Hubert Pfoch, geb. 1920 in Wien, Tischler. 1928 Beitritt zu den Roten Falken, ab 1936 Mitglied einer illegalen Jugendgruppe (Revolutionäre Sozialistische Jugend) im International Order of Good Templars, einer Abstinentenvereinigung in Wien-Ottakring. 1940 Reichsarbeitsdienst in Brünn, anschließend Dienst in der Deutschen Wehrmacht. August 1942 in Siedlce (Polen) fotografische Aufnahmen eines nach Treblinka gehenden Transports von Jüdinnen und Juden.
1945 Rückkehr nach Wien, als Bibliothekar der Stadt Wien tätig. 1946 bis 1954 Obmann der Sozialistischen Jugend Wien. 1949 bis 1984 Gemeinderat, Stadtrat und Vizebürgermeister, Landtagspräsident. Ab 1984 Präsident des DÖW, ab 2003 Ehrenpräsident des DÖW.
Verstorben 2008.
In Russland hatte ich einen Freund getroffen, der mir gesagt hat: Wenn er einmal auf Urlaub fährt, kommt er nicht mehr an die Front. Und dann habe ich gehört, dass er auf Urlaub ist, und dann, dass er im Spital ist, und dann, dass er nicht mehr an die Front kommt. Den habe ich in Wien gefragt: "Was hast'n gemacht, dass du nicht mehr an die Front gekommen bist?" Er war sehr verschlossen und hat mir erst gegen Ende meines Urlaubs - ich hatte tausend Eide zu schwören, ihn nicht zu verraten, und tausend Mark zu bezahlen (der Betrag könnte auch geringer gewesen sein, ich habe das so in Erinnerung) - eine Injektionsspritze verkauft und völlig reines Terpentin. Damit konnte man schwerste Phlegmone erzeugen, Geschwülste unter der Haut, die bei unsachgemäßer Anwendung für einen auf diese Weise Erkrankten massive Gefahr darstellen konnten. Ich wusste, wenn man dieses Terpentin spritzt, darf man 24 Stunden zu keinem Arzt gehen, sonst wäre es durch einen Abstrich noch möglich gewesen, diese giftigen Substanzen festzustellen, was dann Selbstverstümmelung gewesen wäre und entweder Kerker oder sogar Hinrichtung zur Folge gehabt hätte. Ich habe mir mit dieser Spritze in die linke Hand gestochen. Ich habe eine riesig angeschwollene Hand bekommen mit wahnsinnigen Schmerzen und bin einen Tag, bevor mein Urlaub zu Ende gewesen wäre, ins Spital gegangen in Döbling. Ich gab an, ich hätte mich mit einem Nagel verletzt, aber das sei schon wieder vorbei gewesen und hätte keine Folgen gehabt. Der Arzt hat daher wohl gemeint: Die Verletzung ist unter der Haut haften geblieben, das hat die Auslösungsfaktoren für diese Phlegmone ergeben. Da bin ich erst nach sechs Wochen geheilt entlassen worden. [...]
Auf diese Weise hat man versucht, Zeit zu schinden, um der Front fernzubleiben, denn für mich gab's praktisch in den viereinhalb Jahren Militärzeit nur zwei Bereiche: entweder ganz vorn oder ganz hinten. Eine Zwischenphase hat's nicht gegeben. [...]
Im August 1942 wurde ich [...] Zeuge eines Abtransportes von Juden, wie sich dann herausgestellt hat, unterwegs in das Vernichtungslager Treblinka. Zu dem Namen Treblinka bin ich gekommen, weil wir uns, ich und noch ein Soldat, zu dem SS-Offizier begeben und Protest eingelegt haben mit der Erklärung, dass es einem deutschen Soldaten, der unterwegs an die Front ist, unwürdig ist, mitansehen zu müssen, wie ein grausames Massaker stattfindet. Dieses Massaker hatte sich in der Form gezeigt, dass uns schon in der Nacht, als wir ankamen, es war brütend heiß, eine Schießerei alarmiert hat. Ich bin zu einem Soldaten, den ich gefragt habe, weshalb er hier herumschießt, und der hat mir in russischer Sprache gesagt: "Ich versteh nicht! Ich bin ein Ukrainer!" So konnte ich am Abend noch gar nichts Besonderes wahrnehmen. [...] Zeitig in der Früh ist es dann angegangen mit Schreien und Schießen. Wir sind aus dem Zug gestürzt und wurden Zeugen eines Verladevorgangs, von dem ich dann auch in meinem Tagebuch Eintragungen gemacht habe. Ich habe geschätzt, dass rund 7000 Juden in bereitstehende Güterwaggons hineingeprügelt worden sind. Viermal habe ich einen LKW über den Perron fahren gesehen. Ich habe dann auch bald erkannt, dass es sich hier um eigene Arbeitskommandos der Juden handelte, die die Verstorbenen, die Erschossenen, die Erschlagenen, Frauen, Kinder, Greise, wie Zementsäcke auf die Autos raufgeschmissen haben. Nachdem die Intervention bei dem Offizier die Drohung zur Folge gehabt hat, dass er, wenn wir nicht sofort verschwinden, einen Waggon anhängen lässt, dann könnten wir uns Treblinka von innen anschauen, ist mir dieser Name "Treblinka" erst bewusst geworden. Von den Konzentrationslagern und grausamen Vernichtungsmethoden der Nazis hatte ich natürlich Kenntnis aus vielen Kontakten und Gesprächen, die man mit Leuten gleicher politischer Anschauung geführt hat. [...]
Wir sind ja noch hinter diesem Judentransport hinterhergefahren. Es war brütendheiß an diesem Augusttag, es war der 23. August 1942. Eine große Zahl von toten Juden, Kinder, Frauen, Greise, die man aus den Luftluken herausgeworfen hat, die Waggons waren ja plombiert, sind entlang der Geleise gelegen. Und es war ein bestialischer Leichengeruch in der Luft. Es war sehr deutlich erkennbar: Hier geht ein Massenvernichtungsprozess vor sich, wo man aber keine Möglichkeit hat, wirksame Hilfe zu geben oder, weiß Gott in welcher Form, noch zu protestieren. [...]
Ich hab auch, obwohl das nicht gern gesehen, aber auch nicht ausdrücklich verboten war, einen Fotoapparat mitgehabt und hab hier immer wieder fotografiert und sozusagen mit verdeckter Kamera von dieser Verladeszene vier Aufnahmen gemacht. Später, 1965, als ich erfahren habe, dass der Lagermannschaft von Treblinka in Deutschland der Prozess gemacht wird, habe ich dem Staatsanwalt unverzüglich Fotokopien meiner Tagebucheintragungen und auch die Fotos geschickt. Das hat zur Folge gehabt, dass ich ein paar Tage später gebeten wurde, als Zeuge bei Gericht zu erscheinen. Das hab ich auch gemacht und hab meine Wahrnehmungen dort mitgeteilt. [Verurteilung von Franz Stangl]
Können Sie sagen, wie die Leute, die mit Ihnen eingerückt waren und das gesehen haben, darauf reagiert haben?
Die Soldaten selbst waren natürlich teils empört und erschüttert. Zum anderen Teil aber auch teilnahmslos mit dem Gedanken, es wird schon ein Grund vorhanden gewesen sein, einen solchen Vorgang durchzuführen, wobei nicht für jedermann deutlich gewesen ist, dass die Nazis einen systematischen Ausrottungsvorgang eingeleitet hatten.