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Heinrich Zeder: Wir haben halt zugewartet

Heinrich Zeder, geb. 1903 in Röschitz, 1927 Priesterweihe, Kaplan in Orth a. d. Donau (NÖ), ab 1931 in Wien, Mitglied der Christlich-deutschen Turnerschaft Österreichs, der Vaterländischen Front, des Cartell-Verbands; Seelsorger bei den Ostmärkischen Sturmscharen. Nach dem "Anschluss" Vorladung zur Gestapo, Kontakte zu Mitarbeitern der "Österreichischen Freiheitsbewegung/Gruppe Scholz", Haft vom 30. Juli 1941 bis 5. April 1943, anschließend Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, am 25. 2. 1944 vom Volksgerichtshof wegen "Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens" zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt, Strafe durch U-Haft verbüßt. 1944 amerikanische Kriegsgefangenschaft.

1946 Rückkehr, als Pfarrkaplan, Gefängnisgeistlicher und Rektor im Wiener Landesgericht und Erzbischöflicher Konsistorialrat tätig.

Verstorben 1985.

 

 

Ich habe den Einmarsch in der Schule erlebt - ich habe damals unterrichtet in der Kaufmännischen Fortbildungsschule [in Wien] am Karlsplatz. [...]

 

Die Nazi haben ja alle schon gewusst, wie die Situation steht. Denn die Buben, die bei der HJ [Hitler-Jugend] usw. waren - zuerst illegal -, die sind an diesem Nachmittag in der Schule schon mit weißen Stutzen herumgelaufen und, sehr siegesfroh, haben sich gegenseitig schon gegrüßt mit "Heil Hitler". Aber zum Ausbruch ist es dann gekommen so um ca. 16 Uhr, wo eine Delegation der Schüler aufgetaucht ist beim damaligen Abteilungsleiter, das war also ein Jude, Dr. Nohel hat er geheißen, als Lehrer und Pädagoge sehr gut. Und haben ihm gesagt, dass sie nun frei miteinander verkehren wollen, die Formationsangehörigen. Dann ist noch so ein SS-Jüngling [gekommen], der wahrscheinlich öfters sitzen geblieben ist, sonst wäre er nicht um die Zeit noch in die Schule gegangen, und hat nun gefordert, den Unterricht zu schließen, denn sie sind aufgerufen worden, hier mitzuhelfen beim großen Einmarsch. Alle haben gestutzt, keiner hat im Konferenzzimmer einen Atemzug gemacht, so überraschend kam das. Und der [Abteilungsleiter] hat klugerweise - was hätte er tun sollen? - den Unterricht geschlossen, etwas früher wie sonst. [...]

 

Und die sind schon marschiert, die haben sich schon gesammelt. Also die haben genau gewusst, der Einmarsch kommt bald. Dann sind wir natürlich nach Hause gegangen, und da habe ich zwei Sturmschärler getroffen von der Jugend, die haben die Abschiedsworte vom Schuschnigg schon gehört. Der eine hat richtig geweint: "Was tun wir jetzt?" Wir haben gesagt: "Passts auf, gehts rauf ins Heim. Schickts alle nach Hause. Wir können nichts mehr machen." Kämpfen hat der Schuschnigg auch verboten - [hat] also daher keinen Sinn. "Gehts alle nach Hause, und sprechts jetzt gar nicht viel mit anderen, bleibts alle zu Hause." So habe ich das erlebt, bin heimgekommen, habe dann Radio gehört und habe dann alles im Radio mitbekommen.

 

Also am Anfang war die Sache noch nicht so kritisch. Es ist einem natürlich schwindlig geworden, wenn man das Geschrei und den Jubel gehört hat. Es ist einem schwer ums Herz geworden, wenn man auf einmal gute Freunde mit Parteiabzeichen kommen gesehen hat. Wir haben halt zugewartet.

 

Am ersten Sonntag nach dem Einmarsch kam ein Kollege, ein priesterlicher, zu mir und sagte: "Du, wir wollen die Turner zusammenrufen." Ich habe gesagt: "Wozu?" - "Ja", sagt er, "ich möchte das mit ihnen besprechen, wie wir uns in Zukunft verhalten werden, denn du weißt ja, wer ich bin." Ich habe natürlich gewusst, dass er Nationalsozialist war. Habe ich gesagt: "Du, nein, du hast deine Mutter da in der Wohnung. Es ist einfacher, sie kommen zu mir." Das wollte ich nicht aus der Hand geben [...] Also sind sie nach der Kindermesse hier zusammengekommen. Dann kam der Kollege, Parteiabzeichen oben am Talar, und hat gesagt: "Liebe Turnbrüder, Freunde, ihr wisst, dass ich illegales Mitglied der nationalsozialistischen Partei bin, dass aber mein Deutschtum sehr euren Idealen vom Deutschen gleich, ident ist, und daher glaube ich, wäre es eine schöne Geste, wenn wir" - am Nachmittag am Sonntag war der große Aufmarsch dieser Formationen - "als Turner am Nachmittag geschlossen mitmarschieren würden." Er hat zuerst die anderen fragen wollen, aber ich habe gleich dreingeredet. Ich habe gesagt: "Ja, meinst du nun, dass wir in Turneruniform mitmarschieren sollten?" - "No, ob das empfehlenswert wäre, weiß ich nicht, aber man könnte es erwägen ..." Habe ich gesagt: "Musst du dann die Turnbrüder fragen." Einer, Berufssoldat, hat sofort gesagt: "Herr Kaplan, Sie werden verstehen, Sie haben lange Zeit gehabt, zu den Nationalsozialisten zu finden, aber wir nicht, wir können uns nicht von jetzt Vormittag auf Nachmittag umstellen und mitmarschieren. Das wäre ja irgendein Bekenntnis. Das müssten wir uns erst hart und bitter erringen. Also, Sie sind nicht böse, wenn wir das daher ablehnen und nicht mitmarschieren." Er hat wieder gesagt: "Ja, aber es würde vorteilhaft sein, denn diese Vereine, die werden vermutlich aufgelöst werden." Worauf - ich konnte mich nicht verwinden, ich habe von Deutschland ja alles gewusst, wie das vor sich geht - ich gesagt habe: "Die werden sowieso aufgelöst. Daher ist es gleich, ob wir am Nachmittag irgendwie mitmarschieren und uns bei den Leuten ins schlechte Licht rücken lassen oder ob wir eben nicht mitmarschieren. Also ich gebe dem Turnbruder Recht, wenn er sich nicht für fähig erklärt, hier einen Gesinnungswechsel so rasch zu vollziehen und mitzumarschieren." - "Na, wie ihr wollt. Es ist nicht meine Sache. Leiden werdet ihr vielleicht darunter müssen."

 

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