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Religiöse Extremisten demonstrieren im Zentrum Wiens

Neues von ganz rechts - Juni 2021

 

Seit zehn Jahren organisieren katholisch-traditionalistische Kreise eine Gegenveranstaltung zur Pride, dem jährlichen Marsch für LGBTIQ*-Rechte in Wien, unter dem Titel "Marsch für die Familie" (vgl. dazu die DÖW-Berichte von 2016 und 2017). Träger desselben ist eine Plattform, der u. a. der Wiener Akademikerbund, rechtskonservative Kleinstparteien und Anti-Abtreibungs-Organisationen angehören. An der diesjährigen Auflage vom 19. Juni mit Auftaktkundgebung am Stephansplatz und anschließendem Marsch zum Ballhausplatz nahmen rund 200 Personen teil.

 

Im Rahmen der Veranstaltung bekundeten mehrere Redner ihre Skepsis bis offene Ablehnung von Grundprinzipien liberaler Demokratie und aufgeklärter Staatlichkeit, allen voran der Vertreter der Priesterbruderschaft St. Pius X (Piusbruderschaft), deren Mitglieder in der Vergangenheit wiederholt durch Holocaustleugnung aufgefallen sind. Pater Stefan Frey, "Distriktoberer" der Bruderschaft für Österreich, brach eine Lanze für die Kirche als "ecclesia militans" und rief zu einer Art katholischem Djihad auf: "Jeder Christ" sei verpflichtet, "zu kämpfen für unseren Herrn Jesus Christus, sein ewiges Gesetz und sein Reich, und zwar bis zur Hingabe seines Lebens [Applaus]." Zum Bedauern des Gotteskriegers Frey wolle man aber "von offizieller Seite her [...] in Frieden leben, mit allen, auch mit den Feinden Christi". Gegen diese Haltung beschwört der Piusbruder, der nur mit seiner Exegese heiliger Schriften in Einklang stehende Autorität tolerieren will, eine "Widerstandspflicht". Schon der Apostel Petrus habe verkündet, man müsse "Gott mehr gehorchen als den Menschen [Applaus]". Wenn also "Vorgesetzte oder Regierungsorgane etwas gebieten, was gegen Gott und gegen seinen heiligen Willen gerichtet ist, dann darf man nicht gehorchen". Als Beispiel für eine solche Situation nennt Frey die Politik der Pandemiebekämpfung. Abschließend zeigt er sich, gleichermaßen das dichotome Weltbild und das Erlösungsnarrativ des religiösen Extremismus bemühend, gewiss, "auf welcher Seite in diesem weltweiten Kampf zwischen Himmel und Hölle der Sieg sein wird".

 

Vom Publikum wurden diese Ausführungen, gegenüber welchen die heurige Rede des Rechtsextremisten Georg Immanuel Nagel sich vergleichsweise moderat ausnahm, beklatscht, weder Moderator Christian Zeitz (Wiener Akademikerbund) noch andere Redner legten Widerspruch ein. Vielmehr dankte Zeitz weiteren anwesenden Piusbrüdern für ihr Kommen und bekundete seinerseits Geringschätzung für die real existierende Demokratie und deren Souverän: es handle sich dabei um "eine spezielle Form der Ochlokratie, der Pöbelherrschaft", gleichzeitig aber auch um "eine spezielle Form der Elitendiktatur". Der ehemalige Salzburger Weihbischof Andreas Laun führte in seiner Ansprache aus, Österreich sei "kein Rechtsstaat" und das Wort "Menschenrechte" sei zu vermeiden, da es sich eigentlich um "Gottesrechte" handle.

 

Noch deutlichere Worte fand auf der Website eines von Zeitz geleiteten "Instituts" Friedrich Romig, ein langjähriger Brückenbauer zwischen politischem Katholizismus und extremer Rechter. Seiner Beurteilung nach steht das Christentum "in schroffem Gegensatz zum Grundgesetz" bzw. Letzteres für Katholiken "unter 'Evangeliumsvorbehalt'". Jeder katholische Politiker habe die "Wiederherstellung und Vollendung" einer gesellschaftlichen Ordnung "nach dem Heilsplan des Evangeliums" anzustreben. Die Trennung von Kirche und Staat sei "Häresie", der "Kampf um [...] den christlichen 'Gottesstaat'" schon von Kirchenvater Augustinus als Pflicht jedes Katholiken ausgerufen worden. Dass das Recht vom Volk – und nicht etwa von Gott – ausgehen solle, sei "[f]ür gläubige Christen [...] inakzeptabel". Zeitz tritt diesen Positionierungen auf seiner Website in Form einer Replik entgegen – nicht aber, ohne den "brillanten" Romig zu würdigen, den er durchaus "verehre".

 

Am "Marsch für die Familie" wurde ferner von Georg Roth (Obmann der Anti-Abtreibungs-Lobbyorganisation Pro Vita) ein Text von Johann Wilde (Ärzte für das Leben) verlesen. Wilde leugnet darin nicht nur die Existenz der Covid-19-Pandemie, sondern greift in seiner Auseinandersetzung mit der diesbezüglichen Impfkampagne auch zu schreienden Verharmlosungen der NS-Verbrechen. Er argwöhnt, dass durch die Impfungen ein "Genozid vorangetrieben" werden solle, ortet eine in Gang befindliche "Impf-Euthanasie", sieht "Ärzte schon wieder als Erfüllungsgehilfen eines verbrecherischen Regimes" agieren und fordert eine "Aufarbeitung" durch ein "zweites Nürnberg".

 

Die Brücke zum nativistischen Kernanliegen der extremen Rechten – der Herbeiführung ethnischer Monokulturen durch Einwanderungsstopp, systematische Diskriminierung nicht-autochthoner Menschen und Massenabschiebungen – schlug Moderator Zeitz selbst. Er rief zum "Abwehrkampf[] gegenüber Religionen und Kulten" auf, "die wir [...] nicht in Mitteleuropa haben wollen". "Massenmigration" führe zur "Zerstörung der christlichen Kultursubstanz", für deren Erhalt wiederum eine "Kontinuität des Bevölkerungssubstrats" erforderlich sei.

 

In Summe illustriert der diesjährige "Marsch für die Familie" das zunehmende, im Zuge der Corona-Proteste noch beschleunigte Zusammenrücken von weitgehend areligiösen Rechtsextremen und katholischen TraditionalistInnen. Dieses realisiert sich in der wechselseitigen Beteiligung an Mobilisierungen ebenso wie in publizistischen Kooperationen und Bezugnahmen. So hatten zum heurigen Marsch auch Medien des "freiheitlichen" Lagers (wie ZurZeit und die Tagesstimme) aufgerufen, das bekanntlich für sich das Verdienst reklamiert, Demokratie und Freiheitsrechte historisch gegen den politischen Katholizismus durchgesetzt zu haben. Eine Gruppe von "Identitären" behinderte vor Ort die Dokumentation der Veranstaltung durch JournalistInnen.

 

Inhaltliche Basis dieser Allianzbildung sind die gemeinsame Frontstellung gegen Diversität und Ambivalenz im Allgemeinen und anti-muslimischer Rassismus im Besonderen. "Identitären"-Führer Martin Sellner, der selbst den Marsch im Vorfeld beworben hatte, führte in den Tagen nach der Pride aus, seine Gruppierung verteidige neben der "ethnokulturellen Identität" auch "die Identität von Mann und Frau und der Familie". Jene, die geschlechtliche Diversität propagierten, seien dieselben, die auch für ethnische Diversität einträten und damit "dieselbe gegnerische Kraft". Anlass für diese Wortmeldungen war eine Banneraktion von "identitären" Aktivisten auf der Pride selbst. Das sie begleitende Flugblatt rief einen "white boy summer" aus und bekundete, man wolle "keine Pride-, sondern Militärparaden". Wenige hundert Meter vom Rathausplatz – dem Schauplatz dieser Intervention – entfernt, spendete indes Piusbruder Frey der Parade militanter PaläokatholikInnen den Abschlusssegen.

 

 

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