Alljährlich berichten Aktivisten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) von Sommerlagern im europäischen Ausland, auf denen sie sich mit internationalen Gesinnungskameraden körperlich und weltanschaulich betätigen. Weniger bekannt ist, dass Identitäre auch in Österreich auf Sommerlager fahren: allerdings nicht als Teilnehmer, sondern als Anleiter.
Konkret tun sie dies im Rahmen des „Bundesknabenlagers“ des Österreichischen Turnerbunds (ÖTB) im Südkärntner Sankt Kanzian (slowenisch Škocjan). Dort liegt der Turnersee, der Sablatnigsee (Zablaško Jezero) hieß, bevor er 1932 vom Verein Kärntner Grenzland erworben wurde und damit der völkischen Turnerbewegung anheimfiel. Die seit den 1920er Jahren am See abgehaltenen Turnerlager wurden von Karl Hönck geleitet, einem frühen Nationalsozialisten und späteren SS-Oberscharführer. Werner Koroschitz schreibt in seinem Bericht über nationalsozialistisch belastete Straßennamen in Villach: „Volkstumsarbeit, deutschvölkische Erziehung und vormilitärischer Unterricht standen im Mittelpunkt seiner [Höncks, Anm.] Schulungen. Die Sommerlager dienten dazu, Jugendliche für das Gedankengut des Nationalsozialismus zu begeistern und die ‚Heimkehr der Ostmark ins Deutsche Reich‘ ideologisch vorzubereiten.“[1] Bemerkenswerterweise benannte der Verein Kärntner Grenzland das von ihm am Seeufer errichtete Gebäude noch 1986, im Jahr der Waldheim-Affäre, nach Hönck. Es trägt diesen Namen bis heute. Erst heuer wurde vom Verein eine Umbenennung in Aussicht gestellt.
Noch heute veranstaltet der ÖTB rund um den Turnersee Sommerlager: gemischtgeschlechtliche Kinder-, Jugend- und Familienlager im Hönck-Heim (ein eigenes Mädchenlager wird, anders als im Vorjahr, heuer nicht ausgerichtet) sowie das Bundesknabenlager auf einem nahegelegenen Zeltplatz, der ebenfalls von einem ÖTB-nahen Verein betrieben wird. Dessen Schriftwart ist zugleich Bundesjugendwart des ÖTB, der Obmann schrieb noch Anfang des heurigen Jahres im rechtsextremen Eckart (Nr. 1/2024, S. 15). Die Ankündigung des Knabenlagers wirbt u.a. mit Volkstanz, Ringen, Rugby, Gesang, Geländespielen im Wald sowie Morgen- und Abendfeiern in einheitlicher Turnkleidung. Der Instagram-Account des Lagers berichtet zudem von Fackel- und Orientierungsmärschen, organisierten Gruppenraufereien, Zielwerfen mit dem Speer, Bogen- und sogar Luftdruckgewehrschießen. Die frühe Wehrertüchtigung wird durch allerhand Liegestütze, Armdrücken und sonstige Gelegenheiten zu männlicher Selbstvergewisserung ergänzt. Angeleitet wird die männliche Jugend zwischen acht und 14 Jahren bei all dem von sogenannten Vorturnern.
Unter diesen fand sich im Vorjahr etwa Gerfrid Schmidt (Burschenschaft Leder Leoben). 2021 wurde ein Foto publik, das ihn am Knabenlager vor dem Hintergrund der ÖTB-Fahne in einem orangefarbenen T-Shirt zeigt. Das darauf prangende Logo, das an ein abgerundetes Hakenkreuz gemahnte, wie es etwa auch auf den Abzeichen der Waffen-SS-Divisionen ‚Wiking‘ und ‚Nordland‘ verwendet wurde, war vor Veröffentlichung mit einem digitalen Sticker überklebt worden [Bericht von Stoppt die Rechten]. Auch Gerfrids Bruder Gernot (Burschenschaft Olympia Wien), der dem identitären Führungszirkel in Österreich angehört, war im ÖTB aktiv und jahrelang Vorturner am Knabenlager, wie Fotos beweisen. Gerfrid Schmidt hat sich bislang weniger politisch exponiert, beteiligte sich aber 2020 an der Seite seines Bruders an einer von Identitären und Korporierten getragenen Hörsaalaktion an der Universität Wien. Auf der Demonstration gegen die Covid-Maßnahmen vom 20. November 2021 in Wien marschierte Gerfrid Schmidt zusammen mit einem weiteren burschenschaftlich organisierten Teammitglied des Bundesknabenlagers von 2023 im identitären Block. Am 20. Juli 2024 fand er sich schließlich unter den Teilnehmer*innen der identitären Sommerdemonstration in Wien.
Zwei weitere Vorturner des Knabenlagers 2023 nahmen im November 2023, ebenfalls an der Universität Wien, an einer Kundgebung für und mit dem deutschen Rechtsextremisten Götz Kubitschek teil, die von der Identitären-nahen Aktion541 organisiert worden war. Einer der beiden, Gerwin Kowarik (mutmaßlich Burschenschaft Vandalia Wien) betätigte sich dabei als Anheizer am Megafon. Ein fünfter Vorturner von 2023, Alexander Schmid, nahm an der Identitären-Demonstration am Kahlenberg im September 2018 teil.
Die zentrale Rolle identitärer und völkisch korporierter Kader (mindestens zwei weitere Mitglieder der Lagermannschaft von 2023 gehören einer deutschnationalen Studentenverbindung an) am Bundesknabenlager steht im Einklang mit verschiedenen Meldungen, die das DÖW in den letzten Jahren von Anrainer*innen und Urlauber*innen erreichten. Die von ihnen gemachten Wahrnehmungen der ÖTB-Lager reichen von täglichen Morgenappellen um 7.00 Uhr über das kollektive Absingen völkischen Liedguts und Orientierungsmärsche unter deutscher Fahne bis hin zu einem am Grundstück gefundenen Zettel, auf dem Begriffe wie „jüdische Rasse“, „Mutterkreuz“, „Heil Hitler“ und „Arisierung“ definiert wurden. Ob es sich dabei um ein Relikt des alljährlich am Lager abgehaltenen Quizzes handelt, kann nur gemutmaßt werden.
Im April 2024 berichtete die Kleine Zeitung über Ermittlungen des Landesamts Staatsschutz und Extremismusbekämpfung wegen mutmaßlicher NS-Wiederbetätigung um das Hönck-Heim, die 2023 geführt wurden.[2] Sie wurden im November des Jahres von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt eingestellt, da sich die Verdachtsmomente nicht erhärtet hätten. Aktuell arbeitet das Kärntner Landesarchiv an einem Gutachten über die Geschichte des Sees zwischen 1933 und 1945.
Das ÖTB-Familienlager startete heuer am 21. Juli, die Kinder-, Jugend- und Knabenlager finden von 31. Juli bis 9. August statt.
Dieser Text wurde am 31. Juli 2024 um Informationen über die identitäre Sommerdemonstration 2024 ergänzt.
[1] Werner Koroschitz, Bericht zu den (nationalsozialistisch) belasteten Straßennamen in Villach, Stadt Villach 2019, S. 11 (abrufbar unter https://villach.at, Zugriff: 12.7.2024).
[2] Kleine Zeitung, Bezirksausgabe Völkermarkt (Velikovec), 4.4.2024, S. 18f.
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