Berta Brandweiner: "... von dieser Rübenkost erhungert man"
Berta Brandweiner, geb. 6. 10. 1882
"[...] am 15 Februar geht der erste P. [Polen-]Transport. Gottweiß ob ich Euch im Leben noch einmal wiedersehen [werde]. Da ich so krank bin werde diese großen Strapatzen nicht aushalten", informierte Berta Brandweiner am 3. Februar 1941 ihre "innigstgeliebten Kinder" (Tochter Martha und deren zukünftiger Mann, die in Zürich lebten).
Tatsächlich schrieb Berta Brandweiner am 14. März aus dem Spital in Kielce, wo sie wegen einer fiebrigen Bronchitis behandelt wurde; anschließend wurde sie im (im selben Gebäude befindlichen) Altersheim untergebracht. Aufgrund unzureichender Versorgung erkrankte sie immer wieder:
"14 Tage schon bekommen wir jeden Tag rotes Rübenwasser als Suppe und 1 Esslöffel faschierte rote Rüben ohne Salz ohne Zucker ohne Essig[,] ein entsetzliches Schweinefutter. Da ich 6 Wochen nicht essen konnte und fast die Galle erbrochen habe kannst Dir denken wie schwach ich bin und von dieser Rübenkost erhungert man. Wenn ich nur noch etwas zum verkaufen hätte so könnte mir etwas zubessern, aber leider bin ganz blank. [...] Einen Winter halte hier nicht me[h]r aus, da ich erfriere und erhungert bin bis der Winter kommt. Bei uns sterben so viele vor Schwäche. Der Geld hat kann sein Leben noch retten[,] der keines hat muß sterben."
(Brief an Martha Brandweiner, 15. 7. 1941)
Mitteilung von Berta Brandweiner an ihre Tochter Martha, Kielce, 5. 5. 1941
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Mit Unterstützung von Verwandten und Hilfsorganisationen überstand Brandweiner den Winter 1941/42 in Kielce. Die letzte bekannte Nachricht an ihre Tochter Martha stammt vom 14. 3. 1942 (von ihr irrtümlich mit "14./3. 1941" datiert; mit einem Nachtrag vom 17. 3. 1942):
"Euren lieben Brief vom 28. Februar habe ich mit großer Freude erhalten. So ein Brief von Euch ist für mich immer ein Festtag, den lese ich immer sehr oft durch und glaube immer bei Euch zu sein. Ich spreche mich so mit Euch im Geiste aus. Ich sehe Euch alle meine lieben[,] die ihr mein Sonnenschein, mein alles, mein ganzes Glück seid[,] so lebendig mit Euren lieben treuen Augen vor mir. Der liebe Gott der Gerechte soll mir nur die Kraft geben allen Jammer auszuhalten. [...]
Es ist kein Grund zur Beängstigung. Es sind nur mit Fieber von uns ins Spital gekommen Tiefusverdächtig und zur Vorsicht dürfen wir die Anstalt nicht verlassen und ni[e]mand herein kommen. [...]
Am Montag den 16. März wird die Charanten [Quarantäne] wieder aufgehoben und wir dürfen wieder fortgehen."
Die Familie der Witwe Brandweiner war nach dem "Anschluss" 1938 auseinandergerissen worden. Drei Kinder überlebten im Exil: Jakob (geb. 1907), Martha (geb. 1922) und Walter (geb. 1902, er konnte nach Haft in den KZ Dachau und Buchenwald emigrieren). Ihr Sohn Julius Brandweiner (geb. 15. 8. 1909), zuletzt in Berlin wohnhaft, wurde 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und war in der Folge in Auschwitz und Dachau in Haft; er erlebte die Befreiung 1945 (er wurde allerdings 1947 irrtümlich für tot erklärt). Ein weiterer Sohn, Hugo Brandweiner (geb. 7. 4. 1900), war im KZ Jasenovac im kroatischen Ustascha-Staat (Nezavisna Drzava Hrvatska; NDH) inhaftiert und gilt seither (ebenso wie seine Ehefrau Josefine und Tochter Renate) als verschollen.
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