Claudia Kuretsidis-Haider / Winfried R. Garscha (Hrsg.)
vergriffen
Leipzig - Wien 1998
488 Seiten
Der Sturz des NS-Regimes bedeutete kein "soziales Erdbeben". Eine "Abrechnung", die grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen bewirkt hätte, blieb aus. Insbesondere auf mittlerer und unterer Ebene der staatlichen Hierarchie blieben Teile der alten Eliten weiter im Amt. Dennoch herrschte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren europaweit - auch über die neuen Eliten hinaus - Übereinstimmung über die Ächtung der Verantwortlichen für NS-Terror und Kollaboration. Ausdruck dieses antifaschistischen Grundkonsenses in den europäischen Nachkriegsgesellschaften war unter anderem die allerorts eingeleitete Ausforschung und Verfolgung der Verantwortlichen für Kriegs- und Humanitätsverbrechen. Allein in Österreich hat die Justiz 137.000 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-TäterInnen eingeleitet, von den 28.000 Angeklagten wurden 13.600 verurteilt. Diese Ansätze für eine justitielle Bewältigung der NS-Verbrechen sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Daran hatte auch die Politik großen Anteil, die mit ihren Interventionen fast allen Verurteilten zu einer vorzeitigen Entlassung und Rehabilitierung verhalf. Was einer kritischen Minderheit im Gedächtnis blieb, waren die skandalösen Freisprüche der sechziger Jahre.
Doch Österreich stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar. Auch in anderen europäischen Ländern wurden die Hunderttausenden Gerichtsverfahren aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt. Erst der Krieg auf dem Balkan hat die Aktualität der Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder deutlich werden lassen.
Der Sammelband enthält über 30 Aufsätze zu historischen, juristischen, politikwissenschaftlichen sowie psychologischen Aspekten der Thematik