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Stellungnahme des DÖW zur Enthebung des Sachverständigen in der Causa "Bruna Sudetia" durch das OLG Wien

 

Ende November 2018 wurde bekannt, dass ein Senat des Wiener Oberlandesgerichts (OLG) in der Strafsache gegen die Wiener akademische Burschenschaft Bruna Sudetia bzw. deren vereinsrechtliche Verantwortungsträger einen von der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen seiner Tätigkeit enthoben hat. Begründet wurde die Enthebung damit, dass der Sachverständige am DÖW tätig sei und schon deshalb der äußere Anschein einer Befangenheit gegeben sei. Eine schriftliche Ausfertigung des OLG-Beschlusses wurde dem Sachverständigen auf Anfrage übermittelt. Ihr Inhalt, die mediale Kolportage des Sachverhalts und Kommentare in diversen Meinungsforen veranlassen das DÖW zu nachfolgender Stellungnahme.

 

 

Chronologie der Ereignisse

 

Im Februar 2018 wurde der Wochenzeitung FALTER ein Liederbuch mit antisemitischen und pro-nazistischen Inhalten zugespielt. Dieses Dokument war laut Deckblatt der Wiener Burschenschaft Bruna Sudetia zuzuordnen. Diese bestreitet allerdings jegliche Verbindung zu dem Liederbuch. Die Staatsanwaltschaft Wien (StA) strengte daraufhin ein Verfahren wegen Verdachts der NS-Wiederbetätigung und der Verhetzung gegen die Amtsträger der Burschenschaft an. Im Zuge einer von der StA veranlassten Hausdurchsuchung auf der "Bude" der Bruna Sudetia wurde eine Reihe von Büchern und Dokumenten beschlagnahmt. Weitere Exemplare des inkriminierten Liederbuches wurden bei der Hausdurchsuchung nicht gefunden. In weiterer Folge beauftragte die StA Wien Dr. Bernhard Weidinger – Verfasser eines Standardwerkes über die Burschenschaften in Österreich ("Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen". Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945, Wien-Köln-Weimar: Böhlau 2015) und wissenschaftlicher Mitarbeiter des DÖW mit Arbeitsschwerpunkt Rechtsextremismus – ad personam mit der Abfassung eines Befundes über den Inhalt der beschlagnahmten Werke.

 

Die beschuldigten Amtsträger der Bruna Sudetia erhoben gegen diese Ernennung Einspruch beim Landesgericht (LG) Wien. Nachdem dieser Einspruch Mitte Mai von der zuständigen Richterin abgewiesen worden war, nahm Dr. Weidinger – außerhalb seiner Beschäftigung am DÖW – seine Arbeit auf. Anfang August übermittelte er der Staatsanwaltschaft Wien eine rund 50-seitige Expertise. Fast vier Monate später erfuhr Dr. Weidinger aus den Medien, dass er mit OLG-Beschluss vom 13. November 2018 seiner Tätigkeit als Sachverständiger enthoben worden sei. Dass überhaupt eine Berufung gegen die Entscheidung des LG Wien anhängig gewesen war, war ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen.

 

 

Argumentation der Bruna Sudetia und Abweisung durch das LG Wien

 

Die Rechtsvertreter der Bruna Sudetia hatten in ihrem Einspruch eine "Gefahr" geortet, dass von Seiten Dr. Weidingers "mit einer objektiven und unparteilichen Beurteilung nicht zu rechnen" sei. Begründet wurde dies mit seiner Beschäftigung am DÖW, dem die Beschwerdeführer unterstellten, "einseitig politisch motiviert" zu sein. Um diese Behauptung zu untermauern, verwies die Beschwerdepartei auf einen OLG-Beschluss aus den 1990er-Jahren (siehe: Angriffe gegen DÖW), wonach das DÖW als "kommunistische Tarnorganisation" bezeichnet werden dürfe. Freilich hatte das OLG damals keineswegs das DÖW als "kommunistische Tarnorganisation" eingestuft, sondern lediglich entschieden, dass die (ursprünglich in der rechtsextremen Zeitschrift Aula formulierte und vom DÖW seinerzeit eingeklagte) Aussage ein "zulässiges Werturteil" bzw. eine straffrei bleibende Wertung im Rahmen des hohen Guts der Meinungsfreiheit darstelle.

 

Im Enthebungsantrag gegen Dr. Weidinger wird – wie seit Jahren auch in der rechtsextremen Publizistik – versucht, aus diesem Erkenntnis den Beleg einer "eindeutigen politischen Verortung" des DÖW zu konstruieren. Demgegenüber stellte das LG Wien in seiner Ablehnung des Enthebungsantrags im Mai 2018 klar, dass – anders als "die Beschuldigten offenbar vermeinen" – das OLG das DÖW damals weder als "kommunistische Tarnorganisation" bezeichnet noch diese Einstufung für generell zulässig erklärt habe. Zudem hielt das LG Wien fest, dass das DÖW "keine politischen Zielsetzungen verfolgt". Ein Grund, "die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen", sei daher "weder, weil dieser beim DÖW beschäftigt ist, noch aus sonstigen Gründen ersichtlich".

 

 

Argumentation und Entscheidung des OLG

 

Gegen diese Entscheidung des Landesgerichts legten die beschuldigten Vertreter der Bruna Sudetia Berufung beim OLG ein. Anders als in der ersten Instanz wurde dem Sachverständigen der Beschwerdetext nicht übermittelt. Er wurde auch zu keiner Stellungnahme eingeladen oder auch nur darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine Berufung anhängig sei. Das erscheint insofern relevant, als von Seiten der Beschwerdepartei in der Berufung offenbar neue Argumente für seine angebliche Befangenheit vorgebracht wurden. Das legt jedenfalls der Text des OLG-Beschlusses nahe, denn die in diesem benannten "Anhaltspunkte für das Fehlen des äußeren Anscheins der erforderlichen Neutralität des bestellten Sachverständigen" waren in der ursprünglichen Beschwerde der Beschuldigten nicht enthalten gewesen.

 

Konkret benennt das OLG als "problematisch", dass das DÖW

 

  1. "Rechtsextremismus nach 1945" als einen seiner inhaltlichen Schwerpunkte führt und dazu Beiträge auf seiner Website veröffentlicht;
  2. auf seiner Website einen "Rechtsextremismus-Ticker" betreibt, der über rechtsextreme Vorfälle informiert und in dem sich auch Einträge zur Burschenschaft Bruna Sudetia finden;
  3. in diesem Ticker auch Links auf Zeitungsartikel eingestellt wurden, die über das gegenständliche Ermittlungsverfahren berichten.

 

Aufgrund dieser Umstände sei, so der OLG-Beschluss, "[e]vident", dass das DÖW sich "der Aufdeckung und Aufklärung rechtsextremer Strukturen und Aktivitäten in Österreich verschrieben hat", "im Zuge dieser Tätigkeiten auch konkret die Aktivitäten der Akademischen Burschenschaft Bruna Sudetia einschließlich des hier gegenständlichen Vorwurfs im Blick hatte" und "das hier zu prüfende Tatgeschehen bereits öffentlich einsehbar als 'rechtsextrem' verortet hat".

 

Vor diesem Hintergrund begründe "[u]ngeachtet der persönlichen Haltung des bestellten Sachverständigen Dr. Weidinger [...] schon dessen berufliche Tätigkeit als Betreuer der Rechtsextremismus-Sammlung im [...] DÖW, im konkreten Fall den Anschein des Fehlens einer ausreichend äquidistanten und neutralen Haltung und damit seiner Befangenheit".

 

 

Zur Klarstellung

 

Anders als in der Berichterstattung über die vorliegende Causa und in diversen öffentlichen Einlassungen dazu teilweise dargestellt,

 

  • hat das OLG dem DÖW oder seinem Mitarbeiter Dr. Weidinger keine "einseitige politische Motivation" attestiert, sondern ganz im Gegenteil in seinem Beschluss explizit festgehalten, dass eine solche Motivation "nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht gegeben ist";
  • hat das OLG die Sachkompetenz des DÖW oder seines Mitarbeiters nicht in Zweifel gezogen;
  • hat das OLG eine tatsächliche Befangenheit des DÖW oder seines Mitarbeiters nicht behauptet. Im Interview mit dem FALTER erklärte OLG-Senatspräsident Reinhard Hinger explizit, dass sein Gericht "weder den Sachverständigen für befangen noch das DÖW für kritikwürdig [hält]": Es sei lediglich festgestellt worden, "dass nach außen der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte".

 

 

Stellungnahme des DÖW zur Begründung des OLG-Beschlusses

 

Dass auf der Website des DÖW an mehreren Stellen Nennungen der Burschenschaft Bruna Sudetia zu finden sind, ist zutreffend. Sie wird genannt, weil sie Gründe geliefert hat, dort genannt zu werden. Soweit es sich dabei um vom DÖW selbst erstellte Texte handelt, wird dabei auf beweisbare Fakten hingewiesen.

 

Eine Einstufung der Bruna Sudetia als rechtsextrem ist durch das DÖW nie erfolgt, wohl aber wurde auf Verbindungen der Burschenschaft zu AkteurInnen der rechtsextremen Szene und auf eine ideologische Nähe zu rechtsextremer Weltanschauung hingewiesen.

 

Der "Rechtsextremismus-Ticker" wiederum stellt eine Serviceleistung des DÖW an die interessierte Öffentlichkeit dar. Die dort eingestellten Links dokumentieren die Berichterstattung unabhängiger Medien über rechtsextreme Vorfälle. Das DÖW macht sich die verlinkten Texte nicht zu eigen. Dass Artikel über das gegenständliche Verfahren eingestellt wurden, liegt nicht daran, dass das DÖW die betreffende Burschenschaft als rechtsextrem eingestuft hätte, sondern am eigentlichen Gegenstand der medialen Berichterstattung: eben jenem vom FALTER bekannt gemachten Liederbuch, das genuin nationalsozialistisches Liedgut und offen antisemitische Texte enthält. Der rechtsextreme Charakter dieser Liedtexte war anhand der in den Medien kolportierten Textauszüge auch für die allgemeine Öffentlichkeit unzweifelhaft erkennbar.

 

Eine Vorverurteilung der Burschenschaft Bruna Sudetia und ihrer Funktionäre konnte mit dieser Einstufung schon deshalb nicht verbunden sein, weil die Burschenschaft jegliche Verbindung zu diesem Liederbuch bestreitet und das DÖW keinerlei Mutmaßung über seine Urheberschaft angestellt hat. Zudem ist hervorzuheben, dass gemäß dem ursprünglich an den Sachverständigen gerichteten Arbeitsauftrag dieses Liederbuch gar nicht Gegenstand der Befundung war, sondern lediglich die bei der Hausdurchsuchung tatsächlich aufgefundenen Werke.

 

Dass die Beforschung von und Aufklärung über rechtsextreme Aktivitäten zu den Tätigkeitsfeldern des DÖW gehört, ist zutreffend. Das DÖW leistet diese Arbeit seit Jahrzehnten als einzige wissenschaftliche Einrichtung in Österreich systematisch. Aus Sicht des DÖW erwächst seinen MitarbeiterInnen daraus kein Befangenheitsgrund, sondern vielmehr ein Kompetenznachweis. Dass die langjährige Beschäftigung mit Rechtsextremismus Personen als Sachverständige für mutmaßlich rechtsextreme Inhalte disqualifiziert, erscheint widersinnig – auch dann, wenn diese Betätigung im Rahmen einer Einrichtung erfolgt, die sich, wie das OLG in seinem Beschluss festhält, "der Aufdeckung und Aufklärung rechtsextremer Strukturen und Aktivitäten in Österreich verschrieben hat".

 

Das DÖW bekennt sich zu dieser Aufgabe – als eines unter zahlreichen Betätigungsfeldern – und sieht sich dabei im Einklang mit der österreichischen Bundesverfassung. So enthält der im Verfassungsrang stehende Artikel 9 des Staatsvertrags von Wien die Selbstverpflichtung, "aus dem österreichischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen" und "alle Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen, die auf seinem Gebiete bestehen". Die Aufklärungsarbeit des DÖW entspricht somit einer Aufgabenstellung, die auch für sämtliche staatlichen Institutionen bindend ist, und insofern nicht geeignet scheint, auch nur den Anschein der Befangenheit zu begründen.

 

Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Umstände ist für das DÖW die Entscheidung des OLG Wien nicht nachvollziehbar.

 

 

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