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Philipp Justitz, Frida Justitz, Gerhard Justitz, Samuel Mandl, Malvine Mandl: "5 Min. vor 12"

Deportation Wien – Opatów / Lagów, 12. März 1941

 

Philipp Justitz, geb. 12. 3. 1891

Frida Justitz, geb. 18. 8. 1897

Gerhard Justitz, geb. 20. 9. 1925

 

Samuel Mandl, geb. 31. 3. 1865

Malvine Mandl, geb. 4. 11. 1875

 

Der Vertreter Philipp Justitz (geb. 12. 3. 1891), seine Frau Frida (geb. 18. 8. 1897), ihr 15-jähriger Sohn Gerhard (geb. 20. 9. 1925) sowie Justitz’ Schwiegereltern Malvine (geb. 4. 11. 1875) und Samuel Mandl (geb. 31. 3. 1865) wohnten 1941 in der Mayerhofgasse 1/21 in Wien-Wieden. Sie wurden gemeinsam nach Opatów deportiert und nach der Ankunft in Kunów bei Ostrowiec (Kreis Opatów) einquartiert.

 

"Der Gruss an den Kahlenberg resp. an Wien hat uns allen Tränen entlockt, es war dies ein Gruss aus einer anderen Welt. Nicht daran denken ist das einzige Hilfsmittel", schrieb Philipp Justitz am 30. 7. 1941 aus Kunów an Leopold Schuster, einen in Wien-Favoriten lebenden Verwandten. Seine erste Nachricht von dort – eine undatierte Postkarte (Poststempel vom 18. 3. 1941) an Marie Schuster – war im Tonfall noch wesentlich optimistischer gewesen:

 

"Die Leute hier sind sehr arm[,] eine kleine Judengemeinde von 50 Familien, bei welchen wir 100 Mann zugeteilt wurden. Die Eltern sind auch bei uns, der Rest wurde auf verschiedene Ortschaften aufgeteilt. Ich habe während der Fahrt als Waggonkommandant Dienst gemacht und gleich auch hier mit der Organisation der Unterbringung, Verköstigung u.s.w. die Leitung in die Hand genommen[,] sodass ich gestern bereits als Dolmetsch u. Sekretär des Judenrates offiziell ernannt wurde, zwar ohne jedes Einkommen, aber doch gleich ein Wirkungskreis. Wenn Du Gelegenheit hast, Fam. P. zu sprechen, sage Ihnen, ich werde bald Bürgermeister sein, aber es ist kein verlockendes Ziel. […]
Jetzt kann ich Dir schon bald ein südseitiges Zimmer sichern, wenn Du zu uns kommen solltest."

 

Postkarte

Postkarte von Philipp Justitz an Marie Schuster, Kunow bei Ostrowiec, Kreis Opatów, März 1941

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Emotionaler und ungefilterter schilderte der 76-jährige Samuel Mandl am 30. März 1941 dem Ehepaar Marie und Leopold Schuster die bittere Armut der polnischen Juden und Jüdinnen, der nun auch die aus Wien Deportierten ausgesetzt waren:

 

"Nach langwieriger Fahrt sind wir um 2 Uhr Nacht in Kunov angelangt[,] erhielten wir warme Suppe, und sind dort auf Stroh auf der Erde gelegen, nach 3 Tagen erhielten wir zusammen 1 Bett, wenig Stroh. Hygyeny ist dort ein [sic!] Begriff. 40–60 Schritte muß man gehen um Notdurft zu verrichten[,] alles offen und frei, Schmutz unglaublich[.] Leute tragen dort Kleider, Fetzen[,] Kinder halbnackt[,] Wohnungen notdürftig und naß[,] im ganzen ist hier um 100 Jahre alles zurück. Witterung enorm kalt[,] Schnee und Regen Koth zum versinken."

 

Die folgende Korrespondenz von Philipp Justitz mit Leopold Schuster kreiste um Mittel und Wege, von Wien aus die Familie zu unterstützen, wobei das zermürbende Warten auf Briefe und Pakete mitunter Verbitterung und das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, zur Folge hatte:

 

"Du schreibst, ich soll Dir unsere Wünsche bekanntgeben, die sind kurz gesagt: ‚Hilfe‘[!] Hilfe in jeder Form, die Voraussetzung dazu allerdings ist nicht nur ein weiches Herz, sondern ein eiserner Wille zur Hilfe, dann geht es auch. Dies hat vor kurzem ein bekannter Herr (Jude) bewiesen. Ich schrieb ihm, dass wir Hilfe brauchen und dass, da Arier an Arier Pakete senden können, er welche an meinen Freund Kasimir Dmytrak senden soll. Nun, nach 14 Tg. [Tagen] kam bereits ein 6 kg Paket mit alten Kleidern, Wäsche, Schuhe u dgl. die der Herr in seinem Bekanntenkreis für uns zusammengeschnorrt hatte. Nun ist durch den Verkauf dieser Sachen wieder auf 1 Monat das Leben gerettet. Wie er es gemacht hat? Er hat am Postamt 15 durch eine bekannte Arierin das Paket aufgeben lassen und alles ist erledigt. Die sagte auf Befragen, daß der Dmytr. ein Bekannter sei, dem sie alte Kl. [Kleider] sende, fertig. –
Vielleicht probierst Du es auch einmal! Meine Freunde im XVI. Bez. machen es so wie Du, sie bedauern uns riesig, beten für uns, aber zu einem Paket haben sie sich noch nicht aufgeschwungen. […]
Sei nicht bös, wenn ich vorhin so unhöflich geschrieben habe aber glaub mir, bei uns ists bereits 5 Min. vor 12 h, das Heu muss bald kommen, sonst hat der Schimmel nichts mehr davon." (Brief an Leopold Schuster, 30. 7. 1941)

 

Philipp Justitz’ letzte Nachricht stammt vom 27. 2. 1942, von den Verwandten in Wien hatte er seit drei Monaten keine Nachricht erhalten:

 

"Heute erhielten wir von meinem Cousin aus Wien Post, aus welcher mir erscheint, dass er von uns einen Brief nicht erhalten hat und auch wir von ihm nicht. Es [ist] also auch möglich dass wir ev. von Euch Post nicht erhalten haben, bitte schreibet uns jedenfalls[,] es sei denn dass es Euch nicht möglich ist oder vielleicht nicht recht, wenn wir Euch schreiben. Wir würden auch dies begreifen, nur bitte es uns wissen zu lassen.
Legt uns bitte wieder einige 12 Pf Marken bei, damit wir nicht mit G.G. [Generalgouvernement] Marken frankieren müssen, wenn es für Euch kompromitierend ist, wenn man sieht, dass ihr aus dem G.G. Post bekommt.
Unsere Lage wird, mangels jeden Nachschubs immer prekärer und wissen wir wirklich nicht, wie die nächsten Monate zu überdauern sein werden."

 

Über das weitere Schicksal der Familien Justitz und Mandl ist nichts bekannt; eine Tochter von Philipp und Frida Justitz (Magda, geb. 1920) überlebte im Exil.

 

 

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Downloads

(231,8 KB)

o. D. (März 1941)
(231,7 KB)

30. 3. 1941 (mit einem Zusatz von Malvine Mandl)
(342,4 KB)

o. D. (vermutlich April 1941)
(511,1 KB)

o. D. (vermutlich Mai 1941)
(260,2 KB)

26. 5. 1941
(389,7 KB)

12. 6. 1941 (mit einem Zusatz von Samuel Mandl)
(265,1 KB)

19. 6. 1941
(221,1 KB)

21. 6. 1941
(609,6 KB)

30. 7. 1941
(438,5 KB)

10. 9. 1941
(366,5 KB)

27. 2. 1942 (mit einem Zusatz von Frida Justitz)
(518,5 KB)
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