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Jelens verschmitztes Lächeln

Rede von Andreas Kranebitter anlässlich der jährlichen Gedenkfeier am Peršmanhof am 30. Juni 2024

Andreas Kranebitter


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

Spoštovane gospe in gospodje, dragi prijatelji!

 

Andreas Kranebitter bei der Festrede anlässlich der jährlichen Gedenkfeier am Peršmanhof am 30. Juni 2024. Foto: Elsa Logar

 

Die Moskauer Deklaration forderte im November 1943 bekanntlich einen eigenen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung. Neben den Tausenden aus Österreich Vertriebenen und Geflohenen, die in den alliierten Armeen kämpften, war militärisch betrachtet der slowenische Widerstand in Kärnten der einzig relevante. Dieser Widerstand ist ebenso bedeutsam wie bekannt, er ist von jenen, die sich gerne österreichische Patrioten nennen, ebenso instrumentell verwendet worden wie verschämt versteckt und offen mit Füßen getreten worden.

 

Den militärischen Widerstand hochzuhalten und zu dokumentieren, ist gut und wichtig. Einzig ihn hochzuhalten reduziert Widerstand aber auf seine militärische Form, verengt den Widerstand und macht blind für die vielen kleinen alltäglichen Widerstände, die wir künftig – davon bin ich überzeugt – stärker in den Fokus rücken müssen. Das kann man gerade am Peršmanhof lernen.

 

Denn das Museum am Peršmanhof ist seit Langem ein Ort, an dem die kleine mit der großen Geschichte verbunden wird, an dem die kleinen Akte des Widerstand mit der großen Geschichte von Widerstand und Verfolgung der Kärntner Sloweninnen und Slowenen verbunden wird.

 

Der angeblich „kleine“ Widerstand

 

Tone Jelen hat anlässlich der Volksabstimmung zum „Anschluss“ im April 1938 erzählt, dass sein offenes mit „Nein“ Stimmen in Loibach/Libuče wenig sinnvoll gewesen wäre, weil die Nazis die Nein-Stimmer gekannt und beobachtet hatten. Daher hätten er und sein Bruder zähneknirschend mit Ja gestimmt. Auch sein Vater habe das letztlich getan, aber auf andere Art. Ich zitiere aus seinem Interview, abgedruckt im vom DÖW 1990 herausgegebenen Band Spurensuche. Erzählte Geschichte der Kärntner Slowenen: „Mein Vater aber nahm den Wahlzettel, zeigte ihn dem Wahlkommissär und fragte: ‚Sagen Sie, ich kenn‘ mich nicht aus, wo muß man da das Kreuz machen?‘ Der Kommissär zeigte ihm den großen Kreis, der Vater sagte: ‚Wissen Sie was, Sie kennen sich aus, da haben Sie den Zettel, machen Sie es.’ Und der machte wirklich das Kreuz für ihn. Mein Vater lachte ein bißchen verschmitzt, so quasi: Ich habe es ja doch nicht gemacht.‘

 

Das verschmitzte Lächeln, die kleine Renitenz des verweigerten Kreuzes, war nach den großen Maßstäben des Widerstands wenig erfolgreich – an der dokumentierten Tatsache, der Ja-Stimme, änderte die Geste nichts. Moralisch ist diese Handlung aber nicht zu unterschätzen, als Beispiel für andere, auch seinen Sohn, Tone Jelen. Jurij Pasterk hat Tone Jelen in der Haft ein Taschentuch geschenkt. Der Bauer Pasterk wurde vom Volksgerichtshof in Klagenfurt wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt und mit zwölf anderen am 29. April 1943 im Wiener Landesgericht hingerichtet. An sie erinnert erst seit 1993 eine Tafel, die mit Verspätung angebracht wurde, ihre Namen werden erst jetzt in der Ausstellung im Vorraum zum ehemaligen Hinrichtungsraum genannt, knapp 80 Jahre nach der Befreiung.

 

Die Erinnerung an die kleinen Gesten des Widerstands und das, was als kleiner Widerstand klein geredet wurde, ist ungemein bedeutsam – sei es symbolischer Widerstand, Rettungswiderstand oder Unterstützungswiderstand, aus welchen Motiven auch immer er begangen wurde, aus religiösen oder politischen Gründen, aus Menschlichkeit oder ohne erkennbares Motiv und Kalkül. Die vielen Akte des kleinen Widerstandes, die oft als passiv angesehen wurden, sind auch deshalb so wichtig, weil ohne sie der als aktiv angesehene Widerstand gar nicht möglich gewesen wäre. Zahllose Menschen wurden wegen dieser vermeintlichen Kleinigkeiten in die Lager deportiert, gefoltert, verurteilt – und ermordet. So wie Hanzi Oraže, der erst 17 Jahre alt war, als ihm vorgeworfen wurde, seine desertierten Freunde nicht verraten zu haben und ihnen einmal Wein und Bier gebracht zu haben. Er wurde vom Volksgerichtshof als „schon ausgewachsener Schwerverbrecher“ denunziert und gemeinsam mit zwölf weiteren Kärntner Sloweninnen und Slowenen am 29. April 1943 in Wien hingerichtet.

 

Der kommende Autoritarismus: Gegen-Gedenker und falsche Gedenker

 

Wir müssen von ihnen erzählen. Wenn junge Generationen von der Bedeutung der leuchtenden Beispiele des Widerstands lernen sollen, müssen sie zunächst eines lernen: Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer waren Menschen, keine Götter. Es nutzt nichts, wenn wir sie auf ein derart hohes Podest stellen, dass wir sie damit ins meilenweit entfernte, moralisch Unerreichbare verschieben.

 

Wir müssen wieder mehr von ihnen sprechen, von der großen Widerstandskämpferin und dem kleinen Widerstandskämpfer, wir müssen von allen Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus erzählen, weil ein neuer rechtsextremer Autoritarismus am Horizont heranzieht. Dessen heutige Proponenten haben noch vor wenigen Jahren zweisprachige Ortstafeln gestürmt und am Tag der Befreiung ihrer toten Helden der Wehrmacht und SS gedacht. Manche von ihnen präsentieren sich heute noch immer als direkte Gegen-Gedenker, die das Verbotsgesetz abschaffen wollen und Institutionen wie unsere bekämpfen. Andere wiederum kommen als falsche Gedenker daher: Sie beklatschen offizielle Gedenkreden in Parlamenten mit Standing Ovations, ehe sie sich umdrehen und antisemitische Witze erzählen und aus ihren Liederbüchern Vernichtungsphantasien besingen.

 

Es hat trotz eines breiten antifaschistischen Grundkonsenses lange gedauert, bis wir gemeinsam gedenken konnten, bis frühere Spaltungen – seien sie politisch, national oder religiös motiviert – der Vergangenheit angehörten. Es ist gut, dass diese Zeiten vorbei sind. So wichtig das Betonen des gemeinsamen Gedenkens ist, so wichtig ist es, auch zu wissen, wer nie dazugehören darf. Ich meine diejenigen, die die Niederlage der Wehrmacht für einen Untergang halten, die Jüdinnen und Juden für grundsätzlich anders halten, die, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, Kärntner Sloweninnen und Slowenen rassistisch diffamieren, Roma und Romnja, Sinti und Sintizze beschimpfen. Wir, die wir an die Opfer des Nationalsozialismus und an den Widerstand erinnern, sind nicht dazu da, um sie in oberflächlichen Gedenkzeremo­nien weißzuwaschen. Ob aus Naivität oder Kalkül, ein Kooperieren und Koalieren kann es mit diesen Feinden der Demokratie nicht geben.

 

In diesem Sinne möchte ich mit einem Wunsch, wenn nicht sogar einer Aufforderung, schließen: Wir müssen ein neues, gemeinsames antifaschistisches Gedenken formen, das dem kommenden rechtsextremen Autoritarismus entgegentritt. Unser Gedenken muss den Widerstandsbegriff entgrenzen, über Grenzen hinweg denken, und solidarisch antifaschistisch sein, ohne den falschen Gedenkern eine Bühne für ihre Lippenbekenntnisse zu bieten.

 

Andreas Kranebitter bei der Übergabe des Taschentuchs, das Jurij Pasterk Tone Jelen in der Haft geschenkt hat. Foto: Elsa Logar

 

Als Akt der Solidarität mit dem Museum am Peršmanhof und ganz im Sinne Familie Tone Jelens möchte ich dem Peršmanhof nun das Taschentuch übergeben, das Jurij Pasterk Tone Jelen in der Haft geschenkt und das Jelen mit seinen Haftdaten bestickt hat. Es war lange Zeit ein wichtiges Exponat in der Dauerausstellung des DÖW. Auch wenn es mich schmerzt, es dort nicht mehr sehen zu können, überwiegt für mich die Freude, dass es dafür kein besseres neues Zuhause geben könnte. Das Taschentuch wird nun in der neuen Ausstellung im Museum am Peršmanhof von Tone Jelen und Jurij Pasterk erzählen, von ihrem Mut, ihrer Leidenschaft und ihrem Lächeln.

 

Vielen Dank und auf eine schöne Gedenkfeier!
Najlepša hvala in lepo spominsko slovesnost!

 


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