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Johannes Eidlitz: Spektakel mehr als genug

Johannes Eidlitz, geb. 1920 in Wien. Mitglied von Jung-Vaterland, Ortsjugendführer des Österreichischen Jungvolks bzw. des Freikorpsfähnleins "Helmuth Wenger". Dezember 1938 Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, 1941 wegen Krankheit (TBC) entlassen. Aufbau und Leitung des "Österreichischen Kampfbundes". Mitarbeit in der "O5", besetzte mit seiner Einheit im April 1945 das Polizeipräsidium am Schottenring.

Gründungsmitglied der ÖVP, Mitarbeit bei der Gründung katholischer Organisationen und der "Kirchenzeitung", außenpolitischer Redakteur der "Wiener Zeitung", der "Wochenpresse" und der "Presse", 1959-1967 stellvertretender Chefredakteur der "Presse", dann Cheflektor beim Verlag "Fritz Molden", Herausgeber von "Paneuropa".

Verstorben 2000.

 

 

In der Schaumburggasse [Wien-Wieden] hatten wir ein Lokal. Wir haben uns dort versammelt, und da wussten wir schon, jetzt geht es um die Wurscht. Wir waren eigentlich unter dem Eindruck, dass zunächst ein Bürgerkrieg ausbricht. An das Einmarschieren der deutschen Truppen haben wir, ehrlich gestanden, nicht gedacht, aber es wäre auch das schon Wurscht gewesen. Und so haben wir uns also bewaffnet und sind - etwa 50, 60 Mann, wir waren 18 Jahre alt - die Wiedner Hauptstraße hinuntermarschiert, mit dem Ziel Am Hof, wo das damalige Fronthaus [der Vaterländischen Front] gestanden ist. Dort sollten wir uns sammeln. Was immer man uns befohlen hätte, wir waren wirklich bereit bis zum Letzten. Von der Fanatisierung, die auch bei uns vorhanden war, kann man sich heute gar keine Vorstellung machen. [...]

 

Etwa in der Höhe des Resselparks stoßen wir auf eine Reihe Polizei, die heraufkommt und uns aufhält, ganz freundlich, und sagt: "Ja, was wollt ihr denn, wo wollts ihr denn hin? Wissts ihr denn nicht, dass die Volksabstimmung [gemeint ist die für den 13. März 1938 geplante Volksbefragung] abgesagt ist? Wissts ihr was? Wenn ihr gescheit seids, dann gehts nach Haus." Das ist so gewesen, dass wir geglaubt haben, die Welt stürzt ein. Wir sind also zurück in unser Heim, um den Hansl Becker [bis zum "Anschluss" Propagandaleiter der Vaterländischen Front] ans Telefon zu bekommen, der hat es uns bestätigt: Aus. Schluss der Vorstellung! Da hat dann der Schuschnigg im Radio geredet, aber da war ich schon zu Hause und habe die Radiorede gehört. Und wir sind uns eigentlich, ich, meine Freunde, meine Familie, wir sind uns klar gewesen, dass die Welt untergeht.

 

Es war sehr merkwürdig, denn um uns herum ist ein brausender Jubelchor gewesen. Nicht dass alle Menschen auf einmal Nazis geworden wären, sondern erstens haben die Nazis einen ungeheuren Wirbel gemacht, und das waren ja doch 20, 30 Prozent wahrscheinlich, und andererseits sind viele Leute, die bis dahin eher neutral gewesen sind und keine überzeugten Nazis waren, dann einfach mitgerissen worden. Diese Idee der deutschen Einheit - das eine große deutsche Reich -, das hat die Leute sehr beeinflusst, und sie haben einfach angefangen mitzujubeln. Außerdem - der Wiener ist immer dabei, wenn es ein Spektakel gibt! Spektakel hat es genug gegeben. Es hat Fackelzüge gegeben, Aufmärsche hat es gegeben, das deutsche Militär ist einmarschiert, die deutschen Panzer sind über den Ring gefahren. Es war wirklich Spektakel mehr als genug.

 

Dann, irgendwann in den Tagen, wo der Hitler kam - wir haben am Kärntner Ring 15 gewohnt -, erschien plötzlich der SD [Sicherheitsdienst der SS] und besetzte unsere Wohnung. Wir hatten noch solche alten Holzläden, und die mussten wir bei allen Fenstern schließen, durften dann aber doch auf den Balkon hinaus und zuschauen. Aber hinter jedem von uns stand ein SD-Mann mit einer MP in der Hand. [...] Ich habe also den Einmarsch von Hitler von meinem Balkon aus miterlebt. Die Leute sind völlig wahnwitzig gewesen, die Hysterie der Massen war unbeschreiblich. Ich habe so etwas seither nicht mehr erlebt. [...] Von der Einfahrt, vom Eingang bis hinauf in den vierten Stock ist alles überfüllt gewesen mit Verwundeten und Ohnmächtigen. Leute, die in diesem entsetzlichen Gedränge teils niedergetreten wurden, die teils vor lauter Aufregung in Ohnmacht gefallen sind. Das Schrecklichste war, das muss ich ehrlich sagen, das Geschrei der Frauen. Die weibliche Hysterie war ein unglaublicher Anblick. Ich werde nie vergessen, wie bis um 12 Uhr in der Nacht Mädchen unten standen. Und das ist, glaube ich, auch dem Hitler zu viel geworden, denn er hat die SS geschickt und die hat diese Mädchen vertrieben. [...]

 

Wir haben also diese paar Wochen des Schreckens überdauert, des Zögerns und des Nicht-Wissens, was wir tun sollen, und dann haben wir begonnen, uns zu sagen, wir müssen doch irgendetwas tun. Jetzt ist eine komische Stimmung entstanden. Vorher war es so, wir waren legal, und die anderen waren illegal. Jetzt hat man das Gefühl gehabt, jetzt drehen die den Spieß um. Jetzt sind sie die Legalen, und wir werden die Illegalen.

 

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