Vertreibung - Exil - Emigration (II)
Projektleitung: Univ.-Doz. Dr. Brigitte Bailer
Projektbetreuung: Dr. Gerhard Ungar
2015 abgeschlossen
Projektfinanzierung (2012 bis 2014): Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien (VWI)
Bis 1942 mussten über 130.000 Menschen Österreich aus politischen und / oder rassistischen Gründen - 100.000 alleine zwischen 11. März 1938 und Mai 1939 - ihre Heimat verlassen. Die große Mehrheit waren Jüdinnen und Juden im Sinne der "Nürnberger Gesetze".
Die - damals unter der Kontrolle der Zentralstelle für jüdische Auswanderung stehende - Israelitische Kultusgemeinde gab im Sommer 1938 Fragebögen an jüdische AuswanderungswerberInnen aus und erfasste sie karteimäßig. Die Fragebögen wurden von jenen Jüdinnen und Juden ausgefüllt, die hofften, allein oder gemeinsam mit ihrer Familie das Land möglichst rasch verlassen zu können, um den nationalsozialistischen Verfolgungen zu entgehen. Da die IKG die sogenannte "Auswanderung" aus dem jüdischen Vereins- und Stiftungsvermögen unterstützte, mussten entsprechende Anträge gestellt werden, wobei nicht klar ist, ob die überlieferten Bögen tatsächlich unmittelbar mit Unterstützungswünschen verbunden waren oder auch der Information der IKG dienten. Allerdings gelang nicht allen, die einen Bogen ausfüllten, dann tatsächlich die Flucht.
Im August 1938 beinhaltete die Auswandererkartei laut IKG Angaben zu ca. 136.000 Personen. Insgesamt enthält der heute erhaltene Bestand 97.027 Personeneinträge, davon sind ca. 5000 bis 6000 Dubletten.
Die Auswandererkartei besteht aus drei Teilen:
- In der alphabetischen Kartei kann nach Namen gesucht werden (weiters enthält sie Angaben zu: Adresse, Auswanderungsziel, Verwandte in Übersee, Laufnummer).
- Die Laufnummern der Fragebögen sind in einer weiteren Kartei geordnet (mit Informationen zu: Name, Adresse, Auswanderungsziel, Verwandte in Übersee, Geburtsdatum, Zahl der Angehörigen, bisheriger Beruf, neu erlernter Beruf, Sprachkenntnisse, Reisespesen, Besitz eigener Mittel).
- Die berufsspezifische Kartei enthält Informationen zu: bisheriger Beruf, neu erlernter Beruf, Sprachkenntnisse, Laufnummer).
Die im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien erhaltenen Karteikarten und Fragebögen wurden vor einigen Jahren durch PraktikantInnen, meistens aus dem englischsprachigen Ausland, als Tabellen digitalisiert. Diese Digitalisate wurden vom DÖW ausgewertet und bearbeitet. Dazu war es erforderlich, die Angaben der Tabellen zu überprüfen und in vielen Fällen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse entstandene Fehler zu korrigieren.
Die Adresseinträge konnten in fast allen Fällen korrigiert werden, wobei die Schreibweise in der Korrektur für Wien für heute noch bestehende Straßen den Angaben in dem von Peter Autengruber zusammengestellten Lexikon der Straßennamen (Peter Autengruber, Lexikon der Wiener Straßennamen: Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen, 8. Aufl., Wien-Graz-Klagenfurt 2012), für historische, seither veränderte Straßennamen dem Adressbuch Lehmann aus 1938 (Lehmanns Wohnungsanzeiger für das Jahr 1938, 2 Bände, 79. Jg., Wien 1938) folgte. Schwieriger war der Zugang zu Adressen außerhalb Wiens, hier musste der Bearbeiter auf Stadtpläne bzw. Angaben im Internet zurückgreifen.
Die in den Originalunterlagen in der damals üblichen Kurrentschrift angegebenen Namen wurden mit dem umfangreichen, im Dokumentationsarchiv aufgrund vergangener Forschungen zu den österreichischen Opfern der Shoah vorhandenen Daten abgeglichen. Insgesamt wurden ungefähr 2500 Familiennamen und einige Tausend Vornamen auf diese Weise richtiggestellt.