Willy Verkauf, geboren am 6. März 1917 in Zürich, wuchs im 2. Wiener Gemeindebezirk, wohin die Familie 1921 übersiedelt war, in einem sozialdemokratisch geprägten Umfeld auf. Er gehörte als Kind den Roten Falken, ab 1931 der Sozialistischen Arbeiterjugend an und hatte Kontakt zu den sozialistisch-zionistischen Organisationen Blau-Weiß und Poale Zion; später schloss er sich dem Kommunistischen Jugendverband an.
"Am 30. Jänner 1933 wurde Hitler durch Hindenburg zum Reichskanzler bestellt. Ich habe selber erlebt, wie dies auf der Wiener Ringstraße von österreichischen Hakenkreuzlern mit frenetischem Jubel gefeiert wurde. Ich kam an diesem Abend bedrückt, aber zum Handeln entschlossen nach Hause. Beim Abendessen sagte ich: 'Wir fahren nach Palästina'. Mein Vater, der nach dem Pfundsturz seine Strickwarenfabrikation schließen hatte müssen und eben dabei war, mühsam wieder eine neue Existenz aufzubauen, sah mich erstaunt an."
(Willy Verkauf-Verlon, Situationen. Eine autobiographische Wortcollage, Wien 1983, S. 15)
Im September 1933 emigrierte Verkauf mit seinen Eltern und seinem 1928 in Wien geborenen Bruder Armin nach Palästina, damals britisches Mandatsgebiet. |
Willy Verkauf (ganz rechts) in Jerusalem, 1944 |
Zunächst als Landschaftsgärtner beschäftigt, folgten 1938 erste publizistische Arbeiten als Korrespondent für die in Moskau erscheinende Monatsschrift Das Wort. Im selben Jahr heiratete er die gebürtige Litauerin Hanna Lipschitz (1917–1973). Beide wurden 1939 wegen Verdachts der Mitgliedschaft bei der illegalen Kommunistischen Partei Palästinas verhaftet und zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach der vorzeitigen Haftentlassung 1940 zogen sie von Tel Aviv nach Jerusalem.
In dem kleinen Verlag, den Willy Verkauf 1942 in Jerusalem aufbaute, erschien 1944 die Schilderung des ehemaligen Redakteurs der Neuen Freien Presse Theodor F. Meysels über die ersten Tage nach dem "Anschluss" 1938: Die erste Woche. Notizen eines österreichischen Journalisten. (DÖW Bibliothek EX 1287)
Ebenfalls im Verlag Willy Verkauf wurden bis 1946 Gedichte von Hanna Lipschitz – Klärendig (nachdenklich), in jiddischer Sprache – und mehrere deutschsprachige Broschüren herausgebracht, u. a.:
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Theodor F. (Friedrich) Meysels (1899–1963) flüchtete 1938 nach Palästina, 1959 kehrte er nach Wien zurück. Seine am 5. März 1941 von Wien nach Modliborzyce deportierten Eltern Jakob (geb. 1871) und Johanna (geb. 1881) Meysels (Meisels) wurden Opfer der Shoah. Meysels Bruder Robert (geb. 1905) überlebte im Exil in Australien. |
Willy Verkauf war im Oktober 1942 Mitbegründer der Exilorganisation Free Austrian Movement (FAM / Freie Österreichische Bewegung) in Palästina.
"Eine der Aufgaben unserer Organisation war die ständige Versorgung der Presse, des Rundfunks, der alliierten, zivilen und militärischen Stellen mit Informationen über Österreich. Auch die Kontakte mit diplomatischen Vertretungen, kirchlichen Organisationen zwecks moralischer Unterstützung der Wiedererrichtung eines freien Österreichs waren wichtig. Meine eigene Tätigkeit ging zum Teil über den 'offiziellen Rahmen' meiner Funktion hinaus. Ich war inzwischen Generalsekretär der Bewegung im Nahen Osten geworden. In dieser Eigenschaft stand ich in engem Kontakt mit der Abteilung 'Psychological Warfare' in der VIII. Britischen Armee, und in dieser selbst mit G. E. R. Gedye, der vor 1938 Korrespondent in Wien und ein ausgezeichneter Kenner der österreichischen Probleme war."
(Willy Verkauf-Verlon, Situationen. Eine autobiographische Wortcollage, Wien 1983, S. 57)
Bestätigung von Georg Fuchs, 21. 3. 1944: Willy Verkauf übernimmt Fuchs’ Funktionen in der Österreichischen Gesellschaft in Palästina und in der FAM.
Der Wiener Arzt und Wissenschaftler Georg Fuchs (1908–1986) gehörte ab 1935 der illegalen KPÖ an. 1938 flüchtete er über Belgien in die Türkei. Ab 1942 lebte er in Palästina und war Mitbegründer der FAM in Palästina. Nach seinem Beitritt zur britischen Armee war er zunächst als Militärarzt in Italien (Bari) stationiert und kehrte später mit den britischen Truppen nach Wien zurück. |
"Ende 1944 traten amerikanische Militärstellen aus Kairo an mich mit dem Vorschlag heran, eine Gruppe von jüngeren Österreichern zur Ausbildung als Fallschirmspringer heranzuziehen, damit diese den Widerstand gegen die deutschen Besetzer nach ihrem Absprung auf österreichisches Gebiet unterstützen könnten. Wegen des bald darauf folgenden Sieges der Alliierten wurde dieses Projekt, für das ich eine Reihe von Freiwilligen gefunden hatte, nicht mehr durchgeführt."
(Willy Verkauf-Verlon, Situationen. Eine autobiographische Wortcollage, Wien 1983, S. 59)
John G. Heyn, Kairo, an Willi Verkauf, 5. 10. 1944: Ersuchen um vertrauliche Übermittlung einer Liste von Personen, die bereit wären, nach Österreich zurückzukehren.
John G. (Gienger) Heyn (1906–1996) gehörte dem Counter Intelligence Corps (CIC, Nachrichtendienst der US-Armee) an. Von Anfang bis Ende 1946 war er in Wien für das Strategic Services Unit (SSU), die Nachfolgeorganisation des US-Kriegsgeheimdienstes Office of Strategic Services (OSS), tätig. |
Willy Verkauf stand auch in Verbindung mit dem Steirer Herbert Feuerlöscher in Istanbul, der seinerseits Kontakte zu NS-Gegnern in Österreich hatte.
Herbert Feuerlöscher (1907–1976) gehörte im türkischen Exil der KPÖ-Gruppe um den Architekten Herbert Eichholzer (1903–1943, er kehrte im Parteiauftrag 1940 nach Österreich zurück, wurde 1941 festgenommen und 1943 hingerichtet) an.
Herbert Feuerlöscher, Istanbul,
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Im Herbst 1945 bemühte sich Verkauf um die Rückkehr nach Österreich und plante die Herausgabe einer Kulturzeitschrift mit dem Titel Erbe und Zukunft. Am 12. Oktober 1945 bot er dem im mexikanischen Exil lebenden österreichischen Journalisten Bruno Frei (Benedikt Freistadt, 1897–1988) an, die Chefredaktion dieser Zeitschrift zu übernehmen:
"In Zusammenarbeit mit verschiedenen österreichischen Kulturschaffenden in der Emigration tauchte mir der Gedanke der Schaffung einer Monatsschrift auf. Ich schicke den gewählten Namen dieser Zeitschrift voraus, weil er im Wesentlichen bereits die Richtung angibt: 'ERBE und ZUKUNFT'. Die Pflege des positiven österreichischen Kulturerbes, verbunden mit der Heranziehung der bewusst österreichischen und demokratischen zeitgenössischen Kultur und die Wegweisung in die Zukunft sollen die wesentlichen Aufgaben sein. […]
Was ich heute möchte ist folgendes: teilen Sie mir Ihre Meinung über diese Zeitschrift mit und teilen Sie mir gleichzeitig mit, ob Sie bereit sind, die Chefredaktion dieser Zeitschrift zu übernehmen."
Am 18. November 1945 antwortete Frei: "Es ist für mich sehr schmeichelhaft, dass Sie und andere glauben, dass ich der Aufgabe gewachsen bin, ein solches Unternehmen literarisch und politisch zu leiten. Selbstverständlich nehme ich Ihren Vorschlag an und ich darf hinzufügen: mit Begeisterung." Dazu sollte es allerdings nicht kommen. Frei, in Mexiko Mitbegründer der Accíon Republicana Austriaca de México (ARAM) und Herausgeber von Austria Libre und Alemania Libre, konnte wegen zahlreicher Schwierigkeiten bei der Beschaffung von (Transit-)Visa erst 1947 nach Wien kommen.
Briefwechsel Willy Verkauf, Jerusalem – Bruno Frei, Mexiko, 1945/46
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Schreiben der FAM in Palästina an Willy Verkauf, 4. 4. 1946: Dank für die geleistete Arbeit und Bitte, sich in Wien bei der Alliierten Kommission für Österreich um die Rückkehrerlaubnis für die angeführten Personen einzusetzen.
Willy Verkauf reiste im März 1946 aus Tel Aviv ab und traf im April 1946 in Wien ein. Hier trat er der KPÖ bei und richtete als Angestellter des kommunistischen Globus-Verlags die Zentralbuchhandlung ein. |
Die erste Ausgabe von Erbe und Zukunft. Zeitschrift für Literatur, Musik, Geschichte u. Philosophie erschien im Oktober–Dezember 1946. Herausgeber, Eigentümer und Verleger war Willy Verkauf.
Insgesamt erschienen bis zum Jahreswechsel 1947/48 vier Ausgaben. Zu den Autoren zählten u. a. Franz Theodor Csokor, Bruno Frei, Hugo Huppert, Theodor Kramer, Kurt Blaukopf, Arnold Zweig, Berthold Viertel und Ernst Waldinger.
Weil er Erbe und Zukunft nicht an den Globus-Verlag abgeben wollte, musste Verkauf, der im Juni 1947 aus der KPÖ ausgeschlossen wurde, die Zeitschrift einstellen.
Erbe und Zukunft 1/1946 |
Nach längeren Aufenthalten in der Schweiz und in Israel – Verkauf verfasste zu dieser Zeit das Standardwerk Dada. Monographie einer Bewegung – lebte er ab 1958 wieder in Wien. In dieser Zeit wandte er sich – unter dem Künstlernamen André Verlon – den bildenden Künsten zu und entwickelte eine eigene Technik, das Montage-Painting. Seine Arbeiten waren in den folgenden Jahren u. a. in Museen und Galerien in New York, London, Paris und Wien zu sehen.
André Verlon, Sein oder Nichtsein, 1963
© DÖW, Foto: Christoph Fuchs
Von 1961 bis Anfang der 1970er-Jahre lebte und arbeitete Verkauf in Frankreich und Israel, anschließend wieder in Wien. In den Publikationen Situationen. Eine autobiographische Wortcollage (Wien 1983) und Mit scharfer Optik (Wien o. J.) skizzierte er sein politisches und künstlerisches Leben.
Willy Verkauf war Vorsitzender der Theodor-Kramer-Gesellschaft, Ehrenmitglied der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs (Künstlerhaus), Mitglied des PEN-Clubs, Träger des Ehrenzeichens für Verdienste um die Befreiung Österreichs und Mitglied des DÖW-Kuratoriums. Als Zeichen der Verbundenheit mit dem DÖW stiftete er 1991 gemeinsam mit seiner dritten Frau Helga († 2005) den Willy und Helga Verkauf-Verlon Preis für österreichische antifaschistische Publizistik. Willy Verkauf starb am 12. Februar 1994 in Wien.