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Objekt des Monats

Objekte erzählen Geschichte

Hier finden Sie mit den Objekten des Monats unseren Neuzugang in der Dauerausstellung des DÖW. Monat für Monat werden wir Ihnen hier neue, unbekannte oder womöglich zu wenig beachtete Objekte und deren Geschichte aus unseren Sammlungen präsentieren. Hier erfahren Sie zudem die wichtigsten Hintergründe zu den Objekten und die Motive für deren Auswahl.

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Taschenmesser mit dem im April 1945 die Leichen der gehenkten Widerstandskämpfer am Floridsdorfer Spitz von den Laternen geschnitten wurden

Signatur: DÖW, M 185 

 

„Operation Radetzky“ – unter diesem Codewort bereiteten österreichisch gesinnte Wehrmachtsoffiziere um Major Carl Szokoll im Wehrkreiskommando XVII in den letzten Kriegstagen einen Aufstand in Wien und die kampflose Übergabe der Stadt an die Rote Armee vor. Sie wollten Wien das Schicksal von Budapest ersparen, wo die Kämpfe zwischen den nationalsozialistischen Besatzungstruppen und der sowjetischen Armee zur fast vollständigen Zerstörung der Stadt mit über hunderttausend Toten geführt hatten.

Anfang April 1945 war es gelungen, mit dem Oberkommando der 3. Ukrainischen Front in Hochwolkersdorf Kontakt aufzunehmen. Doch der Plan wurde verraten, bevor der Aufstand beginnen konnte. Major Karl Biedermann, Kommandant der Heeresstreife von Groß-Wien, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke wurden am 6. April verhaftet. Ein SS-Standgericht verurteilte die drei zum Tode. Dass nicht noch mehr Mitverschwörer sterben mussten, ist dem Mut und der Geistesgegenwart von Lotte Rohrer, Sekretärin von Szokoll und Verlobte von Huth (mit dem sie bereits kirchlich verheiratet war), zu verdanken. Als ein SS-Kommando in Szokolls Büro erschien, bot sie den Männern an, Tee zu kochen und verwendete zum Unterzünden in dem kleinen Kanonenofen Papiere, die der SS keinesfalls in die Hände fallen durften. Als das Telefon läutete, griff sie schnell zum Hörer, sprach ihren Chef mit „gnädige Frau“ an – Szokoll war dadurch gewarnt und konnte rechtzeitig untertauchen.

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Gestapo-Chef Rudolf Mildner beauftragte SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny, eine öffentliche Hinrichtung durchzuführen. Skorzeny ließ die drei Verurteilten nicht erschießen, wie Hinrichtungen von Offizieren ansonsten erfolgten, sondern am 8. April auf Kandelabern der Straßenbeleuchtung am Floridsdorfer Spitz aufhängen. Das Hinrichtungskommando leitete SS-Obersturmführer Franz Kleedorfer, der sich im besetzten Griechenland den Ruf als „Bluthund von Athen“ erworben hatte. Den dreien wurden Schilder mit der Aufschrift „Ich habe mit den Bolschewiken paktiert“ um den Hals gebunden – so sollten sie hängen bleiben. Doch sobald die SS den Ort der Hinrichtung verlassen hatte, schnitt Otto Picha die Gehenkten von den Laternen.

Über Picha ist wenig bekannt. Aus einem Schreiben an den Historiker Peter Black vom 17. Februar 1976 geht hervor, dass Picha vor 1938 Sportfunktionär in Linz war und im selben Haus wie der spätere Chef des Reichssicherheitshauptamts, Ernst Kaltenbrunner, wohnte. Picha berichtete, dass er nach dem „Anschluss“ nach Tschechien, dem damaligen „Protektorat Böhmen und Mähren“, übersiedelt sei. Dort sei er im bewaffneten Widerstand tätig gewesen – in einer von einem Oberstleutnant Kolenaty geführten Gruppe. Nach Zerschlagung der Gruppe und der Hinrichtung Kolenatys sei er 1941 nach Wien zurückgekehrt und habe hier bis Kriegsende im Untergrund gelebt. Die Hinrichtungen am 8. April 1945 erwähnte Picha weder in diesem Brief noch in dem Interview, das Peter Black am 26. Jänner 1977 mit ihm führte.

 

Wann Picha das Messer dem DÖW übergab, ist nicht bekannt. Die niedrige Nummer in der Sammlung der Museumsgegenstände (Nr. 185) lässt darauf schließen, dass das Messer relativ bald nach der Gründung des DÖW (1963) ins Archiv kam.

 

Autor: Winfried R. Garscha, Historiker

Fotos: Michael Bigus (Objekt), Daniel Shaked (Porträt)

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