Oskar Jaul, geb. am 7. Oktober 1898
Deportation nach Nisko: 26./27. Oktober 1939
Bei Vorliegen von Einreisedokumenten für andere Länder waren 1938/39 noch Entlassungen von jüdischen KZ-Häftlingen aus Konzentrationslagern möglich. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefristen drohte allerdings die neuerliche Einweisung in ein Konzentrationslager. Oskar Jaul aus Baden – im Zuge des Novemberpogroms 1938 festgenommen und ab 14. November Häftling im KZ Dachau – war nach der Haftentlassung 1939 ohne Arbeit und auf Unterstützung durch Angehörige, Freunde und die IKG Wien angewiesen. Mit dem Angriff NS-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 und damit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs schränkten sich seine Möglichkeiten zur Flucht weiter ein. Mittellos und ehemaliger KZ-Häftling ohne konkrete Ausreiseperspektive war er ein typischer Vertreter einer großen Gruppe von Nisko-Deportierten.
"Lieber Bruder, es ist hier eine Aktion im Gange alle J. [Juden] nach Polen zur Colonisation zu senden bis 55 J. [Jahre]. War schon für den Transport eingeteilt und in letzter Minute zurückgestellt worden, da ich für den ersten Transp. nicht tauglich war. Komme erst bei dem 2. dran, vermutlich im November. Mir ist alles schon egal. Zweck ist, die J. von Wien wegzuhaben."
Oskar Jaul an seinen Bruder Felix Jaul in London, 18. 10. 1939 (DÖW 19.735, mit Transkript; alle Zitate in Originalorthographie)
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Die Zusammenstellung der Deportationstransporte durch die IKG Wien verlief nicht zuletzt aufgrund der von der Zentralstelle für jüdische Auswanderung anbefohlenen Schnelligkeit einigermaßen chaotisch. Die beiden Transporte nach Nisko wurden mehrfach verschoben, die Ungewissheit der unmittelbar Betroffenen über ihr weiteres Schicksal mündete in Gerüchte und auch falsche Hoffnungen.
"Hoffe dich bereits im Besitze meines Schreibens von voriger Woche, in welchem ich dir noch mitteilte daß ich zurückgestellt wurde, zur Polenfahrt. Heute muß ich dir aber leider mitteilen daß ich Freitag dieser, oder Dienstag nächster Woche doch fahren muß. […] Sollte ich Möglichkeit haben, dir von dort schreiben zu können, so sei versichert daß ich es nicht ermangeln werde. […]
Und am oberen Rand der Rückseite fügte Jaul an: "Soeben erfahre ich, daß die Polensache einstweilen eingestelt wurde. Mag sein daß überhaupt nichts mehr ist. Jedenfalls muß man aber erst die nächsten 14 Tage abwarten. Allenfalls wird es dadurch noch länger nicht sein."
Oskar Jaul an Felix Jaul, 24. 10. 1939 (DÖW 19.735, mit Transkript) |
Der tatsächliche Deportationsstopp nach Nisko hatte auf die Verschickung des zweiten Transports am 26./27. Oktober 1939, mit dem Oskar Jaul verschleppt wurde, keinen Einfluss. Nach der Ankunft in Nisko nicht in das Lager aufgenommen, flüchtete er über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie. Von Lemberg (Lwow) aus versuchte er vergeblich, in Kontakt zu seiner Familie zu kommen. Erst im April 1940 kam es zu einer Verbindung in die Schweiz:
"Teile Ihnen mit, daß es mir leidlich gut geht, mit Ausnahme meiner Füße. Kann mich sehr schwer fortbewegen. Andenken an Dachau. Wir sind hier zu Tausenden. Wohnen hier in Mass. Quart. Trotz allem bin ich glücklich, Freiheit zu genießen. Bin noch elend beisammen, hoffe aber nach diesem strengen Winter mich zu erholen."
Oskar Jaul an Leo Broczyner in Zürich, 18. 4. 1940 (DÖW 19.735, mit Transkript) |
Kurz darauf wurde Oskar Jaul in ein Arbeitslager in der Gorki-Region deportiert, wo sich seine Spuren verlieren. 1960 wurde er für tot erklärt.
Sein Bruder Felix Jaul (geb. 31. 7. 1900) flüchtete nach dem "Anschluss" 1938 nach Belgien und war dort mehrere Monate im Internierungslager Merksplas bei Antwerpen interniert. Ab Herbst 1939 in Großbritannien, meldete er sich zum Dienst in der englischen Armee.
Ein weiterer Bruder Oskar Jauls, Egon Jaul (geb. 13. 10. 1905), war ebenfalls vom 14. November 1938 bis zu seiner Freilassung 1939 im KZ Dachau in Haft. 1940 war er Häftling im KZ Buchenwald. Im Herbst desselben Jahres flüchtete er nach Palästina.
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