Stellungnahme der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz zum Vorwurf, dass sie 2011 als Arbeitsgruppe gebildet wurde, die mutmaßliche NS-Verbrecher ermitteln sollte
Erstens ist falsch, dass das Justizministerium 2011 eine "Forschungsstelle Nachkriegsjustiz" gegründet hat. Die Zentrale österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz besteht schon seit 1998 und ist eine regierungsunabhängige Institution mit reinen Forschungsaufgaben (www.nachkriegsjustiz.at).
2011 hatte das Bundesministerium für Justiz eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der auch Angehörige der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz mitgewirkt haben. Diese Arbeitsgruppe hat vor drei Jahren einen Bericht abgeliefert, der vom Ministerium bisher nicht veröffentlicht wurde. Allerdings wurde eine Anregung dieses Berichts im Strafrechtsänderungsgesetz 2018 umgesetzt: Die Aufhebung der Privilegierung für Tatverdächtige, die zum Zeitpunkt des Verbrechens noch nicht 21 Jahre alt waren, gilt seither nicht mehr für Strafverfahren wegen Kriegsverbrechen, Humanitätsverbrechen und Völkermord.
Zweitens können auf Grund dieser Rechtslage, die bis 2018 gültig war, in Österreich nur solche NS-Verbrecher verfolgt werden, die zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Tat mindestens 21 Jahre alt waren. In allen anderen Fällen ist bereits Verjährung eingetreten. Die Gründe dafür, dass diese Rechtslage nicht früher geändert wurde, sind Gegenstand zeitgeschichtlicher Untersuchungen, dieses Versagen ist aber nicht mehr zu "reparieren".
Der Vorwurf ist allerdings nicht nur an die Justiz zu richten. Die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz hat mit Unterstützung des österreichischen Zukunftsfonds, des US Holocaust Memorial Museums und der Gedenkstätte Yad Vashem eine Analyse für die Zeit nach der Abschaffung der sogenannten "Volksgerichte", die 1945 bis 1955 für die Ahndung von NS-Verbrechen zuständig waren, durchgeführt. Den 20 Schuldsprüchen und 22 Freisprüchen stehen rund 1000 Untersuchungsverfahren gegenüber, die österreichische Staatsanwaltschaften wegen NS-Verbrechen bis in die jüngste Vergangenheit einleiteten. Dass diese seit 1975 in einem einzigen Fall (dem des Gerichtsgutachters Heinrich Gross im Jahre 2000) zur Anklage führten, hat mit mangelndem politischen Willen, fehlenden personellen Ressourcen und allgemeinem gesellschaftlichen Desinteresse zu tun.
Nach Abschluss des Projekts werden die Ergebnisse dieser Analyse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Rückfragen:
ao.Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, martin.polaschek@uni-graz.at
Dr. Claudia Kuretsidis-Haider, claudia.kuretsidis@nachkriegsjustiz.at