Alexander Prenninger: Das letzte Lager
Dissertation, Universität Wien, 2017 (Abstract)
Diese Arbeit wurde mit dem Herbert-Steiner-Preis 2018 ausgezeichnet.
Die eingereichte Dissertation beschäftigt sich mit Transporten von Häftlingen in den KZ-Komplex Mauthausen in der Zeit von Herbst 1943 bis zur Befreiung im Mai 1945. In der Forschung und in einer breiteren medialen Öffentlichkeit sind diese Transporte zumeist als "Todesmärsche" bekannt, ein Begriff, der von Überlebenden bereits unmittelbar nach der Befreiung geprägt wurde und mit exzessiver Gewalt gegen die Häftlinge und hohen Todesraten verbunden ist. Im Falle Mauthausen betrifft dies insbesondere die Todesmärschen der ungarischjüdischen ZwangsarbeiterInnen vom "Südostwall".
Entgegen einer in der Forschung häufig bevorzugten Fokussierung auf ein einzelnes Konzentrationslager bzw. einen Lagerkomplex habe ich einen Ansatz gewählt, der Mauthausen in den gesamten Raum des nationalsozialistisch beherrschten Europas einbettet und die Zusammenhänge zwischen militärischen Entwicklungen, Besatzungspolitiken, Arbeitskräftebedarf und den Häftlingstransporten in der Endphase des NS-Regimes aufzeigt. Die vorliegende Arbeit geht dabei auch über die in der Forschung dominierende Sicht auf einen bestimmten Lagertypus hinaus und bezieht das gesamte nationalsozialistische Lagersystem in die Untersuchung ein. Die Evakuierung von Konzentrations-, Zwangsarbeits-, Arbeitserziehungs-, Kriegsgefangenen- oder Gestapolagern und Gefängnissen als Folge des alliierten Vormarsches einerseits und der wachsende Bedarf an (Zwangs-)Arbeitskräften im Inneren des Deutschen Reiches andererseits (etwa bei der Untertageverlagerung der Rüstungsindustrie) führten dazu, dass sich das KZ Mauthausen bzw. der wachsende Komplex von Außenlagern aufgrund der geographischen Lage und der Bedeutung für die Rüstungsindustrie zu einem zentralen Evakuierungsraum im Süden des Reiches entwickelte. Im Funktionswandel des KZ-Systems kam Mauthausen in seiner letzten Phase eine wichtige Rolle als Evakuierungslager zu.
Die vorliegende Dissertation zeigt, dass Todesmärsche nur einen Teil der zahlreichen Häftlingstransporte in der Endphase des nationalsozialistischen Lagersystems ausmachten, und versucht deshalb zunächst eine genauere begriffliche Einbettung der "Todesmärsche" in einen breiter gefassten Begriff von "Evakuierungstransporten". Diese Begriffswahl ermöglicht es, über die mit den "Todesmärschen" oftmals – von Überlebenden wie ForscherInnen – verbundene genozidale Intention der Transporte hinaus genauer zu differenzieren, warum bei manchen Evakuierungstransporten keine oder nur wenige Häftlinge starben, andere Transporte dagegen mit massenhaftem Mord verbunden waren. Für diesen Befund waren insbesondere die Berichte von Überlebenden eine zentrale Quelle.
Neben einem faktographischen Ansatz, für den überwiegend Archivquellen verwendet wurden, verfolgte meine Dissertation auch das Ziel einer Erfahrungsgeschichte der Überlebenden. Neben publizierten wie unpublizierten schriftlichen Ego-Dokumenten bildeten die Interviews des Mauthausen Survivors Documentation Project (MSDP), ergänzt durch Interviews aus anderen Sammlungen, eine wesentliche Basis zur Untersuchung. Die Analyse der Erzählungen zeigt, dass die Erfahrungen bei den Evakuierungstransporten von den Überlebenden in einen Erfahrungszusammenhang eingebettet werden und sich in der Rückschau und im Vergleich mit anderen Ereignissen – im Besonderen früheren Transporterfahrungen – bilden. Die Schilderungen der Evakuierungstransporte sind auch abhängig von zuvor und später gemachten Erfahrungen während der gesamten Zeit der Deportation.
Die Dissertation füllt somit eine große Lücke in der Forschung zur Endphase des KZ Mauthausen, die bisher nur partiell und partikular untersucht worden ist. Die Arbeit geht auch über derzeit dominierende Ansätze in der KZ-Forschung hinaus, indem sie einen einzelnen Lagerkomplex zum Ausgangspunkt nimmt, um das Phänomen der Evakuierungstransporte in seinen größeren Zusammenhängen zu untersuchen und dabei das gesamte Netzwerk der nationalsozialistischen Lager in den Blick zu nehmen.
Alexander Prenninger, Historiker, Wien und Salzburg
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