Friedrich Hexmann, geb. 1900 in Brünn. 1918 am Jännerstreik beteiligt, Mitbegründer der KPÖ am 3. November 1918, 1919 Sekretär des Kommunistischen Jugendverbandes, in den 1920er Jahren als Parteiredner aktiv, Politbüromitglied. Festnahme Ende 1934, mehrjährige Haft, u. a. im Anhaltelager Wöllersdorf. 1938-1945 Exil in der UdSSR.
Nach Kriegsende bis 1947 KPÖ-Vertreter bei der KPdSU in Moskau, u. a. zuständig für Repatriierungsfragen. Rückkehr nach Wien, Parteifunktionär im Politbüro und im ZK der KPÖ.
Verstorben 1991.
Es kommt, glaube ich, der 21. Jänner 1918, plötzlich versammelt sich alles im Hof, der ganze Betrieb - wie die Leute damals Platz gehabt haben, das weiß ich nicht, die sind nebeneinander gestanden wie die Sardinen. Wir haben ja Telefone, Feldtelefone, vor allem für die Front hergestellt, waren ein militarisierter Betrieb, und nicht ständig, aber sehr oft war ein Offizier da. Da sammeln sich die Arbeiter, einer tritt auf, der Betriebsrat, der Vertrauensmann, spricht dort von so einem Stiegenaufgang: "Streik, Schluss, geschlossener Streik!" Das hat sich wie ein Feuer verbreitet in ganz Wien. [...] Vom Militär wurde ein Aushang gemacht, "Streik verboten" usw., "Sofort die Arbeit aufnehmen", wenn nicht, dann Strafe von soundso viel Jahren bis zur Todesstrafe. Aber die Angestellten haben nicht gestreikt. Über das Ausmaß haben wir noch keine Ahnung gehabt. Abends sind die Streikenden immer zusammengekommen, nicht nur von meinem Betrieb, sondern auch von anderen, in einem Gasthaus auf der Landstraßer Hauptstraße, die einen Saal gehabt haben, im Hof. Der war überfüllt, der Vorhof überfüllt bis auf die Straße hinaus, drinnen wurde gestritten, später hat mir dann einer erzählt, wer dort gesprochen hat von den Linken. Das war der Arnold Baral, ein Anarcho-Syndikalist, war aber organisiert, kein Spinner, sondern ein Draufgänger, der sich eingefügt hat in die Sache mit den Linksradikalen. Die wollten ihm das Wort nicht geben und die Leute haben gerufen: "Lassts den Russen reden!" Er war Pole, hat aber ausgeschaut, als wäre er ein russischer Intellektueller. Vorne haben einige gesungen. In der Mitte war ein Schneeberg - es war eines der schneereichsten Jahre -, dort sind einige raufgetreten und haben gesungen "Soldat der Revolution". Da haben wir halt mitgesungen, das war ziemlich leicht zu singen, und da habe ich versäumt zu fragen: "Wer seid ihr und was ist", und anstatt dass die Trotteln dort eine Ansprache und Rede gehalten hätten, haben die "Soldat der Revolution" gesungen. Und so habe ich also versäumt, den Anschluss an die Linksradikalen zu finden, denn die waren dort, die Linksradikalen und der Baral.
Dann strömen die Leute raus, kommt eine Tramway, was weiß ich, bleibt nicht stehen. Die hauen die Tramway zusammen, wollen sie umschmeißen. Und jetzt kommt berittene Polizei, die sich dort in einem Haus in irgendeinem Hof versteckt gehabt hat - das war ihre Methode, sich nicht sehen zu lassen, dann raus den Säbel und alles auseinandergehauen. Die Kundgebung war aus.
Am nächsten Tag komme ich hin, wieder eine Menge Leute, nicht mehr so viel, aber der ganze Hof gesteckt voll. Nichts rührt sich, plötzlich steht ein junger Mann auf - das dürfte ein Student gewesen sein - und sagt: "Ja, leider, der Referent kann nicht kommen, er ist verhindert!" Was weiß ich, was in mich gefahren ist - ich denke mir, das ist doch unmöglich, Hunderte Leute, jetzt haben sie keinen Referenten, man sollte den Leuten was sagen. Reiß mich zusammen, stürme hinauf auf den Schneehaufen und halte die erste Rede meines Lebens ohne Zettel, ohne nichts - später konnte ich ohne Zettel nicht reden - und rede dort. Na, was habe ich geredet, was meinen Sie? All die Losungen der Bolschewiki, die ich gelesen habe in der "Arbeiter-Zeitung": "Für den 8-Stunden-Tag! Für den sofortigen Frieden! Sturz der Monarchie! Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte! Räumt die Lager der Bourgeoisie aus!" oder - Bourgeoisie habe ich ja nicht gekannt, das hätte ich ja nicht aussprechen können - "Räumt die Keller der Reichen aus und verteilt das unter die Armen!" Alles was gut und teuer ist. "Wenn der nicht weicht, dann Gewalt" und "Wenn ihr keine anderen Waffen habt, dann nehmt die ehrliche Waffe des Arbeiters in die Hand, den Hammer" usw. Geschwitzt habe ich von oben bis unten. Beifall hab ich bekommen, das war ein Sturm, Frauen sind gekommen und haben mich abgebusselt, ein Mädchen hat mir die Hand geküsst. Für mich war das unvorstellbar. Dann sagt ein anderer: "Eine Schand, dass das uns ein junger Mann sagen muss, das hätten doch wir Erwachsene sagen müssen, aber wir danken Ihnen, und er hat uns aus der Seele gesprochen. So, und jetzt werden wir ihn begleiten, damit ihn kein Spitzel verhaftet!" Ich habe keine Ahnung von Spitzeln gehabt, ich habe mir gedacht, es existieren nur die Wachleute mit den Helmen, mit der blinkenden Metallspitze. Fragt mich der noch: "Habts ihr Waffen?" Hat mich als großen Organisator angesehen. Sage ich ihm: "Im Arsenal sind genug!" Sagt er: "Bewacht sind sie einen Schmarrn, jeder kann dort reingehen, die streiken ja auch." Dann sagt er: "Ja, aber ihr müssts aufpassen, die Eisenbahn streikt nicht!" So habe ich mir die Losungen von unten geholt, ich habe ja keinen Ratgeber gehabt. [...] Sagt er: "Und jetzt laufen!" Sie haben Acht gegeben, dass niemand nachkommt, ich bin ums Eck gelaufen usw. Unvorsichtig gehe ich wieder zurück und bin faktisch den Kieberern [Polizisten], die bei jeder Versammlung dabei waren und die Leute dann bis nach Hause verfolgten und später verhaftet haben, in die Arme gelaufen. [...]
Schließlich und endlich wurde ich ins Landesgericht überführt. Das war dort schrecklich. Eine so genannte Jugendzelle, das war eine Zelle für sechs Personen und dort waren mit mir 24 Jugendliche. Wenn die Matratzen nachts aufgelegt worden sind, die früher Betten waren, so war der ganze Raum belegt und wir sind dort wie die Heringe einer neben dem anderen gelegen. Beim Spazieren und Auf- und Abgehen, da mussten immer 20 warten und vier konnten hin- und hergehen.
Dann konnten die nächsten vier gehen und so weiter. Ein Tisch für sechs Leute. Da hat es sozusagen einen Kampf gegeben, da waren die Ältesten, das waren die, die anzuschaffen hatten, die am längsten in Haft waren. Die konnten dort sitzen. [...]
Im Juni waren wieder Streiks, und da ist die zweite Partie der Linksradikalen eingeliefert worden, das waren der Lazarowitz und andere. [...]
Der Untersuchungsrichter hat sich dann entschlossen, mich im Juni zum Lazarowitz in die Zelle zu geben, in der Annahme, da ist wirklich kein Zusammenhang. Ich komme in die Zelle, nimmt der [Maximilian Lazarowitz] an, ich bin ein Krimineller. Ich sage: "Nein, ich bin ein Politischer." Schaut er, er hat ja alle gekannt, so viele waren es ja nicht. So ein Dutzend Studenten und ein Dutzend Vertrauensleute von Neunkirchen und Wiener Neustadt, in Floridsdorf ein paar und im 10. Bezirk ein paar. Die führenden Leute haben sich alle gekannt, die 20, 30, die da waren. Die etwas zu reden gehabt haben. Er beginnt ein kleines Gespräch: "Was sagen Sie zu Lenin?" Lenin habe ich gewusst aus der AZ. Ich habe ihm erzählt, alles was Lenin fordert usw. Dasselbe habe ich dort geredet, sage ich. "Wer ist Marx?" Keine Ahnung. "Wer ist Engels?" - "Engels, Engels, soll er nicht Engel heißen?" - "Kennen Sie ihn?" - "Nein." - Was ist der 1. Mai?" - "Nichts." - "Was ist die Pariser Commune?" - "Was ist das?" - "1871 in Paris." "Da war doch noch der Deutsch-Französische Krieg." - "Da war auch die Commune!" Sein Gesicht wird länger, er bricht das Gespräch ab. Ich war für ihn ein Spitzel. Er hat angenommen, ich sei reingeschickt worden, um ihn auszuhören. Am nächsten Tag, immerhin war ich eine Persönlichkeit, sind wir drei - der Baral, der Lazarowitz als Streikführer vom Juni und ich als Streikführer vom Jännerstreik oder als Jugendlicher separat in den Hof geführt worden. Da geht der Lazarowitz zum Baral, lässt mich zurück, um dem zu sagen: "Das ist ein Spitzel, den haben sie mir hineingeschickt, der hat keine Ahnung von der Arbeiterbewegung, 1. Mai und nichts." Da haut ihn der Baral zusammen: "Sind Sie blöd oder was, ich habe doch das Protokoll geschrieben, der leidet" - der Baral war sehr tapfer, aber auch sehr überschwenglich - "der leidet mit mir seit Jänner hier!" Viel gelitten haben wir nicht, von draußen haben wir Pakete bekommen. Da gab es eine Hilfsorganisation, das war sehr gut organisiert, und außerdem noch von zu Hause. Ich habe in der Haft nicht gehungert. [...]
Der Lazarowitz hat mir dann die Grundbegriffe des Marxismus beibringen wollen, viel hat er auch nicht gewusst, aber immerhin was Lenin gesagt hat zum Krieg, die Parolen. Da sind ja die Linksradikalen allesamt dazu gestanden, einschließlich der Forderung nach einer Volksabstimmung mit dem Recht der staatlichen Lostrennung. Da waren die Linksradikalen die Einzigen und haben auch zu den Serben Verbindung gehabt. Aber einiges habe ich gelernt und vor allem, mit seiner Fistelstimme, die Marseillaise und die Internationale. Wie ich herausgekommen bin, war ich schon ein Linksradikaler, aber Linksradikaler bin ich erst im Gefängnis geworden.