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Herbert Steiner und das DÖW

Wolfgang Neugebauer

Ansprache im Rahmen der Gedenkveranstaltung für Herbert Steiner (1923-2001), Wien, 18. Juni 2001

 

 

Herr Nationalratspräsident, liebe Angehörige, Freunde, Kolleginnen und Kollegen von Herbert Steiner!

 

Wir alle, die wir jahre- und jahrzehntelang mit Herbert Steiner zu tun hatten, an seiner Seite gearbeitet und ihn schätzen und lieben gelernt haben, sind heute von einem tiefen Gefühl der Trauer erfüllt, zugleich aber auch von unendlicher Dankbarkeit für das, was Herbert jedem von uns gegeben und vermittelt hat.

 

Wenn ich die Bedeutung von Herbert Steiner für das DÖW charakterisieren soll, lässt sich diese sehr einfach ausdrücken: Das DÖW war das Lebenswerk Herbert Steiners, ohne ihn gäbe es kein DÖW.

 

Zweifellos waren die Anfänge am schwierigsten. Leider war es nicht so, wie es sich manche heute vorstellen, dass das offzielle Österreich im Sinne der "Opfertheorie" dem DÖW Unterstützung und Geld aufdrängte. In den frühen sechziger Jahren gab es keine Subventionen oder Forschungsaufträge, es existierten weder ein Wissenschaftsministerium noch ein Forschungsförderungsfonds. In dieser Situation bewährten sich zwei von Herbert Steiners größten Stärken, nämlich seine Kunst zu organisieren und seine Fähigkeit, mit Freunden wie mit Andersdenkenden zusammenzuarbeiten, eine Gemeinschaft, ein Team zu bilden. Mit Enthusiasmus und Hartnäckigkeit wurde das Projekt, ein Archiv des Widerstandes zu schaffen, von einer kleinen Gruppe ehemaliger WiderstandskämpferInnen und RemigrantInnen verfolgt. Der KZ-Verband, der ÖGB und die BAWAG leisteten Unterstützung. Friedl Krenn und Alfred Ströer, die heute unter uns sind, waren schon damals dabei, und natürlich Johanna Lendwich, Hansi, die treue Seele an Herberts Seite.

 

Obwohl das heutige DÖW von seinen MitarbeiterInnen, seiner Größe und seinen umfassenden Aktivitäten nur mehr wenig mit jenem von Mitte der sechziger Jahre zu tun hat, wurden die Spezifika - die geistige Einstellung der Beteiligten, die pluralistische Struktur und die breiten Tätigkeitsfelder - schon in der Anfangsphase von Herbert Steiner grundgelegt. Lassen Sie mich einige dieser von Herbert geschaffenen Besonderheiten anführen:

 

  • An erster Stelle nenne ich den Idealismus und die Hingabe der MitarbeiterInnen. Es waren Frauen und Männer aus dem Widerstand, Überlebende der KZ, RückkehrerInnen aus dem Exil, die mit Herbert das DÖW aufgebaut und viele Jahre getragen haben. Am Anfang nicht vorhandene Mittel wurden durch ehrenamtliche Tätigkeit wettgemacht. Bis heute sind Charakter und Tätigkeit des DÖW von dieser Gründergeneration geprägt. Das DÖW ist kein totes Archiv, wo nur Akten, Bücher und dergleichen verwaltet werden. Es ist eine lebendige Einrichtung, wo die Vergangenheit auch durch die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingebrachten Erfahrungen vermittelt wird.

  • Zweitens: die überparteiliche Struktur. Herbert Steiner ist es gelungen, von Anfang an alle am Widerstand beteiligten oder von Verfolgung betroffenen Gruppen bzw. deren Organisationen in die Arbeit des DÖW einzubeziehen. Im Vorstand des DÖW waren und sind die drei Opferverbände, KZ-Verband, Sozialdemokratische Freiheitskämpfer und ÖVP-Kameradschaft, sowie die katholische Kirche und die Israelitische Kultusgemeinde durch ihre Repräsentanten vertreten, und im Grunde verstehen wir uns auch als eine Einrichtung, die dem Vermächtnis dieser Menschen zu dienen hat. Ich meine auch, dass es gelungen ist, nicht zuletzt dank Herberts Wirken, im Vorstand einen Geist der Kameradschaft und fruchtbaren Kooperation am Leben zu halten und parteipolitische Konflikte weitgehend auszusparen. Daran haben auch die immer wiederkehrenden Angriffe seitens Rechtsextremer und der FPÖ, dass das DÖW kommunistisch oder linksextrem sei, nichts ändern können. Niemand weiß besser als ich, dass Herbert das DÖW niemals für irgendeine einseitige parteipolitische Aktivität missbraucht hätte.

  • Drittens war es zukunftsträchtig, dass das DÖW von Anfang an eine Kombination von Archiv- und Bibliotheksbetrieb mit wissenschaftlichen Projekten und Publikationen und mit pädagogischen Aktivitäten war. Ausstellungen und Führungen für Schulklassen waren Herbert ein besonderes Anliegen, und er selbst hat unzählige durchgeführt. Im Kern ist das nun diskutierte Haus der Toleranz, nämlich ein multifunktionelles Informations-, Bildungs- und Forschungszentrum, im DÖW zumindest ansatzweise vorhanden.

  • Viertens weise ich auf die vielfältigen Tätigkeitsfelder des DÖW hin. Von Anfang an ging es nicht nur um den Widerstand im engeren Sinn, sondern auch um Verfolgung und Vertreibung. Die österreichische Exilforschung hatte in Herbert Steiner ihren Pionier; ich erwähne hier nur das gemeinsam mit der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur durchgeführte erste österreichische Exilsymposium 1975. Auch die ersten österreichischen Arbeiten zur Verfolgung der Juden und Zigeuner von Jonny Moser, Herbert Rosenkranz und Selma Steinmetz erschienen in der Schriftenreihe des DÖW Monographien zur Zeitgeschichte". Inzwischen ist die Holocaustforschung zu einem Schwerpunkt des DÖW geworden.

  • Fünftens erscheint es mir bis heute vorbildlich, dass das DÖW seiner Arbeit einen breiten Begriff von Opfer und Widerstand zugrunde gelegt hat, der von dem Linzer Ordinarius für Zeitgeschichte Karl Stadler, einem der wichtigsten Kooperationspartner Herberts, entwickelt wurde. Das heißt, in unserer Arbeit werden alle Menschen und alle Gruppen berücksichtigt, die vom NS-Regime verfolgt wurden bzw. diesem Widerstand leisteten. Dies klingt zwar selbstverständlich, war und ist es aber nicht; denn in der Zeit des Kalten Krieges gab es etwa in der deutschen Widerstandsforschung politisch motivierte Ausgrenzungen, und bei der Anerkennung aller NS-Opfer gibt es bis heute Schwierigkeiten. Im Übrigen haben sowohl Herbert Steiner als auch ich uns immer bemüht, auch den einzelnen Menschen, etwa in Opferfürsorgeangelegenheiten, behilflich zu sein.

  • Sechstens hat Herbert Steiner die Tätigkeit des DÖW nicht ausschließlich auf die Vergangenheit gerichtet; das DÖW war und ist kein Museum, kein bloßes Archiv oder quasi wertneutrales Forschungsinstitut; es hat politisch, nicht parteipolitisch Position bezogen, und zwar in der Auseinandersetzung mit Deutschnationalismus, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Wir haben nicht zugesehen, wenn die Widerstandskämpfer als Hochverräter diffamiert, wenn der Holocaust geleugnet, wenn die österreichische Nation in Frage gestellt wurde. Diese intensive Auseinandersetzung mit allen Formen des Rechtsextremismus hat dem DÖW viele Feinde und viele Konflikte gebracht, sie war aber und sie ist unvermeidlich und notwendig.

  • Siebentens war Herbert Steiner zwar österreichischer Patriot, dem insbesondere die Förderung eines demokratischen Nationalbewusstseins ein großes Anliegen war; er legte aber auch - wie kaum ein anderer zu dieser Zeit - großen Wert auf internationale Kontakte und Zusammenarbeit. Die Ausstellungen des DÖW wurden im Ausland gezeigt, er referierte bei unzähligen wissenschaftlichen Tagungen und Veranstaltungen in Europa, USA, Israel, Mexico, China und andere Ländern, und fruchtbare Kooperationen mit ausländischen Instituten kamen zustande. Ich erwähne hier nur die langjährige Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dem Münchner Zeitgeschichteinstitut und dem US Holocaust Museum in Washington; auf die ITH wurde bereits eingegangen.

  • Achtens: Herbert Steiner war unermüdlich bestrebt, Jüngeren die Tätigkeit im DÖW zu ermöglichen und diese zu fördern. Herbert Exenberger und ich gehörten 1970 zu den ersten; viele andere - Heinz Arnberger, Brigitte Bailer, Elisabeth Klamper, Friedl Garscha - folgten. Die Einbindung in diesen Kreis ehemaliger WiderstandskämpferInnen und Verfolgter war für unsere Entwicklung von allergrößter Bedeutung. Im DÖW hat praktisch permanente Oral History stattgefunden, und auf diese Weise, durch diese allmähliche Integration von Jüngeren, konnten Generationskonflikte vermieden werden.

 

Wir alle - Ältere wie Jüngere - hatten in Herbert einen Chef, der nicht durch Anweisungen und autoritäres Gehaben, sondern durch die Kraft seiner Persönlichkeit, durch echte Autorität und durch seinen eigenen Einsatz das DÖW leitete. Ich glaube, wir sind in unserer Tätigkeit und Persönlichkeit in einem sehr hohen Maße von Herbert geprägt worden, und bis heute ist er für uns Vorbild.

 

Herbert Steiners Interesse und Fürsorge galt aber auch den BenützerInnen; er kümmerte sich persönlich um sie, diskutierte und beriet. Es entstanden nicht nur hervorragende Dissertationen - ich nenne hier beispielhaft die Arbeiten von Willibald Holzer, Helene Maimann und Helmut Konrad -, sondern es wurden auch menschliche Beziehungen aufgebaut, die ein Leben lang hielten.

 

Herbert Steiner ist 1983 - nach zwanzigjähriger Tätigkeit als wissenschaftlicher Leiter - in Pension gegangen; er hat jedoch kein Pensionistenleben geführt. Auf seine vielfältigen anderen Aktivitäten neben dem DÖW wurde schon ausführlich hingewiesen, insbesondere auf seine fruchtbare, auch dem DÖW zugute kommende Lehrtätigkeit an der Wiener Universität. Im DÖW war er bis zu seinem Tode Vizepräsident, er hat, so lange er konnte, an den Sitzungen des Vorstandes teilgenommen, und sein Wort hatte Gewicht. Obwohl sich in unserer Tätigkeit manches änderte - neue Schwerpunkte wie Holocaust, Euthanasie, Nachkriegsjustiz, die verstärkte Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und die damit zusammenhängende Involvierung in politische Konflikte -, hatte ich niemals den Eindruck, dass Herbert mit dieser Entwicklung nicht übereinstimmte; im Gegenteil, er unterstützte uns mit Rat und Tat, und bei vielen Gelegenheiten im In- und Ausland repräsentierte er - wie kein anderer - das DÖW.

 

Wenn wir uns am Ende die Frage stellen: Was ist das Vermächtnis von Herbert Steiner?, so möchte ich eine ganz einfache, unpathetische Antwort geben: Setzen wir den Weg, der 1963 begonnen wurde, fort, nehmen wir uns ein Beispiel an den Pionieren des DÖW und tun wir nach bestem Wissen und Gewissen unsere Arbeit. Dann werden wir dem Vergessen entgegenwirken und das Andenken der WiderstandskämpferInnen und der Verfolgten bewahren können. Herbert Steiner wird in seinem Werk, im DÖW und in der Erinnerung aller Menschen, die ihn schätzten und liebten, weiterleben.

 

Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie an diesem Gedenken mitgewirkt haben!

 

 

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