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Camillo Heger: Jeden Tag Zusammenstöße

Camillo Heger, geb. 1921 in Wien, Mitglied bei Jung-Vaterland, Jugendführer im Österreichischen Jungvolk, ab 1939 Arbeit als Buchhaltungsbeamter. Unmittelbar nach dem "Anschluss" Aufbau einer Widerstandsgruppe, Herbst 1939 Beitritt zur "Österreichischen Bewegung/Gruppe Theiss". Festnahme am 7. 2. 1940, am 17. 12. 1941 Verurteilung wegen "Vergehens nach dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien" zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis. Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, sowjetische Kriegsgefangenschaft bis 1947.

Nach Rückkehr u. a. als Werbeleiter und Wirtschaftsjournalist tätig, stellvertretender Wiener Landesobmann der ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten, Mitarbeit in der Rentenkommission der Opferfürsorge der MA XII (Wiener Landesregierung).

Verstorben 1998.

 

 

Während diesen letzten Tagen Österreichs nach der Rede Schuschniggs am 24. Februar 1938 wurde die Parole ausgegeben "Rot-Weiß-Rot bis zum Tod", [wir haben in Wien] jeden Tag Zusammenstöße gehabt mit demonstrierenden Nationalsozialisten. Bei dem so genannten deutschen Eck, da war ein deutsches Reisebüro untergebracht, da ist im Schaufenster statt Reiseplakaten eine riesige Hitlerbüste gestanden, dahinter eine Hakenkreuzfahne, das war der Treffpunkt der illegalen Wiener Nazis, die hier auf- und abmarschiert sind und "Sieg Heil"-Rufe ausgetrommelt haben. Wir haben gegendemonstriert. Bei einer dieser Demonstrationen ist zum ersten Mal vor meinem Auge ein österreichischer Polizeibeamter in seiner grünen Uniform mit der roten Hakenkreuzarmbinde aufgetaucht. Noch vor dem 11. März. Und der hat mir also den Gummiknüppel über den Schädel gezogen. Es ist ihm dann die Uniform ausgezogen worden, er ist auch niedergeschlagen worden. [...]

 

In Graz war zu dieser Zeit schon was ganz anderes los, da war praktisch schon die ganze Stadt in der Hand der Nazis. Das wussten wir nicht. In Wien hat es später begonnen ...

 

Also wir haben uns zur Wehr gesetzt, so gut wir konnten. Wir haben alle Kräfte angespannt, um Wahlpropaganda zu betreiben für die von Schuschnigg angekündigte Volksabstimmung [gemeint ist die für den 13. März 1938 geplante Volksbefragung], und am 11. März war dann einfach alles zu Ende. In dieser Situation war einigen Freunden von mir vom Österreichischen Jungvolk und auch Leuten, die nicht dazugehört haben, klar, dass man das nicht so einfach hinnehmen kann, dass das keine endgültige Lösung ist. Und wir haben beschlossen, dagegen irgendetwas zu unternehmen, und haben von damals, vom ersten Tag des Einmarsches Hitlers an, eine kleine Gruppe gebildet, die sich hauptsächlich zusammengesetzt hat aus jungen Menschen der katholischen oder vaterländischen Weltanschauung, mit zwei oder drei Randfiguren, die mehr oder weniger indifferent waren, angereichert.

 

Dazu ist zu sagen, unsere erste Vorstellung war die, wir müssen möglichst alle, die wir persönlich ansprechen können, zu denen wir Kontakt haben, davon überzeugen, dass diese Lösung, die hier stattgefunden hat, keine endgültige ist, dass man Österreich nicht einfach so wegwischen kann, dass man gegen den Terror einer ausländischen Macht, die ein Land okkupiert, etwas unternehmen muss, dass man sich vor allen Dingen nicht vereinnahmen lassen darf.

 

Es ist, glaube ich, der heutigen Generation überhaupt nicht vorstellbar, welcher propagandistische Druck damals auf Österreich gelastet hat. Das war nicht einfach die Angst vor dem Terror oder die Angst vor den einrückenden Panzern oder der Jubel oder die Begeisterung, dass es jetzt bald keine Arbeitslosen mehr geben wird, dass sich alles zum Besseren wenden wird. Sicherlich haben diese Erwartungshaltungen auch eine gewisse Rolle gespielt. Es hat auch eine gewisse Rolle gespielt die Häme von nicht wenigen Sozialisten, die g'sagt ham: "Na, jetzt kriegen 's die Schwarzen einmal ordentlich, jetzt spüren einmal sie, wie das ist, wenn man politisch unterdrückt wird. Höchste Zeit, dass ma an Deutschland ang'schlossen wern." Es sind in dieser Stimmung manche zur SA gegangen damals, die früher beim Schutzbund waren. Das waren Sekundärerscheinungen.

 

Als eine Primärerscheinung sehe ich vielmehr die Perfektion einer Propaganda, die man auch bei heutigen modernen Maßstäben, wo man an Werbung einiges gewohnt ist, nicht vergleichen kann. Es war durchgestylt von A bis Z. Es hat begonnen mit dem lauten Radio, das tagelang, wochenlang buchstäblich gebrüllt hat, ununterbrochen, Tag und Nacht. Die Agitation der Nazis hat die Hausbewohner veranlasst, die Radioapparate - damals hat ja noch bei weitem nicht jeder einen Lautsprecher gehabt - auf die Fensterbretter zu stellen, dass der Lärm auf die Straße rausdringt. Es hat kein Haus gegeben, das nicht beflaggt war, es hat keine Plakatfläche gegeben, die nicht beklebt war. Es ist ununterbrochen auf der Straße etwas los gewesen durch Aufmärsche, durch Demonstrationen, durch dröhnende Gesänge und dergleichen mehr, durch Massenkundgebungen selbstverständlich. [...]

 

Und es ist kein Wunder, dass damals unter diesem unerhörten Propagandadruck tatsächlich sehr, sehr viele den Kopf verloren haben und sich gedacht haben, das gilt für eine ganze Ewigkeit, das ist gar nicht anders vorstellbar, nicht anders denkbar.

 

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