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Türkisch-nationalistische Wahlfeiern in Wien-Favoriten

Neues von ganz rechts - Mai 2023

Am 28. Mai wurde Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan (Adalaet ve Kalkinma Partisi/AKP, „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“) zum Sieger der Stichwahl um die türkische Präsidentschaft erklärt. In Reaktion darauf kam es am Wahlabend am und um den Reumannplatz in Wien-Favoriten zu Freudenkundgebungen von AnhängerInnen des Regierungslagers, einschließlich der Formierung von Autokorsos. Dies, obwohl die Wiener AKP-Expositur ihre SympathisantInnen im Vorfeld per Facebook ausdrücklich dazu aufgerufen hatte, unabhängig vom Wahlergebnis von Kundgebungen im öffentlichen Raum abzusehen. Während der Feiern forderte sie in einem weiteren Facebook-Posting dazu auf, den Reumannplatz zu verlassen.

Auf Videos in sozialen Netzwerken war – neben einer Vielzahl an türkischen Fahnen und Erdoğan-Portraits – zu sehen, dass TeilnehmerInnen der Spontankundgebung „Allahu akbar“ riefen oder den sogenannten Wolfsgruß zeigten, der insbesondere im Milieu der rechtsextremen „Grauen Wölfe“ gängig und in Österreich seit März 2019 durch das Symbolegesetz verboten ist. Auch die Parole „Şehitler Ölmez, Vatan Bölünmez“ („Märtyrer sind unsterblich, das Vaterland ist unteilbar“) war zu hören. Auch sie wurde von den „Grauen Wölfen“ in den 1990er Jahren in den türkischen politischen Diskurs eingespeist und wird insbesondere in antikurdischem Kontext verwendet. Mit „Aponun Piçleri Öldüremez Bizleri („Die Bastarde von Apo [PKK-Anführer Abdullah Öcalan, Anm.] können uns nicht aufhalten“) riefen einige Jugendliche eine weitere Parole, die in der türkischen extremen Rechten weit verbreitet ist.

Im Hintergrund mehrerer auf der Plattform TikTok hochgeladener Videos der Feierlichkeiten ist der Wahlkampfsong Erdoğans zu hören, aber auch Hip Hop mit antikurdischen Inhalten. Die Stoßrichtung, Kurd*innen (und die Parteien der Opposition) pauschal des Terrorismus bzw. der Kollaboration mit diesem zu bezichtigen, steht sowohl im Einklang mit der Tradition des türkischen Ethnonationalismus, als auch mit der Wahlkampflinie der AKP und ihrer rechtsextremen Partnerpartei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, „Partei der Nationalistischen Bewegung“).


Die Tatsache, dass religiöse und rechtsextreme Parolen und Symbole nebeneinander zirkulieren, verweist auf die Islamisierung der etablierten türkischen Rechtsaußenparteien ebenso wie auf die Zusammensetzung der „Volksallianz“ (des Erdoğan unterstützenden Wahlbündnisses Cumhur Ittifakı), die seit 2018 existiert, sich vor den heurigen Wahlen aber verbreitert hat. Zur AKP und den rechtsextremen Parteien MHP und deren Abspaltung BBP (Büyük Birlik Partisi, „Partei der Großen Einheit“) gesellten sich zwei islamistische Kräfte: die HÜDA PAR (Hür Dava Partisi, „Partei der gerechten Sache“), die von ehemaligen Mitgliedern der 2020 zerschlagenen kurdisch-sunnitischen Terrororganisation Hizbullah (nicht zu verwechseln mit der libanesisch-schiitischen Partei gleichen Namens) gegründet wurde, und die vom Sohn Necmettin Erbakans gegründete YRP (Yeniden Refah Partisi, „Neue Wohlfahrtspartei“).

Die unangekündigten Feierlichkeiten erinnern in Symbolik, Inhalten, der spontanen Mobilisierung über Social Media und der überwiegenden Beteiligung junger Männer an den Juni 2020, als es in Favoriten zu mehrtägigen anti-linken, anti-kurdischen und anti-feministischen Kundgebungen und Ausschreitungen kam. Gewalttätige Zwischenfälle blieben diesmal aus. Als auffällig zu vermerken ist die Präsenz syrischer Fahnen – mutmaßlich auch eine Folge der Ankündigung des Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu, im Falle seines Wahlsiegs alle syrischen Flüchtlinge des Landes zu verweisen, was nicht zuletzt in arabischsprachigen Medien breit thematisiert wurde.

Von Seiten der autochthonen österreichischen Rechten wurden die Ereignisse erneut als Beleg für ein Scheitern der österreichischen (und insbesondere Wiener) Migrations- und Integrationspolitik gewertet. Integration wird dabei – wo nicht rundweg abgelehnt – auf eine Bringschuld von Zugewanderten reduziert, während Personen aus dem islamisch geprägten Kulturkreis gleichzeitig oft eine grundsätzliche Unwilligkeit und/oder Unfähigkeit zur Integration unterstellt wird. Türkisch-nationalistische Manifestationen werden zudem verlässlich zur Ethnisierung und Externalisierung der Rechtsextremismus-Problematik im Allgemeinen und des Antisemitismus im Besonderen herangezogen.

Als erhellend erweisen sich demgegenüber die Ergebnisse der im April vorgelegten dritten IFES-Antisemitismusstudie im Auftrag des Österreichischen Parlaments. Sie weisen für kürzlich Zugewanderte aus mehrheitlich islamischen Ländern signifikant niedrigere Antisemitismuswerte aus als für solche, die schon länger in Österreich leben, was zumindest auf eine Mitverantwortung der österreichischen Gesellschaft und Politik und der von diesen generierten Ausschlusserfahrungen verweist.

 

 

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