ÖsterreicherInnen im französischen Exil
Obwohl sich die französische Asylpolitik nach dem Sturz der Volksfrontregierung im April 1938 radikal zu Ungunsten der EmigrantInnen änderte, blieb Frankreich ein wichtiger Zufluchtsort mit Paris als Zentrum des österreichischen Exils. Die Stadt beherbergte nicht nur prominente Künstler, sondern auch diverse politische Exilorganisationen, deren Spektrum von den Kommunisten bis zu den Monarchisten reichte. Trotz reger kultureller und politischer Aktivitäten bedeutete das Exil aber für die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge in erster Linie Existenzängste, Geldmangel, Sprachprobleme, Sorge um das Schicksal von Verwandten und Freunden und nicht zuletzt Heimweh. Hinzu kam, dass wenige Tage nach Kriegsbeginn, ab 4. September 1939, "feindliche Ausländer zwischen 17 und 65 Jahren" aus Angst vor Hitlers "5. Kolonne" in Sammellagern sowohl in Paris als auch in Südfrankreich - wo sich bereits Tausende ehemalige Spanienkämpfer befanden - interniert wurden. Um der Internierung zu entkommen, versuchten viele verzweifelt, ein Übersee-Visum zu bekommen, oder meldeten sich zur Fremdenlegion bzw. zum militärischen Arbeitsdienst.
Die Besetzung Hollands und Belgiens durch deutsche Truppen am 10. Mai 1940 setzte eine neue Internierungswelle in Gang, die für die Betroffenen fatale Folgen hatte: Als Frankreich nach einem Monat kapitulierte, saßen die Internierten in der Falle: sie wurden den NS-Besatzungsbehörden überantwortet, so sie nicht - wie teilweise geschehen - von den Lagerkommandanten auf eigene Verantwortung freigelassen wurden.
Zwar gelang Tausenden ÖsterreicherInnen die Flucht in den unbesetzten Süden Frankreichs, doch mit der Besetzung der Südzone am 11. November 1942 wurden sie von den Truppen des NS-Regimes erneut eingeholt. Viele schlossen sich der Résistance an, manchen gelang es, in einem Versteck zu überleben, doch mehr als 3500 ÖsterreicherInnen - überwiegend Jüdinnen und Juden - wurden aus Frankreich in die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, nur rund 200 Überlebende sind bekannt.
Heinrich Sussmann wurde am 20. November 1904 als Henryk Sussmann in Tarnopol, Galizien, geboren. Er besuchte ab 1914 in Wien das Gymnasium und studierte 1925/1926 in Paris bzw. 1927/1928 Innenarchitektur und Bühnenbildgestaltung bei Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule (heute: Universität für angewandte Kunst). Ab 1929 arbeitete Sussmann als Bühnenbildner bei der Universum Film AG-Filmgesellschaft in Berlin sowie als Graphiker und Karikaturist für den Berliner Ullstein-Verlag. 1933 flüchtete er nach Wien, von hier weiter nach Paris, wo er bis 1939 als Karikaturist, Gebrauchsgraphiker und Innenarchitekt arbeitete. 1939 wurde er als "feindlicher Ausländer" interniert, zunächst im Pariser Sammellager Stade de Colombes, dann im Lager Meslay-du-Maine, wo die Bilder des Fotoalbums aufgenommen wurden. Sie zeigen u. a. Modelle von Bühnenbildern, die Sussmann in Meslay anfertigte. Unsichtbar bleiben die katastrophalen Lebensbedingungen in den Internierungslagern, nur auf zwei Fotos sind die schlechten Unterkunftsverhältnisse (ein Zeitzeuge erinnerte sich später an 50 cm Strohlager pro Person) erkennbar.
Ende April 1940 meldete sich Sussmann zum militärischen Arbeitsdienst (Service de Préstation), nach dem Zusammenbruch Frankreichs flüchtete er in die unbesetzte Zone. Während des Zweiten Weltkriegs waren er und seine Frau Anni Sussmann - beide auch aufgrund ihrer jüdischen Herkunft gefährdet - in der Résistance aktiv, zunächst in Südfrankreich, ab Ende 1943 im Gebiet um Paris. Sie wurden am 1. Juni 1944 in Paris verhaftet und Ende Juli 1944 von Drancy in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert.
Heinrich Sussmann erlebte die Befreiung in Auschwitz, Anni Sussmann gelang die Flucht aus dem KZ Groß-Rosen/Außenkommando Kratzau, sie erreichte Anfang Dezember 1944 die Schweiz. Nach Kriegsende 1945 engagierten sie sich für die Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus. So beteiligte sich Heinrich Sussmann beispielsweise 1946 an der Ausstellung Niemals Vergessen im Wiener Künstlerhaus, für die er auch das Plakat gestaltete, und schuf 1978 die Glasfenster für die österreichische Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz.
Anni Sussmann verstarb am 6. Oktober 1985, Heinrich Sussmann am 12. Dezember 1986 in Wien.
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