Erich Pultar, geb. 1909, Mitglied der Christlich-deutschen Turnerschaft Österreichs (zuletzt deren Obmann in Floridsdorf), des Freiwilligen Schutzkorps, der katholischen Studentenverbindung Norica und der Vaterländischen Front, Jusstudium, Auseinandersetzungen mit Nationalsozialisten an der Universität, Promotion 1935, Arbeit bei der Gemeinde Wien, März 1938 Beteiligung an Demonstrationen gegen den drohenden "Anschluss", Verhaftung am 13. 3. 1938, 1. 4. 1938 Überstellung in das KZ Dachau, Haftentlassung am 20. 9. 1938, Arbeit als Buchhalter bei einer Benzinfirma, Sommer 1940 Einrückung zur Deutschen Wehrmacht.
Jänner 1946 Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft, Beamter im Bundeskanzleramt und im Landwirtschaftsministerium, zuletzt als Sektionschef, 1976 Pensionierung.
Verstorben 1993.
Schuschnigg hat [die Volksbefragung] am Dienstag angekündigt. Wir vom CV haben [an diesem Tag] eine Veranstaltung gehabt, eben schon als Vorbereitung für die Volksbefragung. Da ist z. B. ein Bundesbruder von mir von den Nazis angeschossen worden. Ansonsten war natürlich die Stimmung so: Man ist in der Inneren Stadt, am Graben z. B., angestänkert worden, und wir haben natürlich auch, wenn einer "Heil Hitler" geschrieen hat, retourgestänkert, und sind von der Polizei verhaftet worden. [...] Schließlich haben sie uns zähneknirschend freigelassen. [...]
Die letzten Tage nach der Ankündigung der Volksbefragung waren sehr unruhig. Am Abend hat's in der Inneren Stadt schon überall gebrodelt. Da sind die Nazis mit LKW gefahren und haben "Heil Hitler" gebrüllt. Und es hat Gegendemonstrationen gegeben. Es war ziemlich sicher, dass es da hart auf hart gehen wird, das muss ich schon sagen. Drum war eigentlich die Absage [der Volksbefragung] meinem Empfinden nach eine Notwendigkeit, weil sonst hätte es damals wahrscheinlich schon Blut gegeben. Das wäre geflossen in großen Mengen, weil die Nazi haben genau gewusst, wenn die Abstimmung kommt, verlieren sie. Sie haben nur die besseren Kolonnen auf der Straße gehabt. Und dadurch haben sie den Anschein erweckt, als ob sie die Herren wären. Unsere Leute sind zu human gewesen. Aber bitte, 50 oder 60 Jahre später schaut manches anders aus.
Dann kam der "Anschluss" selbst. Ich war damals der Sekretär vom Leiter des Wohlfahrtsamtes, und hab' natürlich vertrauliche Akten in meinem Schreibtisch gehabt. Wie ich da am Samstag in der Früh ins Büro komm', sitzt da ein SA-Mann und begrüßt mich sofort mit "Heil Hitler". Er hat blöd geschaut, aber ich hab' mich hingesetzt und angefangen zu arbeiten. Er hat so verhungert dreingeschaut, dass ich mein Frühstücksbrot mit ihm geteilt habe. [...]
Dann hat es auf einmal geheißen, ich muss runter in den Hof, große Kundgebung! Da war auch der Vizebürgermeister [Fritz] Lahr, ein alter Heimwehrler, der ist auf einmal ein Batzennazi gewesen. Ich habe mir gedacht, wie mach' ich das jetzt, weil ich habe die Listen gehabt, wo sämtliche Fürsorgerinnen unter anderem auch politisch eingestuft waren, und habe es als meine Pflicht gesehen, die verschwinden zu lassen. [...] Aus dem Schreibtisch habe ich sie in die Aktentasche gegeben und bis nach der Kundgebung liegen gelassen. [...] Dann habe ich zu Hause alles säuberlich verbrannt. [...]
Am Montag in der Früh sind mein Vater und einer meiner Brüder geholt worden. (1) [...] Ich musste auf den Deutschmeisterplatz aufs Kommissariat nachkommen. Dort hat man mich sehr freundlich empfangen und sofort auf die "Liesl" komplimentiert. Ich bin in einer Zelle mit 36 Mann auf Strohsäcken gelegen. Auf einmal ist auch mein Bruder Walter in der Zelle gewesen. So haben wir dort einige Tage verbracht. Ich traf dann auch meinen Vater, der war in der Zelle nebenan. [...]
Dann haben sie uns am Abend [des 30. März] über die Stiegen hinuntergeprügelt in einen Gefängniswagen, der uns zur Westbahn gebracht hat. Dort sind nicht nur Polizisten mit Armbinden, sondern auch andere Nazi gewesen. [...] In den Waggons mussten die Hände schön auf den Knien liegen, gerade sitzen, geradaus schauen, ja nicht die Augen zumachen, auch nicht nach hinten anlehnen. Ein SS-Mann ist in der offenen Tür gestanden. Wenn einer eine Ermüdungserscheinung gehabt hat, dann ist er mit dem Gewehrkolben wieder munter gemacht worden. [...]
In Dachau angekommen, hat einer nach dem anderen antreten müssen, und bevor man noch hinuntersteigen hat können über die Stiegen, hat einem schon ein SS-Mann einen Tritt in den Hintern geben, dass man vom Waggon hinuntergeflogen ist. Ich habe mir gedacht, ich werde nicht fliegen, und habe einen Weitsprung gemacht. Der SS-Mann hat mir einen Arschtritt geben wollen, daraufhin ist er selber geflogen. Ich habe die Augengläser herunter gegeben und bin gerannt, gerannt, gerannt [...] und habe mich in die Reihe gestellt. [...] Das war der erfreulichste Teil des Eintritts in das Konzentrationslager Dachau; sechs Monate bin ich draußen geblieben.
Ich bin nie einvernommen worden, auch in Dachau nicht. [...] Mein Schwager hat einen Schulkollegen gehabt [...], der war bei der Gestapo. Dieser hat dann festgestellt, dass in meinem Polizeiakt gestanden ist: "Mitglied der Vaterländischen Front. Fanatischer Gegner des Nationalsozialismus."