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Ludwig Steiner (1922 - 2015)

Mit dem Tiroler Widerstandskämpfer und ÖVP-Politiker Ludwig Steiner ist am 28. Juni 2015 ein großer Österreicher und langjähriger Weggefährte und Freund des DÖW gestorben.

Als Vizepräsident des DÖW ebenso wie durch seine Funktion im Stiftungsrat des DÖW setzte er sich für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Österreichs und die Anerkennung der Leiden der NS-Opfer ein. Nach seinem Ausscheiden aus Altersgründen 2011 blieb er dem DÖW auch weiterhin als Ehrenmitglied eng verbunden.

 

Die Trauerfeier für Ludwig Steiner fand am 22. Juli 2015 in der Friedhofskirche zum Heiligen Karl Borromäus auf dem Wiener Zentralfriedhof statt.

Ludwig Steiner, 2011 

 

Ludwig Steiner bei der Jahresversammlung des DÖW,
10. März 2011

 

Foto: DÖW

 

 

 

Der am 14. April 1922 in Innsbruck geborene Ludwig Steiner wurde früh durch das christlichsoziale Umfeld, in dem er aufwuchs, politisch geprägt. Als Mitglied einer katholischen Jugendgruppe bei den Jesuiten in Innsbruck war die Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland im März 1938 für den noch nicht ganz 16-Jährigen ein "tiefgreifendes Ereignis, weil ich gewusst habe, dass damit etwas Furchtbares auf uns, auch persönlich, zukommt", wie er sich später erinnerte:

 

"Unsere Jugendgruppe war auch in den Umsturztagen bereit, auf die Straße zu gehen und zu kämpfen. Wir waren bitter enttäuscht, als der Aufruf der Bundesregierung zur Vermeidung von Kampfhandlungen im Radio zu hören war. Besonders geschockt hat mich die sofort einsetzende Menschenjagd, in unserem Hause wurde in der Umsturznacht der Präsident der Arbeiterkammer verhaftet und dabei geschlagen; beeindruckt hat mich auch das Herunterreißen der rot-weiß-roten Fahne von der Kaserne des Kommandos der 6. Gebirgsbrigade durch Bundespolizisten mit Hakenkreuzarmbinden unter Jubel vor einer johlenden Menge."

Aus: DÖW (Hrsg.), Erzählte Geschichte, Bd. 2: Katholiken, Konservative, Legitimisten, Wien 1992, S. 132.

 

Um der Hitler-Jugend (HJ) zu entgehen, gründete Steiner noch im März 1938 mit Freunden aus der Katholischen Jugend und der Pfadfinder-Bewegung eine Jugendbergwacht:

 

"Wir haben eine ganz normale Sanitätsausbildung und auch Übungen und Rettungseinsätze gemacht. So entkamen wir der HJ. Mit zunehmender Verschärfung der internationalen Situation, besonders nach 1939, wurde dann die vormilitärische Ausbildung für alle verpflichtend. Dazu ist man als Nicht-HJler durch einen polizeilichen Befehl an die Eltern vorgeladen worden, mit einer Strafdrohung an sie bei Nichtbefolgung. Die vormilitärische Ausbildung hat die HJ in Uniform durchgeführt, wir anderen waren in Zivil. Diese Ausbildung spielte sich für uns ohne Waffen ab, dazu waren nur die HJler 'würdig'. Es wurden sogenannte Geländeübungen abgehalten. Dabei hat man die Leute, die nicht bei der HJ waren, als Feinddarsteller benützt, und die HJ hat sozusagen die Angriffe auf diesen Feind gemacht. Der Sinn war natürlich, dass man diese Nicht-HJ-Leute ordentlich verhaut. Es hat sich aber gar nicht immer in diese Richtung entwickelt!

 

Schon im Jahre 1938 erfolgten immer wieder Störaktionen von seiten der HJ gegen katholische Veranstaltungen, Prozessionen usw. Besonders arg und gemein waren die Störungen von Maiandachten im Jahre 1938. Da gibt es einen besonders markanten Fall: Vor der Jesuitenkirche in Innsbruck war ein KdF-Omnibus aus dem sogenannten Altreich mit Absicht so vor das Kirchentor herangefahren, dass es von innen am Schluss der Maiandacht nicht zu öffnen war. Wir sind dann auf einem anderen Weg aus der Kirche heraus und haben diesen Omnibus trotz angezogener Bremsen mit 'ho ruck!' brachial weggeschoben. Das hat einen Riesenwirbel ausgelöst, weil der Omnibus dabei nicht ohne Schaden blieb."

Aus: DÖW (Hrsg.), Erzählte Geschichte, Bd. 2, S. 426.

 

Steiners Vater, ein ehemaliger christlichsozialer Gemeinderat, wurde im September 1939 verhaftet und blieb bis Herbst 1940 u. a. in den KZ Sachsenhausen und Dachau in Haft. Auch Ludwig Steiner wurde einige Male von der Gestapo Innsbruck vorgeladen.

 

Im Oktober 1941 musste Steiner zur Deutschen Wehrmacht einrücken. Nach einer Verwundung 1943 kam er zum Gebirgsjäger-Ersatzbataillon 136 nach Innsbruck. Mit Kontakten zu den Brüdern Otto und Fritz Molden begann 1944 die Zusammenarbeit mit der Widerstandsorganisation O5. 1945 traf Ludwig Steiner den späteren Tiroler Landeshauptmann Karl Gruber, den Leiter der sich aus verschiedenen Kreisen formierenden Tiroler Widerstandsbewegung:

 

"Das erste Gespräch war gleich von Anfang an beeindruckend. Dr. Gruber sagte: 'Ja, schau, wir sind jetzt in einer Situation, wo sich kein Mensch mehr vor der Gestapo fürchten muss. Die Gestapo muss sich vor uns fürchten.' Das kann man heute nicht mehr so empfinden, aber das war damals ein Umkehrschluss, der verblüffend und sehr beeindruckend war."

Aus: DÖW (Hrsg.), Erzählte Geschichte, Bd. 2, S. 430.

 

1945 war Ludwig Steiner maßgeblich an der Befreiung Innsbrucks noch vor dem Eintreffen der Amerikaner beteiligt. Er stellte am 30. April 1945 am Gendarmerieposten Zirl den Kontakt mit den heranrückenden amerikanischen Truppen her, wobei das weitere Vorgehen besprochen wurde:

 

"Im Büro des Gendarmeriepostens in Zirl begann Major West zusammen mit anderen Offizieren mit mir über die Möglichkeit einer deutschen Gegenwehr auf der Straße nach Innsbruck zu beraten, auch Kriegsberichterstatter drängten herein und fotografierten. Die Frage war auch, ob es auf der Straße nach Innsbruck Minen gebe. Ich versicherte den Amerikanern, dass eine organisierte Gegenwehr vor Innsbruck nicht mehr möglich sei, und dass ich auf der Straße von Innsbruck her nichts von Minen bemerkt hätte. Innsbruck sei in der Hand der Widerstandsbewegung und die Straße über Kranewitten und Kranewitter Allee nach Innsbruck hinein für die Amerikaner frei. Ich hatte den Auftrag, auf ein rasches Vorrücken der Amerikaner zu drängen. Diese wollten aber vorerst nicht weiter vorrücken, sondern zuerst Infanteriespähtrupps vorausschicken. Während dieser Besprechung schoss plötzlich die Flak-Batterie von Ranggen noch einmal, dieses Mal direkt nach Zirl hinein. Wieder schossen die Amerikaner massiv zurück. Von den Amerikanern wurde niemand verwundet, aber die Aufregung war groß. Dann hat irgendjemand ich konnte nie in Erfahrung bringen, wer es war, vom Kirchturm an vier Seiten Altartücher gehisst, und plötzlich war alles still - die Kämpfe waren zu Ende! [...]

Da die Amerikaner noch nicht nach Innsbruck vorrücken wollten, mussten wir einen weiten Bogen um Innsbruck machen. In den Dörfern Hatting, Kematen, Völs und am südlichen Rand von Innsbruck, wo wir vorbeifuhren, gab es überall schon rot-weiß rote Fahnen oder weiße Fahnen."

Aus: DÖW (Hrsg.), Erzählte Geschichte, Bd. 2, S. 435 f.

 

Die militärische Befreiungsaktion der Widerstandsbewegung begann am 2. Mai 1945 mit der Besetzung aller Kasernen, am Abend des 3. Mai konnten die US-Truppen kampflos in die befreite Stadt einmarschieren.

 

Ludwig Steiner, 1945Lagebesprechung im Gendarmerieposten Zirl, 30. April 1945.

Von links: Lt. Peter Random, Major Bland West, Ludwig Steiner

Foto: DÖW

 

Nach Kriegsende begann Steiner an der Universität Innsbruck das Studium der Volkswirtschaftslehre, das er 1948 abschloss. Anschließend trat er in den diplomatischen Dienst ein und war u. a. 1952 bis 1953 Sekretär des Außenministers Dr. Karl Gruber und 1953 bis 1958 Sekretär des Bundeskanzlers Ing. Julius Raab. In letzterer Funktion nahm er an den Verhandlungen im April 1955 in Moskau teil, die zum Abschluss des österreichischen Staatsvertrags im Mai 1955 führten. 1961 bis 1964 war Ludwig Steiner Staatssekretär im Außenministerium, 1964 bis 1972 Österreichischer Botschafter in Griechenland und Zypern und ab 1972 Leiter der Politischen Sektion des Außenministeriums.

 

1979 bis 1990 war er als Nationalratsabgeordneter und außenpolitischer Sprecher der ÖVP tätig. Außerdem war er von 1989 bis 1996 Präsident der Politischen Akademie der ÖVP. Von Dezember 2000 bis 2005 leitete Ludwig Steiner den Österreichischen Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit (Versöhnungsfonds) zur Entschädigung ehemaliger NS-ZwangsarbeiterInnen.

 

Für seine zahlreichen Verdienste wurde Ludwig Steiner u. a. mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen der Republik Österreich, dem Ehrenzeichen des Landes Tirol und dem Verdienstorden des Landes Südtirol ausgezeichnet.

 

 

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