Dissertation, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 2016 (Abstract)
Diese Arbeit wurde mit dem Herbert-Steiner-Anerkennungspreis 2017 ausgezeichnet.
In meiner Dissertation untersuche ich die Formen und Ausprägungen von Sport in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Anhand einer systematischen Analyse verschiedener Quellen (unter anderem Erinnerungsberichte und Zeichnungen) zeige ich, dass erstens Sport (Fußball) ab 1942 in den Konzentrationslagern einer Gruppe von Häftlingen erlaubt wurde, als Anreiz, um ihre Arbeitskraft zu stärken. Als Unterhaltung für die SS fanden in einigen Konzentrationslagern regelmäßig Boxkämpfe statt, in den Häftlinge gegeneinander kämpfen mussten. Sportliche Übungen wurden aber vor allem von den SS-Aufsehern genutzt, um die Häftlinge zu demütigen und zu quälen.
Die Häftlinge mussten rollen, hüpfen oder Liegestützen machen, in den meisten Fällen über individuelle Grenzen der Erschöpfung hinweg und "ohne Rücksicht auf alte oder kranke Männer". Diese Praktik der Gewalt knüpft an militärische Praktiken des Exerzierens und des militärischen Sports an. Ich beschreibe diese gegenderte Praxis in ihrer Performativität. Unter Einbeziehung der Kategorien gender und race gelingt es mir zu zeigen, dass diese Praxis ein "doing otherness" war, mit der die Häftlinge sicht- und spürbar aus dem Referenzrahmen einer hegemonialen Männlichkeit ausgeschlossen werden sollten und konnten.
Der erlaubte Sport in den Konzentrationslagern wiederum war eine Gunstbezeugung. Es gelang einigen Häftlingsgruppen in einer bestimmten Phase des Lagers, Fußball- oder Boxwettkämpfe unter Duldung der SS zu organisieren. Dazu bedurfte es jedoch im Kontext der Lager eines privilegierten Zugriffs auf materielle Ressourcen wie Lebensmittel und Kleidung.
Mit diesem analytischen Nahblick auf Sport eröffne ich eine Perspektive, die das gegensätzliche Erleben von verschiedenen Gefangenengruppen darstellt. Zugleich ist es mir möglich, Entwicklungen in der Macht- und Gewaltstruktur der Lager herauszuarbeiten.
Meine Arbeit ist ein neuer Beitrag zur Frage nach dem Wechselverhältnis von Geschlecht (insbesondere Männlichkeit), Sport und Gewalt, der Alltagsgeschichte der Konzentrationslager und nicht zuletzt zu den Wirkungsweisen von Macht und Gewalt.
Veronika Springmann, Historikerin, Berlin
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