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Paul Jellinek: ... was unter Umständen das Leben bedeutet hat

Paul Jellinek, geb. 1910 in Wien. Bürolehre, Anschluss an Gewerkschaftsjugend und Sozialistische Arbeiterjugend. Nach dem Februar 1934 Kontakt zur Kommunistischen Jugend. November 1937 nach Spanien, Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) auf Seiten der Republik. 1939 Internierung in Frankreich (Saint-Cyprien, Gurs), Préstataire-Kompanie (militärischer Arbeitsdienst ohne Waffe). Im Auftrag des französischen Widerstands Dolmetscher in einer deutschen Dienststelle in Nîmes. Ostern 1943 Festnahme in Südfrankreich. Haft in Auschwitz (bis Jänner 1945) und anschließend in Buchenwald bis zur Befreiung am 11. April 1945.

Rückkehr nach Wien, Angestellter der KPÖ. Nach 1968 Zugehörigkeit zum Kreis um das "Wiener Tagebuch".

Verstorben 1985.

 

 

Ich war vielleicht zwei Wochen in Marseille in Haft, nicht länger, bis man einen Transport nach Drancy zusammengestellt hat. In Drancy, das war Mitte Mai, Ende Mai 1943, war ich auch nicht sehr lange, vielleicht zwei Wochen. Ich wurde dann mit einem Transport nach Auschwitz geschickt. Wir waren drei Franzosen und ich, Kommunisten. Bevor man eingestiegen ist, haben die Deutschen einen alten Juden herausgeholt, haben ihm gesagt: "Du bist verantwortlich, dass im Waggon Ordnung herrscht, dass nichts passiert, dass keiner flüchten kann." Und wir haben, versteckt in den Hosen, ein Brecheisen mitgehabt und einen großen Fuchsschwanz und haben die Absicht gehabt, den Waggon auf dem Boden aufzuschneiden und bei langsamer Fahrt uns herausfallen zu lassen, solange wir noch in Frankreich waren. Wir sind am späten Abend weggefahren, es ist sehr bald finster geworden und wir haben angefangen zu sägen. Na, mehr haben wir nicht gebraucht. Wir hätten die 40 Leute, die mit uns im Waggon waren, umbringen müssen, wenn wir unser Vorhaben ausführen hätten wollen, so eingeschüchtert waren sie. Die haben ja keine Ahnung gehabt, was mit ihnen noch passieren wird, dass sie nach vier Tagen wahrscheinlich durch den Kamin, durch den Schornstein fliegen. Daran haben sie überhaupt nicht gedacht, keine Ahnung gehabt. Wir mussten es einfach aufgeben, weil, wie gesagt, wir hätten sie umbringen müssen. Das konnten wir nicht, das wollte ich auch nicht. Wir haben die Fluchtpläne aufgegeben und gesagt, dass wir uns auf unser Glück verlassen bei dem, was uns bevorsteht. Das waren Viehwaggons mit so halb offenen Türen, da konnte man unter Umständen herausspringen bei langsamer Fahrt, wenn man besonders viel Mut gehabt hat. Wir konnten es nicht wagen, weil hinter unserem Waggon war ein deutscher Waggon mit Soldaten, die schussbereit die Maschinenpistolen aus dem Fenster gehalten haben. Und dann ist einer irgendwo aus einem anderen Waggon, aus welchem, weiß ich nicht, herausgesprungen, ich habe nur auf einmal das Geknatter gehört, Schießerei, die Notbremsung und dass der Zug nach einer Weile stehen bleibt. Dann mussten wir alle die Schuhe ausziehen, damit wir nicht flüchten. Und so sind wir barfuß in Auschwitz angekommen.

 

So wie alle anderen kam ich nach Auschwitz und habe das Glück gehabt, nicht gleich ins Gas zu gehen. Und in Auschwitz habe ich auch wieder Glück gehabt, ich blieb nicht direkt im Stammlager Auschwitz, sondern wurde am nächsten Tag nach Jawischowitz, das zehn Kilometer von Auschwitz entfernt war, gebracht. Zwei Kohlegruben sind dort, und dort haben Häftlinge gearbeitet. Ich wurde direkt in dieses Lager überstellt und der erste Mensch, der mir entgegenkam, war ein deutscher Spanienkämpfer, Julius Goldstein. Nachmalig war er ein großer Macher in Ostberlin für Fernsehen und Radio. Der hat mich von Gurs gut gekannt. Dort sind wir zufällig ein paarmal zusammengekommen. Damit war ich also im Lager legitimiert. Dort hat es sehr viele deutsche, "arische" Kommunisten gegeben, ehemalige Bergarbeiter, die schon nach 1933 verhaftet wurden als Kommunisten und dann eben 1941 oder 1942 dorthin zum Aufbau des Lagers gebracht wurden. Dadurch habe ich nicht alle Stationen durchlaufen müssen, sondern habe gleich ein Stückchen Brot mehr gehabt als die übrigen Häftlinge und bin also nicht in der üblichen Zeit von sechs Wochen zugrunde gegangen. [...]

 

Wir haben dort in diesem Nebenlager von Auschwitz sozusagen eine illegale Parteileitung gegründet, um unseren sechs Leuten bessere Arbeitsbedingungen zu geben, ein Stückerl Brot mehr, was unter Umständen das Leben bedeutet hat, vor allem bessere Arbeitsbedingungen. Sie von ganz schwerer Arbeit wegzubekommen und ihnen leichtere Arbeit zu verschaffen, dann gelegentlich Einweisung in den Häftlingskrankenbau. Den Häftlingskrankenbau hat kein Arzt geleitet, sondern ein "arischer" Spanienkämpfer, es war ein Österreicher, ein Grazer, den der Hermann Langbein dorthin geschickt hat, weil er gewusst hat, dass es hier etliche Österreicher gibt. Über ihn haben wir eine Menge Leute immer wieder im Krankenbau unterbringen können, wo sie Ruhe hatten, sich erholen konnten, eine bessere Verpflegung bekamen, und so haben wir den Leuten etwas helfen können zu überleben. Diese Lagerleitung wurde Anfang 1944 gebildet. Ich bin im Juni oder Juli 1943 nach Auschwitz gekommen, und dann haben wir schon nach ein paar Monaten, vielleicht vier, fünf Monate später, bis man sich genügend berochen hatte, wer alles da ist, uns überlegt, was man machen kann. Vor allem waren ja die deutschen Häftlinge, die dort die Spitzenpositionen gehabt haben, sehr misstrauisch uns gegenüber. Die mussten davon auch erst überzeugt werden, dass wir Kommunisten sind und etwas machen müssen, um zu überleben. Das Misstrauen war da, weil sie Spitzenpositionen gehabt haben, Ausnahmestellungen als Küchenchef oder Schreibstubenchef, alles Mögliche, wo man nicht nur sicher war, sondern auch genügend zu essen gehabt hat. Das wollten die nicht so ohne Weiteres aufs Spiel setzen, weil sie ja nicht wissen konnten, ob wir vielleicht Spitzel sind. Das hat eine Weile gedauert, bis dieses Misstrauen gegenseitig abgebaut wurde. Man hat sich erst mal berochen. Wie das Misstrauen dann wirklich abgebaut war, hat man mit ihnen sehr gut zusammengearbeitet. Die waren hochanständige Leute, wirklich ehrliche Kommunisten, und vor allem ist es dann besser geworden, wie dieser österreichische Spanienkämpfer, der vom Langbein hergeschickt wurde, Lagerältester des Häftlingskrankenbaus war. Dem haben die nicht misstraut. [...]

 

Wir blieben dort bis zur "Evakuierung" von Auschwitz, Jänner 1945, und kamen dann nach Buchenwald. In Buchenwald bin ich sofort erkannt worden. Da hat es eine herrliche Organisation der politischen Häftlinge gegeben, und zwar musste jeder neu ankommende Häftling durch Desinfektion und Bad. Und als Badewärter hat man die Kaderleute der einzelnen Nationalitäten eingesetzt, die ein sehr großes Personengedächtnis hatten. Für die Österreicher war der Max Umschweif Badewaschl, den ich natürlich gekannt habe. Wie ich also dort warte, ins Bad hineinzukommen, steht auf einmal der Max vor mir. Der hat sofort gefragt: "Wer ist mit dir?" Habe ich ihm gesagt: "Der, der, der, der." Und wir waren damit schon mehr oder weniger in Sicherheit. Weil ein Großteil dieses Transportes ging noch am selben Tag weiter, in ein anderes Lager, wir nicht, natürlich.

 

Wir haben dann sofort alle eine gute Arbeit bekommen. Ich kam in eine Schreibstube, also ich habe fast nichts mehr arbeiten brauchen. Dann wurde ich sehr rasch, nachdem ich schon mit einem Gewehr umgehen konnte, in die militärische Organisation, die dort bestand, eingeteilt. Es hat eine ziemliche Menge Waffen gegeben, versteckt, vorbereitet für den Tag X. Häftlinge haben in den umliegenden Gustloff-Werken, das waren Waffen- und Munitionsfabriken, gearbeitet. Stückweise hat man Bestandteile hereingebracht, und aufbewahrt wurden sie in den Blumenbeeten, die auf Anordnung der Deutschen vor den Baracken waren - zum Teil versteckt, zum Teil eingemauert. Wir haben leichte Maschinengewehre gehabt, eine Menge Pistolen, Gewehre. Ich habe keine Ahnung gehabt, der Maxl ist eines schönen Tages zu mir gekommen und hat gesagt: "Pass auf, du bist in einer Fünfergruppe und du kennst nur mich von der Fünfergruppe, sonst niemanden, du kriegst von mir alle Weisungen, wenn 's so weit ist." Und am 11. April war es so weit. Als wir den Befehl gekriegt haben, haben wir auch Waffen bekommen, "Sturm auf die Wachtürme". Aber wir haben nicht schießen brauchen, die Wachmannschaften sind von alleine davongerannt. [Buchenwald wurde, nachdem die SS mehr als die Hälfte der Häftlinge angesichts des Vorrückens der Alliierten "evakuiert" hatte, am 11. April 1945 befreit. Einige Stunden, nachdem die SS das Lager verlassen hatte, trafen amerikanische Einheiten ein. Inzwischen hatten bewaffnete Häftlinge die Kontrolle übernommen.]

 

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