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Melanie Karoline Adler: "Ausgezeichnete Herren beraten mich"

 

Melanie Karoline Adler, geboren am 12. Jänner 1888

 

Deportation nach Maly Trostinec: 20. Mai 1942

 

 

Nach der Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland hatten sich Melanie Adler und ihr Vater Guido Adler (1855–1941), ein international anerkannter Musikwissenschaftler und 1898 Begründer des musikwissenschaftlichen Seminars (heute: Institut für Musikwissenschaft) an der Universität Wien, um Einreisevisa in die USA bemüht. Beide ließen allerdings 1938 ihre Quotennummern – die USA vergaben für die Einwanderung jährliche Länderkontingente – verfallen. Während Melanie Adlers Bruder Hubert Joachim Adler (1896–1965) mit seiner Familie im August 1938 in die USA flüchtete, blieb sie mit ihrem Vater in Wien zurück. Möglicherweise fühlte sich der über 80-jährige Guido Adler einem Neuanfang im Exil nicht mehr gewachsen, manches deutet auch darauf hin, dass sich Melanie Adler zu diesem Zeitpunkt nicht unmittelbar bedroht fühlte.

 

Vor dem "Anschluss" 1938 hatte die (1936) promovierte Ärztin, die diesen Beruf jedoch nie ausübte, sich oft in Graz und München aufgehalten; zumindest in München dürfte sie Kontakt zu nationalsozialistischen Kreisen gehabt haben. Im Juli 1939 schrieb sie von dort an den Wiener Konsulenten Rudolf Braun (1):

 

 

"Meine Angelegenheit ist in einem wichtigen Stadium. Ausgezeichnete Herren beraten mich. Onkel wird sehr gefeiert, sein Tod ist sozusagen eine öffentliche Angelegenheit. Er war einer der Vorkämpfer. Ob ich hoffen darf wird die Zunft [vermutlich: Zukunft] lehren. Alles geht schrittweise, übers Knie brechen darf ich nichts."

 

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Der hier angeführte Onkel war der bildende Künstler Ernst Berger (1857–1919), ein Bruder von Melanie Adlers Mutter Betti Genendel Adler (1859–1933), der ab den 1880er-Jahren in München lebte. Als die bayrische Räterepublik im April 1919 durch den Vormarsch der Rechten immer mehr unter Druck geriet, war er eine von 22 Personen aus dem gegnerischen Lager, die die Rote Armee München als Geiseln gefangennahm. Am 30. April 1919 wurden Berger und neun weitere Geiseln erschossen.

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Im selben Brief erwähnte Adler auch einen "netten" Herrn, "ein Pg. [Parteigenosse] der mir schon oft gute Ratschläge gab".

 

Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde für Juden und Jüdinnen im Deutschen Reich die sogenannte Judenvermögensabgabe angeordnet: Ab einem Mindestvermögen von 5000 Reichsmark mussten 20 Prozent des Gesamtvermögens innerhalb eines Jahres in vier Raten abgegeben werden, wenig später kam eine weitere Rate von 5 Prozent hinzu. Dies führte zu einer zunehmenden finanziellen Belastung des Adlerschen Haushalts. Ansuchen von Melanie und Guido Adler um Erlassung bzw. Stundung einer Rate wurden vom Finanzamt Währing abgelehnt.

 

 

"Mir wurde die fünfte Rate der Judenvermögensabgabe im Betrage von RM 900.- vorgeschrieben. [...]
Ich besitze nun nicht das Geld, um diesen Betrag zu bezahlen.
Meine Pension als Universitätsprofessor reicht gerade dazu hin, um den Lebensunterhalt für mich, meine Tochter und die Hausgehilfin zu bestreiten.
Ich bin Eigentümer der Hälfte des Hauses Wien XIX., Lannerstrasse 9, welche einen Wert von RM 14.400.- repräsentiert und unbelastet ist. Ich biete diese Haushälfte zur Sicherstellung der fünften Rate der Judenvermögensabgabe [...] zum Pfande an."

 

Die andere Hälfte der Villa in der Lannerstraße war im Besitz von Hubert und Melanie Adler; beiden gemeinsam gehörte auch ein Zinshaus in der Gonzagagasse im ersten Wiener Gemeindebezirk, in dem Hubert Adler vor seiner Flucht gewohnt und als Arzt ordiniert hatte. Eine Ende 1940 drohende Delogierung von Vater und Tochter aus ihrem Wohnhaus – dessen größter Teil bereits an Personen aus Kreisen der NSDAP vermietet war – konnte durch die Unterstützung ehemaliger Schüler Guido Adlers verhindert werden.

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Guido Adler an das Finanzamt Währing-Döbling, Vollstreckungsstelle, 23. November 1939

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Am 15. Februar 1941 starb Guido Adler im Alter von 85 Jahren. Melanie Adler beabsichtigte nun, nach München zu übersiedeln. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, wollte sie die musikwissenschaftliche Bibliothek ihres Vaters an die Münchener Stadtbibliothek verkaufen oder gegen eine "Rente" abgeben. Dies scheiterte ebenso wie ihr folgendes Angebot an Winifred Wagner, die Bibliothek – gegen einen "Schutzbrief" – dem Wagner-Archiv in Bayreuth zu überlassen. Unterstützt wurde sie bei diesen Versuchen von dem Musikhistoriker Rudolf Ficker (1886–1954), einem ehemaligen Schüler Guido Adlers, der ab 1931 an der Universität München lehrte. In einem Memorandum vom 29. Oktober 1945 schilderte er die Begleitumstände der Beschlagnahme der Bibliothek durch die Gestapo im Mai 1942 und insbesondere die Rolle, die Erich Schenk (1902–1974), damals Vorstand des musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Wien, 1950/51 Dekan der philosophischen Fakultät und 1957/58 Rektor der Universität Wien, dabei einnahm:

 

 

"Es gelang mir, die Münchener Stadtbibliothek, welche eine musikalische Fachbibliothek einzurichten beabsichtigte, für die Erwerbung der Bibliothek zu interessieren. Dabei wurde auch die Gewährung eines Schutzes für Frl. Dr. Adler in Aussicht gestellt. Im Auftrag der Bibliothek verständigte ich den Nachlassverwalter Rechtsanwalt Dr. [Richard] Heiserer [...] von den Erwerbungsabsichten der Stadtbibliothek München und bat ihn um nähere Auskunft. Auf dieses Schreiben erfolgte jedoch keine Antwort.
Wie sich dann herausstellte, stand jedoch dieser 'Anwalt' mit Prof. Schenk in Verbindung und setzte nun Frl. Adler 'unter Druck'. Prof. Schenk selbst blieb zwar gewöhnlich im Hintergrund. Er schob vielmehr seinen Asistenten Prof. Dr. [Leopold] Nowak vor, einen ehemaligen Schüler und Assistenten Prof. Adlers [...]
Am 6. 5. 41 fand die erste Besichtigung der Bibliothek durch den Anwalt, der vorher die Schlüssel an sich genommen hatte, ferner Prof. [Robert] Haas von der Nationalbibliothek und Prof. Nowak statt. Dabei wurde Frl. Adler erklärt, die Bibliothek sei als jüdischer Besitz von der Gestapo beschlagnahmt – was damals noch nicht zutraf – und habe in Wien zu verbleiben. Bei der Verlassenschaftsverhandlung intervenierte wiederum Prof. Nowak. [...]
Bei einem Besuche im musikwissenschaftlichen Seminar am 8. Mai [1942] war ich zufällig Zeuge, wie dort gerade die Bibliothek Adlers samt allen persönlichen Dokumenten und Zubehör abgeladen und aufgestapelt wurde. Prof. Schenk, den ich vorher nicht kannte, teilte mir zur Aufklärung mit, Frl. Dr. Adler habe sich 'saudumm' benommen, sie habe sich gegen das Gesetz vergangen, weil sie gegen die von ihm bei der Gestapo bewirkte Beschlagnahme der Bibliothek protestiert hätte. Sie sei jetzt geflüchtet, werde jedoch von der Gestapo schon gefunden werden und dann heisse es: 'Marsch, nach Polen!'"

 

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Robert Haas (1886–1960), seit 1933 NSDAP-Mitglied, war bis 1945 Leiter der Musiksammlung der Nationalbibliothek. Nach Kriegsende verlor er seine Lehrbefugnis.

 

Leopold Nowak (1904–1991) folgte Robert Haas 1946 als Direktor der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

 

 

Das gesamte Vermögen Melanie Adlers war bereits am 23. Februar 1942 von der Gestapo eingezogen worden. In der Folge wurde die Bibliothek zunächst zwischen dem musikwissenschaftlichen Seminar und der Nationalbibliothek aufgeteilt, später wurden Bücher an verschiedene Institutionen weitergegeben.

 

Nachdem auch Melanie Adlers Versuche, zu Verwandten nach Italien zu gelangen, gescheitert waren, hielt sie sich ab Ende 1941 im Verborgenen auf. Nach ihrer Entdeckung wurde sie am 20. Mai 1942 von Wien nach Maly Trostinec deportiert und dort nach der Ankunft am 26. Mai 1942 ermordet.

 

 

Literatur:

Tom Adler (with Anika Scott), Lost to the World, Philadelphia 2003

 

Murray G. Hall / Christina Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern …" Eine österreichische Institution in der NS-Zeit, Wien–Köln–Weimar 2006, S. 293–300

 

Achter Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wienbibliothek im Rathaus, 1. Februar 2008, S. 174198 (online: http://www.wienmuseum.at/fileadmin/user_upload/PDFs/Restitutionsbericht_2007.pdf)

 

 

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Downloads

München, 11. 7. 1939 (mit Transkript, DÖW 4662)
(323,0 KB)

24. 8. 1939 (DÖW 4662)
(718,6 KB)

15. 11. 1939 (mit Beilage, DÖW 4662))
(222,3 KB)

17. 11. 1939 (DÖW 4662)
(516,2 KB)

22. 11. 1939 (DÖW 4662)
(94,1 KB)

23. 11. 1939 (DÖW 4662)
(122,3 KB)

31. 12. 1939 (DÖW 4662)
(131,0 KB)

21. 6. 1940 (Abschrift, DÖW 4662)
(122,7 KB)

20. 5. 1942 (Auszug)
(1,0 MB)

6. 9. 1943 (DÖW 4662)
(251,1 KB)

29. 10. 1945 (DÖW 19.511)
(2,6 MB)
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