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Lisbeth Matzer: Herrschaftssicherung im "Grenzland"

Nationalsozialistische Jugendmobilisierung im besetzten Slowenien (1941–1945)

Dissertation, Universität zu Köln, 2020 (Abstract)

 

Diese Arbeit wurde mit dem Herbert-Steiner-Preis 2020 ausgezeichnet.

 

 

Anfang April 1941 errichtete das "Dritte Reich" in Folge des Balkanfeldzuges der Wehrmacht zwei Besatzungszonen auf dem Gebiet des heutigen Sloweniens – die Zivilverwaltungsgebiete Oberkrain und Untersteiermark. Von Kärnten und der Steiermark ausgehend wurde fortan die NS-Verwaltung der als "heimgekehrt" präsentierten Territorien auf- und ausgebaut. Neben zahlreichen anderen NS-Instanzen nahmen auch die regionalen Führungen der Kärntner und steirischen Hitler-Jugend den mit dieser de facto Annexion einhergehenden Germanisierungsauftrag zum Anlass dazu, den eigenen Einfluss grenzüberschreitend auszubauen. Die vorliegende Forschungsarbeit widmet sich in diesem Kontext – ausgehend von an die ideologische Kontrolle von Kindheit und Jugend geknüpften Herrschaftsvorstellungen – der grenzüberschreitenden Jugendmobilisierung im durch das NS-Regime besetzten Slowenien. Diese Perspektive ermöglicht durch die theoretisch-methodische Verortung in der kulturwissenschaftlich orientierten NS-Forschung, der historischen Kindheits- und Jugendforschung und den interdisziplinär ausgerichteten borderland studies ein tiefergehendes Verständnis von NS-Besatzungssystemen und -gesellschaften im Allgemeinen sowie von spezifischen machtpolitischen Interessen "ostmärkischer" Nationalsozialist*innen im Speziellen. Hierfür skizziert die Arbeit die Entwicklung der NS-Besatzung und die damit verbundenen Vorgehensweisen und Programme der steirischen und Kärntner Hitler-Jugend. Das Feststellen, Vermitteln und Zuschreiben von spezifisch "deutscher" Zugehörigkeit durch NS-Autoritäten bestimmten dabei nicht nur den Alltag der lokalen Bevölkerung, sondern standen mit allen damit verbundenen Aufstiegs-Versprechungen auch im Zentrum sämtlicher auf Jugend gerichteten Mobilisierungsbestrebungen.

 

Bereits in den ersten Wochen der Besatzung wurden Expert*innen der deutschnationalen und/oder nationalsozialistischen "Grenzland"-Jugendarbeit mit Planungen zum Aufbau von NS-Jugendorganisationen in den besetzten Regionen beauftragt und auch dorthin entsandt. Die ideologischen und praktischen Grundlagen für dieses Engagement lieferten die teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurückgehenden, unterschiedlichen Anfänge des "Grenzland"-Aktivismus in Kärnten und der Steiermark. Durch eine Kombination biografischer und institutionshistorischer Ansätze werden in der Dissertation somit die vielseitigen Verflechtungen der NS-Jugendmobilisierung mit regionalen deutschnationalen Milieus skizziert und auch die (unterschiedlichen) Praktiken der Zuschreibungen von "deutsch" im NS-Besatzungskontext in einer longue durée nationalistischer "Grenzland"-Diskussionen verortet. Dabei werden zum einen Rollen und Funktionsweisen von Jugendorganisierung bei der praktischen und symbolischen Inbesitznahme von Raum erarbeitet. Zum anderen werden besonders die sich in diesem Rahmen vollziehenden Prozesse der Kodierung, Herstellung und Flexibilisierung "deutscher" Zugehörigkeit als auf Jugend gerichtete Mobilisierungsmechanismen untersucht. Die Praktiken der Zuschreibung "deutscher Wesensart" von außen und oben – zum Beispiel durch HJ-Führer*innen – gingen Hand in Hand mit Versuchen, die lokale Jugend an ihre angeblich "blutsmäßige" Zugehörigkeit zu erinnern und diese innerhalb der NS-Jugendorganisationen entsprechend zu (re-)germanisieren. Beeinflusst wurden diese Vorgehensweisen wiederum von einzelnen Akteur*innen und deren individuellen Motiven und Handlungsspielräumen, welche in Hinblick auf institutionelle Konkurrenz- und Kooperationsverhältnisse innerhalb des NS-Herrschaftsapparates beleuchtet werden.

 

Fünf Kapitel widmen sich diesen Themenkomplexen rund um NS-Jugendmobilisierung und entsprechenden Versuchen der NS-Herrschaftssicherung in nationalistisch umkämpften "Grenzländern". Die unterschiedlichen Erfahrungen in deutschnationaler oder nationalsozialistischer Jugendmobilisierung der primär aus Kärnten oder der Steiermark stammenden Akteur*innen bestimmten und beeinflussten dabei zum einen die strategischen und praktischen Vorgehensweisen in den besetzten Gebieten Oberkrains und der Untersteiermark. Zum anderen nährten diese Vorgeschichten auch die propagandistisch und motivational genutzte Vorstellung, dass durch (Re-)Germanisierung der Jugend die NS-Dominanz über die besetzten Territorien längerfristig gesichert werden könnte. Die aus dem Repertoire der Hitler-Jugend stammenden Aktivitäten und Programme sowie der Umgang mit Sanktionierungsmöglichkeiten wurden zur Erreichung dieses Zieles kontinuierlich an die jeweiligen lokalen Verhältnisse (Partisan*innenwiderstand, sprachliche Kompetenzen der lokalen Jugend, Verfügbarkeit von "deutschem" HJ-Führungspersonal etc.) angepasst. Beispielsweise wurde so im von Kärnten aus administrierten Oberkrain der slowenischen Sprache weitaus größere Toleranz in der Definition von "deutsch" entgegengebracht als dies in der besetzten Untersteiermark der Fall war.

 

Lisbeth Matzer, Historikerin, München

 

 

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