herauszukommen aus dem Lager, und die stärkste war in England. Wenn man dort - es war ja vor Kriegsausbruch - einen Engländer gefunden hat, der die Garantie übernommen hat, so war es möglich, dass man die Einreise bekommen hat. Wie wir aus Gurs weg sind - eine Gruppe Österreicher, aber auch andere -, war schon Generalmobilmachung. Die Engländerin vom Komitee, die uns geholt hat, hat Geld mitgehabt, um uns einzukleiden, weil wir haben nichts Gescheites zum Anziehen gehabt. Sie hat das Geld vernünftigerweise dazu verwendet, um einen Autobus zu mieten, der uns von den Pyrenäen zum Kanalhafen gebracht hat. Die Züge waren schon gesperrt für Zivilisten. Wir sind quer durch Frankreich gefahren mit weinenden Frauen auf der Straße, die uns gewinkt haben, weil sie geglaubt haben, wir seien Eingezogene. Jüngere Burschen im Autobus können nur französische Soldaten sein, die jetzt einrücken müssen. Wir sind nach England gekommen, eine Woche später war Kriegsbeginn. Daher sind die anderen nicht mehr nachgekommen, die auch noch gruppenweise hätten kommen sollen. Wer zufällig Bekannte, Verwandte usw. gehabt hat, die ihm einen englischen Garanten verschafft haben, ist angekommen, und die, bei denen die Sache komplizierter lag, die auf Hilfsorganisationen usw. angewiesen waren, sind hängengeblieben.

 

Diese Zeit bedeutete für die kommunistischen Parteien aller Länder eine sehr wichtige politische Wende, den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt?

 

Ich erinnere mich, als wir aus dem Lager Gurs herauskamen, haben uns die Franzosen "überfallen", was wir davon halten. Es war sozusagen taufrisch. Sie haben von uns irgendwelche Auskünfte erwartet. Weil wir waren Respektspersonen. Die Spanienkämpfer waren irgendwie eine Elite. Wir haben natürlich drinnen weniger gewusst wie sie draußen. "Na ja, wird schon gut gehen, die Sowjetunion weiß schon, was sie macht" - und so auf die Tour. Dasselbe hat sich dann in England abgespielt, wo uns die KP-Funktionäre, die uns empfangen haben, gefragt haben, wie wir dazu stehen, was wir dazu gesagt haben usw. Aber wir haben ja weniger gewusst als die, die draußen waren, trotz der intensiven politischen Arbeit im Lager. Es war damals schon der Schock da, aber man hat ihn wie alles andere verkraftet. Hätte man an der Sowietunion gerüttelt, wäre überhaupt alles eingebrochen. Und dann hat sich ja die Richtigkeit aller dieser Dinge scheinbar bestätigt. Für uns war es auch deshalb leicht, weil unsere Hauptfeinde waren England und Frankreich, die die Spanische Republik abwürgen ließen. Nichtintervention - das war für uns von vornherein der Hauptfeind. Also, dass die Sowjetunion da misstrauisch ihnen gegegenüber war, erschütterte uns nicht. Aufgrund der eigenen Erfahrungen eh das Logische, nicht?

 

Andererseits war dieser Nichtangriffspakt ja verbunden mit einer wohlwollenden Neutralität gegenüber Nazi-Deutschland.

 

Aber das haben wir nicht mitgemacht. Für uns war Nazi-Deutschland nach wie vor der Feind. Es gab damals Parolen der KPD: "Die Grenze des Sozialismus verläuft am Rhein." Solche Gedanken haben bei uns keine Rolle gespielt. Nein, dass der Faschismus der Feind bleibt, war für Spanienkämpfer doch kein Problem.

 

Wir haben es in England erlebt: Als die 111. Internationale den beginnenden Krieg als imperialistischen Krieg eingeschätzt hat, was wir akzeptiert haben, ist Harry Pollitt, der Vorsitzende der Britischen Kommunistischen Partei, zurückgetreten, weil er das nicht akzeptieren konnte. Er hat es für sich nicht akzeptiert, hat die Konsequenzen gezogen und ist zurückgetreten. Nachdem die Sowjetunion in den Krieg eingetreten war, hat sich das alles gewandelt und man hat gesagt: "Jetzt kommt das Wahre zutage. Alles andere war Taktik. Und Taktik ist erlaubt."

 

Aber haben Sie, als Sie in Diskussionen verwickelt wurden in Gurs und dann in England, keine Probleme gehabt, das politisch zu rechtfertigen?

 

Nein. Die allgemeine Naivität hat angehalten. Trotz vieler Erfahrungen, die man auf manchen Gebieten gemacht hat, blieb man ein naiver Anhänger der Sowjetunion. Und man ist davon ausgegangen: "Was von dort kommt, kann nur positiv sein. Und wenn ich es nicht verstehe, bin ich selber schuld." [...]

 

Zeit gewinnen wäre ein legitimer Grund gewesen. Nur: Erstens ist die Zeit nicht oder nicht entsprechend genützt worden, und zweitens waren die Motive ja nicht einfach die, Zeit zu gewinnen. Aber damals hat man es akzeptiert, und das Verhalten der britischen und französischen Regierung war damals nicht sehr vertrauenerweckend, im Gegenteil. [...]

 

Hat sich der Kurs der KP im Hinblick auf die Einschätzung Österreichs als eigene Nation rasch durchgesetzt?

 

Auch wenn man deutschnational erzogen war, so ist es doch dann angesichts der Naziherrschaft schnell abgefallen, und vor allem ist es in den anderen Nationen sofort akzeptiert worden. Ich erinnere mich, ich habe den ersten Jahrestag ja in Gurs erlebt, also März 1939. Oder war es noch Argelès, ich weiß nicht. Und man war in "Ilots" untergebracht, das heißt in "Inseln". Die Österreicher und die Deutschen waren zusammen in einem, und die Italiener waren woanders, und die Albaner und die Polen, Rumänen etc., also alle faschistischen Länder waren ja noch dort. Die Tschechen waren nicht mehr da, die Ungarn waren noch da. Österreich war das erste Beispiel eines besetzten Landes. Das hat eine große Rolle gespielt. Die österreichische Gruppe hat allen Nationen im Lager Referenten geschickt - alle haben akzeptiert, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass Österreich als eigene Nation anerkannt wird. Die Einzigen, die es nicht akzeptiert haben, waren die Deutschen. Sie haben mit der Ausrede, sie hätten in ihrer Lagerleitung einen Sozialdemokraten aus dem Saarland - Braun hat er geheißen, jetzt ist er auch schon längst in der SED, lebt in Gera und ist SED-Veteran -, abgelehnt. Die Kommunisten haben es abgelehnt, aber sie haben einen Sozialdemokraten vorgeschützt, weil sie konnten es nicht offiziell ablehnen als Partei. Das ging nicht. Und haben es also nicht akzeptiert, und da bin ich dann zu ihnen gegangen - als Ersatz - und habe einen Vortrag über österreichische Kultur gehalten. Das war das höchste der Gefühle. Aber über die politische Orientierung um die nationale Frage konnte man damals mit den Deutschen nicht diskutieren. Bei allen anderen ja, ohne auch nur eine Sekunde des Zögerns.

 

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