Der erst kürzlich aus der Haft entlassene Neonazi-Kader Gottfried Küssel ziert, mit dem "Hitler-Balkon" am Wiener Heldenplatz im Hintergrund, die Titelseite der aktuellen Ausgabe der neonazistischen deutschen Zeitschrift N.S. Heute (Nr. 15, Mai/Juni 2019). "Lass Deinen Gedanken Taten folgen!" lautet Küssels titelgebendes Zitat, das angesichts seiner Vita als Drohung verstanden werden kann.
Die langjährige Führungsfigur des österreichischen Neonazismus erzählt im ersten - laut Angaben der Zeitschrift im März dieses Jahres geführten - Interview seit seiner Enthaftung im Jänner von seinem politischen Werdegang und seiner Zeit in Haft und nimmt zur "aktuelle[n] politische[n] Lage in der Ostmark" Stellung. (Ebenda, S. 16)
Das Verbotsgesetz bezeichnet Küssel als "völlig überzogene[s] Gesetz", das "in Wahrheit dazu verwendet wird, das System aufrechtzuerhalten". (Ebenda, S. 17) Gleichzeitig bezeugt er die Effektivität dieses Gesetzes in der Prävention neonazistischer Organisierung in Österreich: dass hierzulande keine Parteien wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) aktiv seien und "nationalistische Demonstrationen, wie man sie mit entsprechenden Versammlungen in der BRD vergleichen könnte", nicht vorkämen (so die Fragesteller), liege "ausschließlich am Verbotsgesetz". Während dieses Gesetz aber "Debatten in der Öffentlichkeit verhindern" könne, gelte selbiges nicht für Einstellungen und privaten Austausch, "und es finden sich immer Leute, die zusammen was machen können, und sei es nur, am 20. April Eiernockerl zu essen". (Ebenda, S. 23)
Über seine politische Sozialisation berichtet er, die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus habe ihn zunächst emotional erfasst und sei ihm "ein 'innerer Reichsparteitag'" gewesen. Später habe sich im Zuge dieser Auseinandersetzung eine weltanschauliche Orientierung entwickelt - "man bildet sich aus dem sehr ambivalenten und heterogenen nationalsozialistischen System eine Tendenz, die zwar im historischen NS fußt, die aber wahrscheinlich mit dem damaligen System nichts mehr gemeinsam hätte, weil sich die Zeiten nun mal geändert haben". (Ebenda, S. 18)
Seine Anfänge bei der Aktion Neue Rechte(ANR) in den 1970er-Jahren erinnert Küssel in nostalgischen Tönen. "Da sind wir schonmal auf die Uni gefahren und haben klargemacht, 'wie's hier läuft'. Wenn die Linken bei uns aufgelaufen sind, dann hat es Ärger gegeben - und zwar richtigen Ärger", beschreibt er die gewalttätigen ANR-Aktionen gegen politische GegnerInnen. Küssel bejaht, dass er 1980 für die FPÖ in Reichenau an der Rax zur Gemeinderatswahl kandidiert habe und mit dem damaligen FPÖ-Landesobmann von Niederösterreich [Harald Ofner, der drei Jahre später zum Justizminister avancierte] gut bekannt gewesen sei. (Ebenda, S. 18) Er sei aber "keine Sekunde" ein weltanschaulich überzeugter FPÖ-Anhänger gewesen. (Ebenda, S. 19)
Dass die von Küssel in den 1980er-Jahren gegründete Volkstreue außerparlamentarische Opposition (VAPO) entgegen ihrer ursprünglichen Losung "Alle machen mit und keiner ist verantwortlich" Kameradschaftsstrukturen ausgebildet habe, sei rückblickend ein Fehler gewesen, da diese Strukturen sie erst für behördliche Repression greifbar gemacht hätten. (Ebenda, S. 19 f.) Die Wehrsportübungen der VAPO seien "nur ein Spiel" gewesen, allerdings "definitiv mehr als nur ein Hobby". Es hätten daran auch Personen teilgenommen, "die aus dem Soldatischen" kamen und den Wehrsport "praktisch als Training genutzt" hätten. Der heutige Vizekanzler Österreichs, Heinz-Christian Strache, habe an den VAPO-Wehrsportaktionen nie teilgenommen. "Einige akademische Korporationen" hätten "parallel zu uns sowas Ähnliches gemacht, teilweise waren das Bekannte von uns, da war Strache auch mit bei". Kennengelernt habe er Strache, als dieser "etwa 14 war" (circa 1983). In den 1980er-Jahren habe der heutige Vizekanzler "für unsere damalige 'Ausländer-Halt-Bewegung' an Wahlkampfaktionen teilgenommen". Strache habe "nie unsere Blutgruppe gehabt, aber im stillen Kämmerlein hat er den großen Nationalsozialisten gespielt. Da gab es einige lustige Auftritte, über die will ich jetzt aber nicht reden, vielleicht brauchen wir das nochmal ...". (Ebenda, S. 20)