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Friedrich Zawrel (1929 - 2015)

In tiefer Trauer verabschieden sich die MitarbeiterInnen des DÖW von dem Spiegelgrund-Überlebenden und Zeitzeugen Friedrich Zawrel, der am 20. Februar im Alter von 85 Jahren verstarb.

Friedrich Zawrel war dem Dokumentationsarchiv seit den späten 1990er-Jahren freundschaftlich verbunden, insbesondere der Gedenkstätte "Am Steinhof". Wir verlieren mit Friedrich Zawrel einen Freund, dessen Mut und Stärke uns beeindruckt haben. Wir bedanken uns bei ihm für seinen unermüdlichen Einsatz als Zeitzeuge in der Gedenkstätte und an Schulen.

 

Eines der Zitate, die er immer wieder im Rahmen von Zeitzeugengesprächen verwendet hat, ist von Georges Santayana: "Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." So haben wir Friedrich Zawrel verstanden, als Mahner und Erinnerer. Ganz besonders war er für uns die Stimme jener Kinder, die am Spiegelgrund ermordet wurden. Ihr Andenken zu wahren und die Erinnerung lebendig zu halten bleibt als sein Vermächtnis für uns.

 

Friedrich Zawrel 

 

 

Friedrich Zawrel
(1929 - 2015)

Foto: DÖW/Bernadette Dewald

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Zawrel, am 17. November 1929 in Lyon geboren, kam 1930 nach Österreich und wuchs in Wien auf. Als seine Mutter obdachlos wurde, kam er 1935 zu Pflegeeltern. Ab 1938 in verschiedenen Heimen untergebracht, wurde Zawrel 1941 auf den Spiegelgrund, eine sogenannte Kinderfachabteilung auf dem Gelände der Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“, überstellt: In den Jahren nach dem „Anschluss“ wurde die Anstalt „Am Steinhof“ zum Wiener Zentrum der NS-Tötungsmedizin, der mindestens 7500 Steinhof-PatientInnen zum Opfer fielen. In der 1940 gegründeten Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ kamen 800 kranke oder behinderte Kinder um (Pavillon 15), hier wurden aber auch Jugendliche aus ganz Wien als „schwererziehbar“ oder „asozial“ eingesperrt. Hunderte von auffälligen Kindern und Jugendlichen wurden auf dem Spiegelgrund psychiatrisch und psychologisch begutachtet und sollten durch brutale Disziplin gebrochen werden. Im Zuge eines Videointerviews erinnerte sich Zawrel:

 

"Ambulanzliege, zwei Tage, trockene Leintücher, zwei nasse Leintücher, splitternackt ausziehen, und dann sind die Leintücher so zusammengeschlagen worden wie bei einer Mumie, und überall bist du - nur den Kopf haben sie freigelassen - überall abgebunden worden mit so Gürteln, und dann bist du in der Zelle gelegen, haben sie mich auf die Erde gelegt […] Ich habe mich nicht nach links drehen können, ich habe mich nicht nach rechts drehen können, Füße nicht ausstrecken, Füße nicht einziehen [...] Und wenn sie dich herausgelassen haben, waren die Leintücher nie trocken, weil du in deinem eigenen Urin gelegen bist. Und ganz grausam war das, wenn es dich da jetzt dadurch wo zu jucken angefangen hat, und du hast es nicht kratzen können oder so, und du hast es ertragen müssen, bis das von selber abgeklungen ist."

(Interviewauszug, auszugsweise auf der Website der Gedenkstätte Steinhof bzw. in der Gedenkstätte zugänglich; die ungeschnittenen Videoaufnahmen und Transkripte aller dort veröffentlichten Interviews werden im DÖW aufbewahrt.)

 

Neun Monate blieb Zawrel am Spiegelgrund interniert; hier kam es auch zur ersten Begegnung mit dem Euthanasiearzt Heinrich Gross, der ihn in eine Abteilung ohne Unterricht einweisen ließ. Es folgten verschiedene andere Heime (Dreherstraße/Wien, Ybbs a. d. Donau, Mödling) bis Zawrel 1943 neuerlich auf den Spiegelgrund kam, dieses Mal zur „Feststellung [des] Erziehungsgrades und [des] Werts für die Volksgemeinschaft“ – in dem entsprechenden Gutachten wurde Zawrel als „staatsfeindlich eingestellter Jugendlicher, nicht mehr erziehbar“ beschrieben. Eine Flucht mit Hilfe einer Krankenschwester brachte nur kurz die Freiheit, Zawrel wurde 1944 festgenommen und war in der Folge bis 1945 im Jugendgefängnis Kaiserebersdorf in Haft.

 

Mitte der 1970er-Jahre kam es im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu einem weiteren Zusammentreffen mit dem Tötungsarzt und späteren Psychiater Heinrich Gross, der inzwischen auch als gefragter Gerichtsgutachter tätig war. Gross verwendete für sein vernichtendes Gutachten Passagen aus Zawrels Spiegelgrund-Akte; Zawrel wurde verurteilt und in die Strafanstalt Stein eingewiesen. Seine Aussagen im Kurier 1978 sowie das Engagement des Arztes Werner Vogt und der Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin brachten die öffentlichen Debatten um Heinrich Gross ins Rollen. Nach zwei Prozessen um die Rolle von Gross wurde Zawrel 1981 aus der Haft entlassen. Erst 1999 erhob die Staatsanwaltschaft Wien Mordanklage gegen Gross wegen dessen Beteiligung an der NS-Kindereuthanasie. Zu einem Urteil kam es jedoch nicht, Gross verstarb Ende 2005.

 

Friedrich Zawrel war in der Folge als Zeitzeuge aktiv. Seine Lebensgeschichte wurde Grundlage für Bücher, Filme und Theaterstücke. 2008 wurde er mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Stadt Wien, 2013 mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich geehrt. Er wird in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt.

 

 

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