Am 13. Juli 2022 präsentierte die FPÖ Walter Rosenkranz als ihren Kandidaten für die
anstehende Bundespräsidentschaftswahl. Rosenkranz – mit der früheren freiheitlichen Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz nicht verwandt – repräsentiert das deutschnational-akademische Kernmilieu der FPÖ. Diesem ist er u.a. als Mitglied einer Burschenschaft (Libertas Wien), einer schlagenden Schülerverbindung (Jungmannschaft
Kremser Mittelschüler Rugia) und Vorstandsmitglied des Freiheitlichen Akademikerverbands
für Wien, Niederösterreich und das Burgenland verbunden.
2017 erhielt er die höchste Auszeichnung des Österreichischen Pennäler Rings (ÖPR), des Dachverbands der völkischen Mittelschulverbindungen. Libertas bewegt sich im Mainstream des österreichischen Burschenschaftswesens, stach aus diesem in den letzten Jahren allerdings durch überdurchschnittliche Kontaktfreudigkeit mit Medien hervor. Für ausführlichere Informationen zur Geschichte der Verbindung – einschließlich ihrer Auszeichnung einer neonazistischen Gruppierung 2009 für deren „volkstreue[.] Aktivitäten“ und „herausragende Taten im Sinne des national-freiheitlichen Gedankens“ – vgl. WKR-Imagekampagne.
Anders als so mancher Korporierte in Parteifunktion zeigt Rosenkranz sich dem Verbindungs- studententum auch praktisch verbunden, u.a. in Form von Vorträgen auf verbindungsstudentischen Veranstaltungen. Zum von Martin Graf (Olympia Wien) herausgegebenen Sammelband „150 Jahre Burschenschaften in Österreich“ (Graz: Ares-Verlag 2009) steuerte Rosenkranz eine Liste von „Burschenschaftern als Leistungsträger in Österreich“ in der Zwischenkriegszeit sowie einen Artikel über diese Periode bei, der eine in weiten Teilen apologetische Darstellung liefert.
Der studentische Antisemitismus jener Zeit wird als Reaktion auf die „überdurchschnittlich
viele[n] Juden“ unter den damaligen Studierenden rationalisiert, eine Sonderrolle der völkischen Verbindungen ebenso geleugnet wie die Einnahme hoher NS-Parteifunktionen durch Burschenschafter. Die Motive der burschenschaftlichen Hinwendung zum Nationalsozialismus reduziert Rosenkranz auf den Anschlusswunsch. Die erwähnte Liste wiederum basiert auf einer Festschrift des NS-Vizepräsidenten der Reichsbahndirektion Wien, Günther Berka (ebenfalls Libertas), von 1959. Anders als Berka verzichtet Rosenkranz in seiner Aufzählung von „Leistungsträgern“ auf die NSDAP-Gauleiter Hugo Jury und Friedrich Rainer, nicht aber auf Personen wie den Liberten Hans Stich, der als Generalstaatsanwalt am OLG Wien zahlreiche Todesurteile gegen dem NS-Regime missliebige Personen erwirkte, oder NS-Propagandisten
wie Mirko Jelusich und Hans Giebisch, die auch nach 1945 in rechtsextremen Kreisen verkehrten.
Seine politische Laufbahn begann Rosenkranz 1988 – zwei Jahre nach seinem Eintritt in
die FPÖ – als Gemeinderat in Krems sowie Bundesobmann (1988/89) der Freiheitlichen Studenteninitiative, die sich kurz darauf wieder in Ring Freiheitlicher Studenten umbenennen sollte. 1992 wurde er Jurist im Wiener freiheitlichen Landtagsklub, 1994 stieg er unter Obmann und Verbandsbruder Rainer Pawkowicz (Aldania Wien) zum Landesparteisekretär auf. 2008 zog er in den Nationalrat ein, dem er bis zu seinem Wechsel in die Volksanwaltschaft 2019 erhalten blieb. Die Obmannschaft der niederösterreichischen FPÖ übergab er in diesem Jahr an Udo Landbauer (ehemals Germania Wiener Neustadt).
Auch über das Korporationswesen hinaus zeigt Rosenkranz sich im deutschnationalen Lager fest verwurzelt. 2011 verfasste er einen Artikel für die rechtsextreme Aula („Widerstand gegen linken Zeitgeist heißt nicht Reformunwilligkeit. FPÖ als Bastion gegen reformpädagogischen Unfug“). Darin führte er aus, dass „die Begriffe ‚Elite‘ und ‚Disziplin‘ […] nicht als unzeitgemäß abgetan werden [dürfen]“, sondern „im Gegenteil gefordert und gefördert werden [müssen].“ Der von Rosenkranz erhoffte „Paradigmenwechsel“ im Berufsbild des Lehrers „würde bestenfalls den Lehrerberuf auch für unsere national-freiheitliche Jugend […] zu einer ernstzunehmenden Perspektive machen und damit letztlich auch endlich den Marsch der […] unsäglichen 68er-Generation durch die Institutionen egalisieren.“ (Die Aula Nr. 2/2011, S. 14)
Im selben Geiste referierte Rosenkranz 2017 unter dem Titel „Schickt die 68er endlich in Rente! Perspektiven einer konservativen Kulturpolitik“ für die Österreichische Landsmannschaft. 2012 empörte er sich über eine Broschüre zur Sexualerziehung und die darin ihm zufolge betriebene „ideologische Stimmungsmache“, wonach „natürlich gewachsene Familien zwischen Mann und Frau diskreditiert und dafür ‚lesbisch‘, ‚schwul‘, ‚hetero‘ und ‚trans‘ als vollkommen gleichwertig dargestellt werden“ (zit. n. Die Aula Nr. 12/2012, S. 25).
Im allgemeinen profilierte Rosenkranz sich allerdings, anders als etwa sein Parteiobmann,
über seine politische Karriere hinweg nicht als Mann der lauten Töne. Entgegen Kickls Nichtabgrenzungslinie ging er, angesprochen auf seinen Auftritt auf einer Identitären-Demonstration 2016, später auf vorsichtige Distanz zu dieser aktionistischen Manifestation des österreichischen Rechtsextremismus. Gemessen an den Ansagen des Parteiobmanns über die letzten Monate hinweg erscheint Rosenkranz in der Rolle des Präsidentschaftskandidaten als Verlegenheitswahl, kann aber auch als Signal an jenes national-freiheitliche Honoratiorenmilieu verstanden werden, das dem Kicklschen Krawallstil und Fundamentaloppositionskurs bislang skeptisch gegenübersteht.