Elfriede Gerstl, geb. 1932 in Wien. Stammte aus einer liberalen jüdischen Familie. Um der Deportation zu entgehen, lebte sie als Kind gemeinsam mit ihrer Mutter als "U-Boot" versteckt in Wien (Sommer 1942 bis zur Befreiung 1945).
Nach 1945 Maturaschule und Studium. Mitte der 1950er Jahre erste Veröffentlichungen. Zahlreiche Auszeichnungen für ihr literarisches Schaffen.
Verstorben 2009.
Es hat mich eine Zeitlang eher die jüdische Gesellschaft meiden lassen, weil mich Leute gefragt haben, wieso wir denn hiergeblieben wären. Das war wirklich ganz ärgerlich und kränkend, dass einem unterstellt worden ist, dass man eine Art Spitzel war. Es sind natürlich ganz wenige Leute hiergeblieben und ganz wenige haben überlebt. Meistens sind die eben von Nachbarn angezeigt worden, manche ein paar Tage vor dem Ende des Krieges, ein paar Tage vor dem Ende der Hitlerherrschaft, sind noch welche umgebracht worden. Im zweiten Bezirk hat es ein paar Leute gegeben. [Am 12. April 1945 wurden in der Förstergasse im 2. Bezirk noch einige Leopoldstädter Juden von SS-Männern erschossen.] Also das war immer noch möglich.
Dieses Leben im Verborgenen hat schon sehr entscheidend auf mein weiteres Leben gewirkt: Wenn Sie sich vorstellen können, wie wichtig es für ein Kind ist, Kontakte zu Gleichaltrigen zu haben. Ich war von all dem abgeschnitten. Ich war von Kontakten mit Gleichaltrigen abgeschnitten, abgeschnitten von möglichen Vorbildern - mich überhaupt nur im Freien zu bewegen, spazieren zu gehen oder Sport zu betreiben -, all das, was sonst als Selbstverständlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen wird, war mir nicht möglich. Also man kann schon von Gefängnissymptomen sprechen.
Ich hab die erste Zeit Schwierigkeiten danach gehabt, in ein Geschäft zu gehen und Semmeln einzukaufen, weil das so ungewohnt war. Ich bin auch die ersten Jahre fast nur mit meiner Mutter ausgegangen. Ich bin ganz wenig allein weggegangen. Ich hab große Schwierigkeiten gehabt, ein Gespräch zu beginnen. Ich erinnere mich, wie ich mich Jahre später zu einem Zeichenkurs anmelden wollte, da bin ich drei Tage hingefahren, bin ins Haus, bin wieder heimgefahren, bis ich's endlich einmal geschafft hab, da reinzugehen und mich für den Kurs anzumelden. Das ist mir schon oft gesagt worden, dass ich das doch schriftstellerisch bearbeiten sollte. Das ist ja sehr unangenehm und selbstquälerisch, sich überhaupt an diese Zeit, an die ganze Situation zu erinnern. Das würde wirklich eine Analyse brauchen, und das hab ich mir halt immer erspart. Aber ich hab es in einigen Fällen aufgeschrieben, aber nicht so ausführlich, wie ich könnte. Ich glaube, die Opfer haben als Einzige das Recht, zu vergessen.