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Walter Neuhaus: Richtung Schweden abgedampft

Walter Neuhaus, geb. 1919 in Wien. Als Kind bei den sozialdemokratischen "Roten Falken", nach den Februarkämpfen 1934 zum Kommunistischen Jugendverband. Festnahme 1936, nach der Entlassung 1938 noch im März 1938 von der Gestapo verhaftet und schwer misshandelt. Flucht aus dem Inquisitenspital, Leben im Verborgenen. Walter Neuhaus galt nach den "Nürnberger Gesetzen" als Jude. Oktober 1938 mit gefälschten Papieren nach Schweden. Seinen Eltern gelang die Emigration nach Mexiko.

Ende März 1946 Rückkehr nach Wien. 1968 Austritt aus der KPÖ. Bis zur Pensionierung 1979 Betriebsrat bzw. Betriebsratsobmann bei ÖMV/Tanklager Lobau. Bezirksrat der Grünen in Wien-Liesing. Ehrenamtlicher Mitarbeiter des DÖW.

Verstorben 1990.

 

 

Im Oktober 1938 habe ich mich in den Zug gesetzt und bin Richtung Schweden abgedampft. Auf der Strecke bis nach Bayern hat der Zug eine Stunde Verspätung gehabt, und ich hätte nach Fahrplan in Berlin eine Stunde Zeit gehabt, von einem Bahnhof zu dem anderen zu kommen, damit ich den Zug nach Saßnitz [deutscher Ostseehafen auf der Insel Rügen] erreiche. Ich war furchtbar beunruhigt, ob die Reisedokumente, wenn ich in Berlin übernachten muss, halten oder nicht. Auf der deutschen Strecke hat der Zug aber die Stunde wieder eingeholt, und ich bin ziemlich pünktlich in Berlin angekommen. Ich habe mich in ein Taxi gesetzt, bin hinüber zu dem anderen Bahnhof und habe die Reise fortgesetzt. Auf der Fähre, die nach Trelleborg [südschwedische Hafenstadt] hinübergeht, habe ich eine Wienerin getroffen, eine Jüdin, die kein schwedisches Visum gehabt hat, sondern nur einen Einladungsbrief für Schweden. Wir sind dann zugleich zu den Grenzbeamten gekommen. Sie ist sofort abgewiesen und zurückgeschickt worden, denn ohne Visum war in Schweden nichts zu machen. Bei mir war es so, dass in meinem Pass ja kein Visum drinnen war und ich die Beamten darauf aufmerksam gemacht habe, dass ich gar nicht so heiße, wie es im Pass steht, sondern für mich ein Visum aufliegt: "Ich heiße in Wirklichkeit Neuhaus, und Sie sollten sich im Innenministerium rückversichern." Das hat ca. eine Dreiviertelstunde gedauert und danach habe ich freien Weg nach Stockholm bekommen. Das Visum war da, und es wurde bestätigt, dass ich einreisen darf. Als ich in Stockholm angekommen bin, habe ich zuerst nur eine sozialdemokratische Anlaufadresse gehabt und von der [Kommunistischen] Partei die Information bekommen, mit wem ich mich von Seiten der Partei ins Einvernehmen setzen sollte. Das war der Fredl Raab, der damals der Leiter der kommunistischen Emigrationsgruppe in Stockholm war. Die österreichische kommunistische Emigrationsgruppe war damals eine relativ kleine Gruppe, ungefähr zehn Leute. [...]

 

Vielleicht jetzt eine Bemerkung zur Rolle von Kreisky. Kreisky hat eigentlich immer von Österreich gesprochen und nie von einer "gesamtdeutschen Revolution" oder Ähnlichem, wie die sozialistische Gruppe in London. Kreisky war ein bewusster Österreicher, trotz alledem. Andererseits war es so, dass er nicht bereit war, die Argumentation, die wir verwendet haben, zu akzeptieren. Wir haben nämlich gesagt: "Wir haben keine eigene Emigrationspolitik zu betreiben, sondern wir haben die Politik des österreichischen Widerstandes zu betreiben", obwohl wir natürlich in Schweden wenig Ahnung vom österreichischen Widerstand gehabt haben, das war ja sehr nebulos.

 

Wir haben mit zwei österreichischen Vereinigungen begonnen, die sich dann zusammengeschlossen haben. Dann ist Folgendes eingetreten: Wir waren ein paar Jungkommunisten, fünf oder sechs, und wir haben uns überlegt, wie wir aus diesem beschränkten Rahmen hinauskommen könnten. Jetzt hat es in Schweden eine religiöse Gruppierung gegeben, die "Israel-Mission". Die hat sich zur Aufgabe gestellt, die Juden zum Christentum zu bekehren. Das war in Österreich im 38er Jahr, wenn man die Perspektive gehabt hat: "Wenn ich da mitmache, kriege ich eine Einreise nach Schweden", eine relativ einfache Geschichte, und sie haben an die 150 Jugendliche nach Schweden gebracht. Von diesen 150 haben etwa 100 in Stockholm gelebt. Wir haben das als zukunftsträchtiges Ackerland betrachtet und uns an den Leiter der "Israel-Mission", Pastor Jellinek, selbst ein getaufter Jude, gewendet mit dem Ersuchen, wir wollen die Adressen der Jugendlichen der "Israel-Mission" bekommen, weil wir einen Österreich-Abend machen wollen, worauf der Jellinek gesagt hat: "Passt auf, mich braucht ihr nicht mit dem Schmäh nehmen, ich weiß genau, wer ihr seid, aber ich gebe euch trotzdem die Adressen." Wir haben gerechnet, wenn wir an die 100 Einladungen ausschicken, werden 20 Leute kommen, 20 sind mehr als sechs. Das ist schon ein Erfolg, wenn man so rechnet, und wir haben also an die 100 Jugendlichen Einladungen ausgeschickt. Getroffen haben wir uns in einem Heim der Sozialistischen Jugend Schwedens, aber zu unserer Überraschung ist der Saal übergegangen. Von den 100 sind in etwa 80 gekommen, und das war praktisch der Grundstock oder der Stock der österreichischen Jugendgruppe, die wir von diesem Zeitpunkt an aufgebaut haben. Von diesen 80 sind 50 ständige Mitglieder und Besucher der österreichischen Jugendgruppe geworden, und bei ihnen war das Primäre, dass sie wirklich Sehnsucht hatten, aber nicht nach Österreich, sondern nach österreichischer Jugend, Benehmen und Volkstum. Sie haben sich inhaltlich, nachdem bei uns die Frage Österreich im Mittelpunkt gestanden ist, mit uns vollkommen verbunden gefühlt. In der österreichischen Jugendgruppe sind dann noch vier oder fünf Kinder von Sozialisten drinnen gewesen. Ich glaube, im Jahr 1944 haben wir in der österreichischen Jugendgruppe die Frage zur Abstimmung gebracht, ob wir uns dem Weltbund der demokratischen Jugend anschließen sollen oder nicht. Die SP hat damals "Feuer" geschrieen und gesagt, sollten wir das machen, dann fliegen wir aus der "Österreichischen Vereinigung" [im Sommer 1943 gemeinsam von der sozialistischen, kommunistischen und bürgerlichen Emigration gegründet] hinaus. Es hat eine Abstimmung gegeben mit einer ganz überwältigenden Mehrheit für den Anschluss an die Weltjugendbewegung, und die österreichische Jugendbewegung ist aus der "Österreichischen Vereinigung" ausgeschlossen worden.

 

Die österreichische Jugendbewegung hat auf kulturellem Gebiet eine sehr wichtige Rolle gespielt. Wir haben einen eigenen Chor und eine Volkstanzgruppe gehabt und haben Theater gespielt. So haben wir wirklich sehr viel gemacht, und das war ein Einschnitt, als man uns hinausgeschmissen hat. Das war der Anlass dafür, dass die "Österreichische Vereinigung" wieder in zwei Vereine zerfallen ist, weil die Minderheit, die schon vorher von der Kommunistischen Partei beeinflusst war, sich über solche Methoden empört hat, dass man gewählte Leute einfach hinausschmeißt. Von diesem Zeitpunkt an gab es wieder - bis relativ kurz vor Kriegsende - zwei "Österreichische Vereinigungen", wobei es so war, dass jede dieser Vereinigungen aus dem Grundelement bestanden hat, der Arbeiterbewegung mit Sozialisten und Kommunisten und auch aus bürgerlichen Elementen. [...]

 

Die Lebensbedingungen waren zu Beginn meiner Emigrationszeit sehr schwierig. Wir haben nur Geld von der schwedischen Gewerkschaftsdachorganisation bekommen, das waren sieben Kronen in der Woche. Es hat im Stadtzentrum eine Haushaltsschule gegeben, wo ein Mittagessen serviert wurde. Das war ein großer Saal mit einem langen Tisch, und es gab da typisch schwedisches Essen, ein Smörgasbröd, das ist ein Butterbrot mit allen möglichen Beilagen, und Suppe und Hauptspeise. Man konnte wählen, was man wollte. Das hat eine Krone gekostet. Wir haben uns alle am Rand von Stockholm ein Quartier gesucht, weil es dort billiger war, und man hat auch neben diesen sieben Kronen die Miete bis zu einer bestimmten Höhe von der Gewerkschaft vergütet bekommen. Da sind wir in der Früh in die Stadt marschiert. Um 12 Uhr hat die Haushaltsschule aufgemacht und um 3 Uhr hat sie zugemacht. Achtzig Prozent der dort Sitzenden waren Emigranten, und die haben dort von 12 Uhr bis 3 Uhr gegessen, ununterbrochen, systematisch und genau verteilt, nicht hastig, damit man mehr hinunterbringt. Man hat noch, das hätte man eigentlich nicht dürfen, sich ein Butterbrot mitgenommen, und dann ist man wieder zu seinen Quartieren zu Fuß zurückgegangen. Das hat sich tagtäglich so abgespielt. Am Anfang hatten wir keine Arbeitsgenehmigung und mussten uns wöchentlich bei der Polizei melden. Es war so, dass man dort empfangen wurde: "Wieso sind Sie denn aus Deutschland weggefahren? Na ja, irgendwas müssen Sie doch angestellt haben?" Also es war immer die Verdächtigung, dass man aus kriminellen Gründen Deutschland verlassen hat. [...]

 

Bei kulturellen Aktivitäten ist auch die Jugendgruppe wieder im Vordergrund gestanden. Wir haben in der Jugendgruppe eine Volkstanzgruppe, einen Chor und eine Theatergruppe gehabt. Im Rahmen all dieser Dinge hat der Kurtl Hahn eine dominierende Rolle gespielt, und wir haben laufend Veranstaltungen durchgeführt, vor allem für die Österreicher. Das war ein sehr guter Zusammenhalt, den wir da schaffen haben können, mit Heurigenfesten usw. 1943 oder 1944 haben wir eine ganz große Veranstaltung im Konzerthaus von Stockholm organisiert mit einem Österreichprogramm, wo das halbe Programm von der Jugendgruppe gestellt war. Dann haben wir einen Mann gehabt, Wimmer hat der geheißen, der hat Klavier gespielt. Schauspieler war er auch noch, und der hat rezitiert. Das war wirklich eine große, ausverkaufte Veranstaltung, die wir da gemacht haben, und zwar zugunsten der holländischen Kinder. In Holland war doch der Seyß-Inquart Reichskommissar. Wir wollten damit demonstrieren, dass nicht alle Österreicher "Seyß-Inquarts" seien. Wir haben auch eine Zeitung herausgebracht, "Die österreichische Zeitung", die recht gut gemacht war. Der Willy Brandecker hat die redigiert. In einer Nummer ist eine ganze Seite drinnen, die unserer Veranstaltung gewidmet ist, nur mit Presseausschnitten. Wir sind praktisch in allen Zeitungen genannt worden. An der Zeitung habe ich auch mitgearbeitet, da waren auch immer wieder Beiträge von mir drinnen. Jedenfalls war die Zeitung ein gutes Bindemittel zwischen unseren Leuten. Die "Österreichische Vereinigung" hat auch ihre Stellen gehabt. In Stockholm war die stärkste Gruppe, in Göteborg hat es eine eigene Gruppe gegeben, in Norrtälje hat es eine eigene gegeben, in Uppsala haben wir eine eigene Gruppe gehabt, wobei es so war, dass die "Österreichische Vereinigung" von der SP an sich stärker war als unsere. Aber in der Provinz waren nur wir zu Hause. Die Provinzgruppen haben alle zu uns gehört. Das hing damit zusammen, dass eigentlich die bürgerliche Emigration eine österreichbetontere war als die SP-Emigration, und in den Provinzstädten hat die bürgerliche Emigration überwogen, und die haben sich mehr an unsere Argumentation gehalten als an die der Gruppe von Kreisky.

 

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