Bernhard Blank: "Gefährdung von Menschenleben durch den Eisenbahn-Transport nach Auschwitz"
Abstract
Diese Arbeit wurde mit dem Herbert-Steiner-Preis 2010 ausgezeichnet.
Die Gerichtsverfahren gegen die Eichmann-Gehilfen Franz Novak und Erich Rajakowitsch beschäftigten - angestoßen durch den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 - die österreichische Justiz über 20 Jahre. Für eine rechtskräftige Verurteilung von Novak brauchte es bis 1972 vier Hauptverhandlungen, im Fall Rajakowitsch nur eine im Jahr 1965. Allerdings versuchte er bis 1987, eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Die vorliegende Arbeit versucht die Fragen zu beantworten, warum sich die österreichische Justiz bei der Bearbeitung der beiden vorliegenden Fälle so schwer tat und wie die Prozesse gegen die beiden Schreibtischtäter als juristische Bewältigung des Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.
Novak, der die Eisenbahntransporte nach Auschwitz und den anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern im Osten koordiniert hatte, und Rajakowitsch, der vom Vertreibungs- und Beraubungsprogramm "Aktion Gildemeester" über das RSHA in die Niederlande gekommen war, wo er die Beraubung und Deportation der jüdischen Bevölkerung vorbereiten sollte, wurden beide nicht wegen Mordes an den europäischen Juden und Jüdinnen, sondern aufgrund des sogenannten "Eisenbahnerparagraphen" wegen böswilliger Gemeingefährdung von Personen bei dem Transport mit der Eisenbahn verurteilt.
Als Quellen der Arbeit dienten die Gerichtsakten des Landesgerichts Wien ebenso wie die Tagebücher der Staatsanwaltschaft und Oberstaatsanwaltschaft Wien, die erstmals für die detaillierte Auswertung von Verfahren gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher herangezogen wurden. In beiden Fällen standen der österreichischen Justiz sowohl personell wie organisatorisch ungenügende Ressourcen zur Verfügung. Die politischen Parteien und die Regierung zeigten kein Interesse, hier Abhilfe zu schaffen.
Die Quellen dokumentieren, dass sich im Fall Novak die Ermittlungen weitestgehend auf die Ergebnisse der von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main geführten Prozesse und der Recherchen der Zentralen Stelle Ludwigsburg in der BRD stützten. Im Fall Rajakowitsch waren es Simon Wiesenthal und das Institut für Kriegsdokumentation in Amsterdam, die aus eigener Initiative Beweismaterial sammelten. Ambivalent blieb die Rolle der Geschworenen, die den Angeklagten nur allzu oft ihre Schutzbehauptungen glaubten. Die Kommentatoren in den Tageszeitungen unterschieden klar zwischen den Verbrechern und ehemaligen "kleinen" Nationalsozialisten, die es zu integrieren galt. Eine Unterscheidung, die in der öffentlichen Meinung nicht immer vorhanden war. Der Gedanke an einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit war hier ebenso präsent wie antisemitische Motive. Dagegen protestierte Mitte der 1960er Jahre eine junge Generation, die den Freispruch wegen Befehlsnotstand für Novak 1966 empörend fand.
Doch dieses Interesse schwand mit Beginn der 1970er Jahre in Österreich. In diesem Jahrzehnt wurde die Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechen in Österreich praktisch eingestellt. Rajakowitsch gelang es jedoch nicht, obwohl er von der Staatsanwaltschaft Wien unterstützt wurde, sein Verfahren neu aufzurollen. Sein letzter Versuch, eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen, scheiterte 1987, als bereits die Debatte um die Kriegsvergangenheit von Bundespräsident Kurt Waldheim einen Paradigmenwechsel im Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit eingeleitet hatte.
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