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Wolfgang Müller-Hartburg: Sternwallfahrt aus ganz Wien

Wolfgang Müller-Hartburg, geb. 1923 in Wien, Mitglied des Österreichischen Pfandfinderkorps St. Georg, Mitorganisator der Jugendkundgebung am Stephansplatz am 7. Oktober 1938, 1938-1941 aktive Mitarbeit in der Katholischen Jugend, im Dezember 1939 einige Tag auf der Roßauer Lände inhaftiert, März 1941 Suspendierung vom Schulbesuch, danach Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, Dezember 1944 auf Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht "mangels außerdienstlicher Eignung" nicht zum Offizier befördert.

Nach 1945 Medizinstudium in Innsbruck und Wien, 1953 Promotion zum Dr. med., 1948-1951 Mitbegründer, erster Bundesführer und Vorsitzender des Katholischen Jugendwerkes Österreich, 1955-1965 Assistenzarzt und stationsführender Oberarzt an der 2. Universitätsfrauenklinik in Wien, 1965-1988 Primar im Spital der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt, dann Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Wien.

Verstorben 2001.

 

 

Im Herbst [1938] haben wir uns in der Diözese getroffen mit dem inzwischen auch schon verstorbenen Monsignore [Martin] Stur, der später Landjugend-Seelsorger war. Es war üblich in Österreich in der Schuschnigg- und Dollfußzeit, dass zum Rosenkranzfest am 7. Oktober im Stephansdom eine große Jugendfeierstunde [abgehalten wurde]. Damals gab es noch keine Abendmessen, damals gab es bestenfalls eine Abendandacht mit einem festlichen sakramentalen Segen, und so war das alle Jahre üblich. Ich habe das nie gekannt, hab' keine Ahnung gehabt, aber der hat uns das erzählt. "Soll ma das machen, oder soll ma das net machen?" Haben wir gesagt: "Natürlich mach ma das." Haben wir Laien entschieden, eine Gruppe von 20 Burschen hat entschieden, das mach ma. Es war im Diözesanblatt angekündigt im letzten Moment, aber die Hauptverständigung war nicht das Diözesanblatt, sondern 20 Burschen, darunter ich, haben Fahrräder genommen, und wir haben uns die Wiener Pfarren aufgeteilt. Wir haben gewusst, in der Pfarre Altlerchenfeld ist die Seelsorgestunde am, was weiß ich, am Mittwoch von halb vier bis halb fünf, sind wir dort hingefahren und haben in der Seelsorgestunde gesagt, am 7. Oktober um 19.30 Uhr im Dom Rosenkranzandacht, die ganze Katholische Jugend Wiens ist eingeladen.

 

Wir haben 300 Texte gedruckt für diese Andacht. Ich war einer der Ordner, die eine weiß-gelbe Binde umnehmen und solche Texte verteilen sollten. Um 19 Uhr bin ich herüber in den Dom. Und plötzlich kommt eine Sternwallfahrt aus ganz Wien, wir haben nur so geschaut. Um viertel acht war der halbe Dom voll, um halb acht ist der Dom übergegangen. Man hat auf 8500 junge Menschen im Dom geschätzt, und zwar mit Recht. Die Wiener Katholische Jugend war im Dom. Das war ein Singen und Beten, das ich in meinem Leben nicht mehr vergessen werde. [...]

 

An diesem 7. Oktober war vorgesehen, dass bei der Andacht keine Predigt stattfindet. Wie Kardinal Innitzer hinter sich im Dom, damals war ja nichts versus populum, die Priester haben alle zum Altar geschaut beim Beten, wie er gemerkt hat, was da los ist, wie er gehört hat, wie voll der Dom ist und wie da gebetet und gesungen wird, hat er gesagt: "Gebts mir Inful und Stab, jetzt geh' ich predigen." Und die Geistlichkeit um ihn, ich hab' das öfters gehört, hat gesagt: "Tun S' das nicht, Eminenz. Tun S' es nicht. Es kann was rausschauen." Er hat sich's nicht nehmen lassen, und zwar hat er nicht gepredigt von vorne, sondern von der Pilgramkanzel. Wie man weiß, ist die ziemlich weit hinten im Dom, also ist er durch den ganzen Dom durchmarschiert mit Inful und Stab und vollem Ornat und hat mit Inful und Stab auf der Pilgramkanzel gepredigt. [...] Die Predigt dort hat sehr zivilisiert begonnen: "Der Bischof freut sich, die Katholische Jugend Wiens ..." Ich höre ihn heute noch. So hat er gesprochen. Und plötzlich fängt er dann an: "Und nur einer ist euer Führer, Christus ist euer Führer, lasst euch niemals davon abbringen. Einer ist euer Führer, Christus ist euer Führer, bleibt ihm treu" usw.

 

Es waren ein paar Spitzel da, aber nur 50 oder 100 Leute. Die Ordner hatten Order, bis zuletzt im Dom zu bleiben. Und wie der Dom nach hinten sich entleert hat durch die Seitentore und durch das Riesentor, wie der Dom nur mehr halbvoll war, hat man draußen schon gehört: "Sieg heil, Sieg heil!" Ich will es kurz machen: Es ist dann draußen zu leichten Auseinandersetzungen gekommen, an denen ich nicht beteiligt war. Der Bischof ist unterirdisch ins Palais hinüber, hat sich dann nach längerer Zeit, vollkommen schwarz gekleidet, ich sehe ihn heute noch vor mir, hat also sämtliches Rot abgelegt und ist in einem schwarzen Habit erschienen, hat das Fenster aufmachen lassen, das erste Eckfenster im 1. Stock. Zuerst hat er so mit beiden Armen lieb gegrüßt - wir kennen ihn ja alle noch, nicht wahr? -, und dann hat er das Taschentuch aus dem Ärmel gezogen und hat gesagt: "So, und jetzt gehts nach Hause. Bitte, gehts nach Hause, damit nichts passiert." Wir haben gesungen: "Auf zum Schwure, Volk und Land", und ich weiß nicht, was noch alles. Und die ganze Stadt hat geleuchtet. Wien war eine strahlende Sternwallfahrt, jetzt nach der Peripherie zu. In der Taborstraße und in der Favoritenstraße und in der Wiedner Hauptstraße, überall ist die Katholische Jugend Wiens zu Fuß nach Hause gezogen. Wien war an diesem Abend dominiert von der Katholischen Jugend.

 

 

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