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Als Radiohören gefährlich war

Radio im Widerstand – Radio als Waffe

Eine Sendereihe von Franz Richard Reiter auf Ö1, Juli/August 2017

 

Die fünfteilige Reihe beschäftigt sich mit Radioausstrahlungen, die zwischen 1938 und 1945 in Österreich gehört wurden und nicht von den Nationalsozialisten gleichgeschaltet waren. Eigene Programme nach Österreich wurden u. a. von Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion, von Palästina, von Italien und von Frankreich ausgestrahlt.
Das Abhören ausländischer Sender wurde nach der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939 in der Regel mit Zuchthaus bestraft, in schweren Fällen konnte auch die Todesstrafe verhängt werden.

 

Die 1989 erstmals ausgestrahlte Sendereihe von Franz Richard Reiter ist nun nach fast 30 Jahren noch einmal auf Ö1 zu hören: jeweils Mittwoch, 5. 7., 12. 7., 19. 7., 26. 7. und 2. 8., 21.00 Uhr (anstelle des Salzburger Nachtstudios)

 

 

1. Teil, Mittwoch, 5. Juli 2017, 21.00 Uhr

 

Die erste Sendung derReihe ist den Radioprogrammen aus Großbritannien in deutscher Sprache gewidmet. Sie bringt vor allem Satirisches: Lili Marleen und Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei zählten unter den deutschen Wehrmachtsoldaten zu den beliebtesten Schlagern. London erfand neue Anti-Hitler-Texte. Gesungen hat sie Lucie Mannheim, die in Österreich und Deutschland sehr bekannt war. 

"Wir fahren immer hin und her, wir haben keine Heimat mehr" singt der österreichische Flüchtling Peter Ihle, der später unter dem Namen Peter Illing ein sehr erfolgreicher Schauspieler war. Der prominente Schauspieler Fritz Schrecker, ebenfalls Flüchtling aus Österreich, singt das Nachtwächterlied mit neuen Texten. Der österreichische Flüchtling Martin Miller singt eine neue Zeitstrophe zu Nestroys Kometenlied. Georg Weidenfeld, später Lord Georg Weidenfeld und einer der bedeutendsten Verleger Europas, berichtet über den britischen Abhördienst (Monitoring Service), bei dem er beschäftigt war. Ernst Gombrich, bekannter Kunsthistoriker der Nachkriegszeit, erinnert sich an seine Abhörtätigkeit in der BBC. Sir Hugh Carleton Greene, der Bruder des Schriftstellers Graham Greene, war Leiter der deutschsprachigen Abteilung der BBC; er erläutert die Prinzipien der BBC-Programme.

 

 

2. Teil, Mittwoch, 12. Juli 2017, 21.00 Uhr

 

Zu hören sind Österreicher, die ihren Einsatz im Ätherkrieg aus London leisteten. Fritz Schrecker singt in einer Originalaufnahme ein Lied aus der Serie Der Alois mit dem Grünen Hut. Martin Esslin, dessen Bücher heute in der ganzen Welt gelesen werden, erzählt, wie er einen neuen Sendetypus erfand: In seiner Reihe Hitler versus Hitler, aus der eine Probe zu hören ist, ließ er Hitler in einer Montage von Originalzitaten sich selbst und mit dessen eigenen Stimme widersprechen. Robert Lucas' Briefe des Gefreiten Hirnschall an die "teure Amalia", "sein vielgeliebtes Weib", erfreuten sich besonderer Popularität.

 

Kriegsgefangene zählten zu den wichtigen Informationsquellen für die Sendungen aus Großbritannien. Auch österreichische Kriegsgefangene nahmen an solchen Sendungen teil. Daran erinnern sich Karl Österreicher, später General des österreichischen Bundesheers, und Julius Kaltenecker, der von der Wehrmacht desertierte.

 

Außerdem: Ausschnitte aus den mehr als 50 Radiosendungen, die Thomas Mann verfasste und sprach. Seine Ansprachen repräsentieren eine menschliche und kultivierte Welt, stehen für eine Welt und ein Deutschland, das die Nazis auslöschen wollten.

 

 

3. Teil, Mittwoch, 19. Juli 2017, 21.00 Uhr

 

Im Mittelpunkt stehen Programme aus der Sowjetunion, aus Algier, Bari und Rom, die man eigens für das durch die Nazis okkupierte Österreich ausstrahlte, sowie die legendären Freitagssendungen von Professor Jean Rudolf von Salis aus der Schweiz.

 

In der Sowjetunion wurden gleich zwei verschiedene Programme speziell für Österreich produziert und nach Österreich ausgestrahlt. Man konnte Sendungen hören, deren Herkunftsland klar erkennbar war:  Radio Moskau für Österreich. Neben diesem Programm gab es den schwarzen Sender Österreich. Man legte nahe, dass er in Österreich selbst stationiert wäre. Sein Chefredakteur Erwin Zucker-Schilling erinnert sich. Vom Sender Österreich wurden auch die berühmten satirischen Texte von Ernst Fischer, dem späteren österreichischen Unterrichtsminister, mit dem Titel Der Miesmacher ausgestrahlt. Diese im österreichischen Idiom gehaltenen und gereimten Verse wurden so populär, dass Teile von ihnen nachweislich als Witze unter der Bevölkerung im Umlauf waren.

 

In der Sowjetunion wurde unter der Leitung des österreichischen Flüchtlings Friedrich Hexmann eine eigene Methode entwickelt, sich direkt an die Hörer der Radiosendungen des Deutschen Reichs zu wenden – das sogenannte "Wellenreiten". Zu hören ist eine Probe in Originalaufnahme, bei der die Einschaltung von der Sowjetunion aus in ein Musikprogramm des Reichsrundfunks erfolgte.

 

Weiters präsentiert Reiter den wahrscheinlich einzigen erhaltenen Originalton der Sendungen von Jean Rudolf von Salis, die von der Schweiz ausgestrahlt wurden. Dessen ungefärbte, sachlich-nüchterne Analyse der Weltlage und des Kriegsverlaufs stand in krassem Gegensatz zu den bellenden Propagandasendungen des "Dritten Reichs".

 

Erich Derman erinnert sich an die Sendungen für Österreich, die von Algier, dann von Bari und zuletzt von Rom ausgestrahlt wurden. Besonders seltene Tondokumente stellen Kennmelodie samt Stationsansage des Senders von Rom sowie seine Sendung zur Befreiung Wiens dar.

 

 

4. Teil, Mittwoch, 26.Juli 2017, 21.00 Uhr

 

Präsentiert werden Programme, die von Palästina und von Frankreich nach Österreich ausgestrahlt wurden.

 

In Palästina wandte sich ein Sender eigens an österreichische Soldaten in der Wehrmacht. In seinen Programmen sang auch Mario Kranz. Franz Richard Reiter ist es gelungen, eine Fülle seltener alter Aufnahmen aus Palästina zu finden, in denen Mario Kranz satirische Verse singt, und hat ihn vor das Mikrofon gebeten.

 

Von Frankreich aus wurde vor seiner Besetzung durch deutsche Truppen von zwei Stationen in das okkupierte Österreich gesendet. Regelmäßig rief der im März 1938 aus Wien geflüchtete Fritz Bock in seine Heimat: "Harret aus, Österreich wird wieder frei!". Der (gleichnamige) spätere österreichische Vizekanzler Fritz Bock erinnert sich, dass er nach seiner Entlassung aus dem KZ Dachau in die Gestapo-Zentrale am Morzinplatz vorgeladen wurde, weil die Gestapo ihn mit dem Sendungsmacher verwechselte.

 

Robert Bauer liest noch einmal aus dem Manuskript einer Sendung des Österreichischen Freiheitssenders, die am 1. November 1939 von Frankreich in das okkupierte Österreich ausgestrahlt wurde.

 

Prälat Johannes Österreicher hielt von Paris aus Radiopredigten. Zu hören ist ein Ausschnitt aus der Radiopredigt vom 17. November 1939 mit dem Titel Legt die Waffen nieder!, die Prälat Österreicher noch einmal gesprochen hat.

 

 

5. Teil, Mittwoch, 2. August 2017, 21.00 Uhr

 

Im letzten Teil der Reihe werden wieder seltene Tondokumente von Programmen präsentiert, die eigens für Österreich hergestellt und von Amerika, Frankreich und unter amerikanischer Aufsicht von Großbritannien speziell nach Österreich ausgestrahlt wurden.

 

Bald nach der Befreiung von Paris wurden von dort deutschsprachige Radiosendungen ausgestrahlt. Leiter der österreichischen Sendungen wurde Fritz Metznik, später Chef des Bundespressedienstes in Wien. Der französischen Radiostation sind Manuskripte und Tonmaterial bei diversen Übersiedlungen verloren gegangen. Franz Richard Reiter ist es gelungen, die Kennmelodie und Sendungsausschnitte zu finden.

 

Von Amerika aus gab es verschiedene Programme nach Österreich. Der österreichische Flüchtling Eduard März, später Universitätsprofessor für Wirtschaftsgeschichte, verfasste Radiosendungen an seine Landsleute und sprach sie von Boston aus in den Äther. Die Sendungen auf Kurzwelle gab es ab 1942, in der Regel ein Mal in der Woche. Sie begannen mit der Losung Freiheit Österreich!. Franz Richard Reiter hat die Kennmelodie nachgebaut, Eduard März spricht noch einmal Ausschnitte aus diesen Sendungen.

 

Das freie Radio spielte auch in den KZ eine wichtige Rolle. Häftlinge schnappten Informationen der ausländischen Sender auf, die von der SS vor ihnen gehört wurden. In manchen KZ bauten Häftlinge Empfangsgeräte. Hermann Langbein berichtet, dass es der Internationalen Widerstandsbewegung im KZ Auschwitz gelang, die Personalien von SSlern, die eine Schlüsselfunktion in der Mordmaschinerie einnahmen, an polnische Zivilarbeiter weiterzugeben, mit der Bitte, diese nach London zu übermitteln, samt dem Ersuchen, dass London die Angaben zu den Personalien sende. Tatsächlich hörten die SSler ihre Namen samt Personalien im verbotenen ausländischen Radio. Das hatte eine starke demoralisierende Wirkung.

 

Ein anderes Programm, das eigens in den USA für Österreich hergestellt wurde, wurde von London aus gesendt. An ihm wirkte in London maßgeblich Clementine Czernik mit, die vor ihrer Flucht Rechtsanwältin in Wien gewesen war. Sie war Austrian Editor, verfasste Manuskripte, war Sprecherin und Übersetzerin. Gebracht wird u. a. ein Ausschnitt aus dem Programm Herr und Frau Adabei im trauten Zwiegespräche am häuslichen Herd, u. a. gesprochen und gesungen von Clementine Czernik. Das größte Programm, das Clementine Czernik gestaltete, war das zur Befreiung Wiens. Franz Richard Reiter hat sie vor das Mikrofon gebeten.

 

 

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