Am 27. Mai starb das letzte noch lebende Gründungsmitglied des DÖW, Wilhelm Grimburg, im 95. Lebensjahr. – Ein Nachruf von Winfried R. Garscha
Auf der Gründungsversammlung des Vereins DÖW am 11. März 1963, zum 25. Jahrestag der Annexion 1938, vertrat Wilhelm Grimburg die "Österreichische Widerstandsbewegung". 20 Jahre später wirkte er – als Sektionschef im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung – maßgeblich an der Gründung der Stiftung DÖW mit. Bis vor wenigen Jahren nahm Grimburg regelmäßig mit Vorschlägen und Diskussionsbeiträgen an den Vorstandssitzungen des DÖW teil.
Wilhelm Grimburg, 2012
Foto: DÖW
Willi Grimburgs Teilnahme am Widerstand gegen das NS-Regime und die mörderische Kriegsführung der Deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS – als Obergefreiter der 6. Gebirgsjäger-Division der Wehrmacht – war kein gerader Weg. Seine Einheit (die 4. Batterie des Gebirgsartillerieregiments Nr. 118) war damals in Nordnorwegen, im Signaltal, zwischen dem Lyngenfjord und der schwedischen Grenze, stationiert. Gebirgsjäger waren unter anderem für die Bewachung der beim Bau der "Eismeerstraße" (der heutigen E6) eingesetzten sowjetischen Kriegsgefangenen zuständig. Im Operationsbereich der Division ("Lyngen-Linie") befanden sich mehrere der insgesamt über 500 deutschen Gefangenenlager in Norwegen, darunter das berüchtigte "Sterbelager" mit der Bezeichnung "Mallnitz", am Ende der Kitdalstraße. Es diente dazu, diejenigen, die schon zu schwach für die Arbeit waren, verhungern zu lassen, damit für die Gefangenen in den Lagern "Gastein" und "Spittal" ausreichend Nahrung vorhanden war, um die Straßenarbeiten voranzubringen.
Dass Grimburgs Batterie mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern zu tun hatte, ist eher unwahrscheinlich – er selbst hat nie darüber gesprochen. Ihre Hauptaufgabe war die Bewachung des südlichen Teils Lyngenfjords (Storfjorden), um mögliche Landeoperationen der Alliierten zu verhindern. Allerdings befanden sich auch im Kit- und im Signaltal sowie in Kvesmenes, dem Standort des Regimentskommandos, Lager mit Hunderten Gefangenen. Inwieweit die Soldaten der für den Kampfeinsatz vorgesehenen Gebirgsbatterien über die an den Zwangsarbeitern entlang der "Eismeerstraße" verübten Verbrechen informiert waren, ist wohl ebenso wenig rekonstruierbar wie das Ausmaß, in dem sie über die mörderische "Aussiedlung" der samischen Bevölkerung in Nordnorwegen Bescheid wussten. (Die Wehrmachtsführung betrachtete alle "Lappen" als potenzielle Komplizen der Roten Armee).
Wilhelm Grimburg (geb. 14. März 1923) entstammte einer niederösterreichischen Familie mit Kärntner Wurzeln. Er war nach der Matura für eine Reserveoffizierslaufbahn vorgesehen gewesen. Es war die Erfahrung mit der Zurücksetzung der österreichischen Soldaten durch deutsche Vorgesetzte, die den kritischen Geist in ihm weckte, der ihn schließlich den verbrecherischen Charakter des Krieges erkennen ließ und ihn Ende 1944/Anfang 1945 dazu animierte, die Fernmeldeeinrichtungen, die er bediente, auch zum Abhören von "Feindsendern" zu nutzen. Die so erlangten Informationen teilte er mit anderen österreichischen Kameraden, unter ihnen Unteroffizier Johann Bauer aus Vigaun in Salzburg, Unteroffizier Urban Kohlbacher aus Leoben, Hauptwachtmeister Josef Wenzl aus Graz, Unteroffizier Helmut Feyertag aus Friesach, Wachtmeister Leopold Wickenhauser aus Wien und Unteroffizier Rudolf Zatsch aus Eisenerz.
Die schwierige Überzeugungsarbeit unter den Kameraden wurde erleichtert, nachdem sie von der Bildung der Provisorischen Regierung in Wien erfahren hatten. Der Satz der Unabhängigkeitserklärung, wonach "alle Österreicher wieder im staatsbürgerlichen Pflicht- und Treueverhältnis zur Republik Österreich" stehen, war für sie von entscheidender Bedeutung, weil dieser sie von dem von ihnen geleisteten Eid auf den "Führer" entband – eine heute nur mehr schwer nachvollziehbare Haltung, die dennoch unter Wehrmachtssoldaten und insbesondere Chargen (Gefreite, Unteroffiziere) bis in die letzten Kriegstage verbreitet war. Es waren schließlich über 70 Soldaten der 4. Batterie des Gebirgsartillerieregiments Nr. 118 der 6. Gebirgsjägerdivision, die sich dazu entschlossen, zu desertieren, nachdem sie vom Vorhaben des Divisionskommandos erfahren hatten, auch nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht weiter "gegen die Bolschewisten" zu kämpfen, um sich einem weiteren Vorstoß der Roten Armee in Nordnorwegen entgegenzustellen. Bei der Rückkehr von einem Beobachtungsposten musste Grimburg am 8. Mai 1945 feststellen, dass die kommandierenden Offiziere das Geschütz (die "Spritze", wie er sich in Erzählungen ausdrückte) umgedreht hatten: Statt hinaus aufs Meer war es jetzt ins Talinnere gerichtet – offenbar als Drohung, man werde jede Flucht über die schwedische Grenze zu verhindern wissen. Im Zuge der Auseinandersetzungen in den darauffolgenden Stunden erschoss Grimburg zwei Offiziere, womit der Fluchtweg frei war. Während die Verfolger immer näher kamen, teilten sich die flüchtenden Soldaten an einer Biegung des Tals auf – eine Gruppe unter dem Kommando des Hauptwachtmeisters Josef Wenzl versuchte den Aufstieg zu der an dieser Stelle nur mehr wenige Kilometer entfernten schwedischen Grenze, die andere unter dem Kommando Grimburgs flüchtete weiter entlang des Bachs in Richtung Osten, um die Grenze an einer leichter passierbaren Stelle zu überqueren. Die gesamte Gruppe Wenzl wurde von den Verfolgern gefangen genommen.
Am 9. Mai, mehrere Stunden nach der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht, trat in Kvesmenes ein Gericht der 6. Gebirgsjägerdivision zusammen und verurteilte Wenzl, Feyertag, Wickenhauser und Zatsch zum Tode. Am Morgen des 10. Mai wurde das Urteil vom Divisionskommando in Tromsø bestätigt, und zwischen viertel und halb elf Uhr wurden die vier Todesurteile vollstreckt. Die Schießstätte befand sich bei Kilometer 2,5 der Kitdalstraße.
Die deutschen Truppen jenseits des Polarkreises hatten durch die Alliierten die Anordnung erhalten, sich als Kriegsgefangene zu betrachten und in ihren Kasernen zu bleiben. Dort schaltete und waltete die Militärgerichtsbarkeit, als hätte Deutschland den Krieg gewonnen. Am 18. Mai, also zehn Tage nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, trat in Kvesmenes neuerlich ein Kriegsgericht zusammen und verurteilte neun geflüchtete Soldaten wegen Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung in Abwesenheit zum Tode, unter ihnen der Obergefreite Grimburg, der wegen der Erschießung der beiden Offiziere – die erst die Flucht der Österreicher ermöglicht hatte – außerdem wegen Mordes angeklagt war. Der Armeerichter des Deutschen Befehlshabers der Zone Tromsø empfahl in einem Rechtsgutachten am 24. Mai, die Urteile zu bestätigen, "um die Möglichkeit zu gewinnen, falls sie noch einmal im deutschen Vaterlande auftauchen, in der notwendigen Weise vorzugehen". Das Divisionskommando hatte die Chuzpe, von den Alliierten die "Auslieferung" des nach Schweden geflüchteten Wilhelm Grimburg zu verlangen, und übersetzte zu diesem Zweck den gesamten Kriegsgerichtsakt ins Englische.
Mit der Unterstützung der schwedischen Gewerkschaftsbewegung, die den Kontakt zu Bruno Kreisky in Stockholm herstellte, gelang es Grimburg und den mit ihm Geflüchteten, das Internierungslager zu verlassen. In diesem Lager wurden auch SS-Angehörige gefangen gehalten, die sich vom Baltikum über die Ostsee nach Schweden abgesetzt hatten – diese sahen in den Deserteuren "Verräter", was zu bedrohlichen Situationen führte.
Die Kopie des Akts, den das Divisionskommando in Tromsø dem britischen Kommando in Oslo übersandt hatte, war von diesem an das alliierte Verbindungsbüro in Stockholm weitergeleitet worden. Grimburg durfte die Unterlagen mit nach Hause nehmen. Er übergab sie den österreichischen Behörden, wo sie verloren gingen.
Es folgten seltsame Begegnungen mit ehemaligen SS- und Wehrmachtsangehörigen in Kärnten, die ihm drohten, dass an ihm noch ein Todesurteil zu vollstrecken sei. Seinem Freund Johann Bauer wurde – als "Verräter" und Komplizen des "Kameradenmörders" Grimburg – in Vigaun das Leben schwer gemacht. 1953 versuchte die Witwe eines der hingerichteten Unteroffiziere, beim Volksgericht Wien einen Kriegsverbrecherprozess gegen Grimburg anzustrengen, weil er durch seine "Morde" die Hinrichtung ihres Mannes mitverschuldet habe. Das Verfahren wurde niedergeschlagen, da die Befreiungsamnestie 1945 sämtliche angenommene oder tatsächliche Verbrechen, die im Interesse der Befreiung Österreichs begangen wurden, von einer Strafverfolgung ausschloss. Grimburgs Tat diente FPÖ-Politikern bis in die jüngste Vergangenheit als Vorwand, die Rehabilitierung aller Verurteilten durch die nationalsozialistische Militärjustiz zu hintertreiben.
Nach Beendigung seines Studiums arbeitete Dr. Wilhelm Grimburg zunächst bei der Finanzprokuratur und später in der ÖIG, der Vorläuferin der ÖIAG, der Holding der österreichischen verstaatlichten Betriebe. Nach Bildung der SPÖ-Alleinregierung 1971 berief Hertha Firnberg, die das neugeschaffene Wissenschaftsministerium leitete, Wilhelm Grimburg zum Sektionschef – Grimburg war unter anderem für den internationalen Technologieaustausch zuständig. Die Grazer Zeitschrift Neue Ordnung titelte daraufhin, die SPÖ-Wissenschaftsministerin hätte einen "Kameradenmörder" zum Sektionschef berufen. Grimburg klagte wegen Ehrenbeleidigung. Die Zeitschrift rechtfertigte den Mordvorwurf damit, dass Grimburg lüge, wenn er behaupte, das Divisionskommando hätte ein Weiterkämpfen nach der Kapitulation befohlen, dem die Deserteure entgehen wollten. Die Desertion sei vielmehr niedrigen Motiven entsprungen. Die Diffamierer verließen sich darauf, dass Grimburgs Darstellung nicht bewiesen werden konnte, weil die Akten nach 1945 ja "verschwunden" waren. Dem wissenschaftlichen Leiter des DÖW, Herbert Steiner, gelang es aber, über das Norwegische Staatsarchiv Kopien der seinerzeit vom Divisionskommando Tromsø den Briten übersandten Kriegsgerichtsakten zu besorgen. Mit ihrer Vorlage vor Gericht gelang der Wahrheitsbeweis, die Neue Ordnung wurde verurteilt. Versuche, im Anschluss daran die für die Urteile verantwortlichen Militärrichter in der Bundesrepublik Deutschland vor Gericht zu stellen, scheiterten; sie hatten mittlerweile hohe Funktionen in der Exekutive bzw. in der deutschen Justiz inne.
Wegen der fortlaufenden, nicht immer nur unterschwelligen Drohungen war Wilhelm Grimburg nicht daran interessiert, die Ereignisse in Nordnorwegen im Mai 1945 darüber hinaus zu einem öffentlichen Thema zu machen – auch, um seine Familie zu schützen. Er riet Hugo Portisch dringend ab, die Geschichte zum Gegenstand von Österreich II zu machen. Im DÖW bat er, die betreffenden Akten für die allgemeine Benutzung zu sperren.
Es ist hoch an der Zeit, die mutige Tat des Obergefreiten Grimburg ebenso zu würdigen wie der vier nach Kriegsende Hingerichteten zu gedenken. Der 75. Jahrestag der Erschießung von Hauptwachtmeister Josef Wenzl, Unteroffizier Helmut Feyertag, Wachtmeister Leopold Wickenhauser und Unteroffizier Rudolf Zatsch am 10. Mai 2020 wäre die passende Gelegenheit, den Hingerichteten ein Denkmal zu errichten, auf dem auch die Rolle Wilhelm Grimburgs und seiner Freunde gewürdigt wird.