Ehud Nahir, geb. als Erich Nachheiser (Nachhäuser) 1918 in Wien, Aufwachsen im jüdischen Waisenhaus Probusgasse (Wien-Döbling), Schneiderlehre, Jugendführer des linkszionistisch orientierten Haschomer Hazair. April 1939 als Begleiter von Jugendlichen nach Palästina. Nach sechs Wochen Rückkehr nach Wien, in der Jugend-Alija (Organisation für die Einwanderung von Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren nach Palästina) aktiv. Ende 1939 Versuch von Pressburg/Bratislava aus per Donauschiff nach Palästina zu flüchten; die Fahrt von mehr als 1000 Juden und Jüdinnen endete Anfang 1940 im serbischen Donauhafen Kladovo. Etwa 200 Jugendliche erhielten kurz vor dem deutschen Überfall auf Jugoslawien (April 1941) Zertifikate (Visa) für Palästina, fast alle der übrigen jüdischen Gestrandeten wurden 1941 nzw. 1942 ermordet. Ehud Nahir begleitete im März 1941 eine Gruppe der Jugendlichen auf dem Landweg nach Palästina.
Der Haschomer Hazair ist nicht aufgelöst worden, wir mussten nur das Heim schließen. Nach einigen Wochen haben wir die Bewilligung bekommen, es wieder zu eröffnen, weil es der Auswanderung diente. Ich bin mit einigen anderen vom Hechaluz auf Hachscharah gegangen, auf Ausbildung, wir waren auf einem Gut in Großenzersdorf, das erst einem Juden gehörte, aber "arisiert" wurde. Der Besitzer, Rosenbaum hat er geheißen, der war nicht mehr normal. Wir haben unter Nazi-Aufsicht gearbeitet. Hauptsächlich beim Dreschen, dann bei der Kartoffelernte. Von frühmorgens bis zur Finsternis. Das Essen hat der Hechaluz bezahlt. Der einzige Vorteil war, dass wir mehr oder weniger gesichert waren. Der Ertrag unserer Arbeit ist selbstverständlich den Nazis zugute gekommen. Für sie war das billige Arbeit, wir haben die Ausbildung gehabt, und es hat eine gewisse Sicherheit gegeben.
Das war von Ende Juni 1938 bis November 1938. Gerade vor der "Kristallnacht" sind wir nach Fischamend auf ein Gut übersiedelt, und wir waren damals noch nicht angemeldet. Wir waren beiläufig zwanzig Leute. Unser Glück war, dass wir noch nicht gemeldet waren. Eigentlich hat niemand gewusst, dass wir dort sind, denn sonst wäre es sehr schlecht ausgegangen.
Also von November 1938 war ich in Fischamend bis Ende Jänner 1939. Dann hab' ich Lungenentzündung bekommen und bin nach Wien, da war ich im Stadtkibbuz, das war ein Kibbuz, also bei Leuten, die kollektiv gelebt haben. Das war nicht vom Haschomer Hazair, sondern das war vom Hechaluz, vom "Tcheleth-Lawan" [Blau-Weiß, zionistisch-sozialistischer Jugendverband]. Die haben alle Kranken von den Hachscharah-Lagern dort untergebracht. Ich war ziemlich schwer krank, und dann, ich war in der Leitung vom Haschomer Hazair, hat man mir gesagt, ich soll einen Jugendtransport nach Palästina begleiten. [...]
Die Hachscharah war eigentlich der Übergang bis zur Alijah [Auswanderung nach Palästina], bis zur Emigration nach Israel. Das hat manchmal sehr lang gedauert, und die Leute haben irgendeine Lösung zum Existieren finden müssen. Am 9. April [1939] sind wir von Triest mit einem schönen Schiff weggefahren. Es waren fünfzig Kinder darauf, nur österreichische. Wir sind mit dem Zug nach Triest gefahren. Es war sehr interessant. Es war so, dass die anderen, die noch geblieben sind, uns zum Südbahnhof begleitet haben. Es gibt ein hebräisches Lied "Schalom Chawerim, Schalom Chawerim, Lehitraot, Lehitraot" Das heißt "auf Wiedersehen". Das ist ein Lied, das haben sie gesungen. Ich war der Leiter von diesem Transport, plötzlich seh' ich, wie man die Waggons plombiert, und ein Kondukteur kommt zu mir und sagt: "Ich weiß nicht, was passiert ist, aber es ist etwas mit euch nicht in Ordnung. Im besten Fall werdet ihr längere Zeit an der Grenze untersucht werden, im schlechten Fall geht's nach Dachau." Ich hab' nicht gewusst, was ist, jedenfalls hab' ich allen Kindern gesagt: "Während der Fahrt, wenn ihr Gold habt oder irgendwas, werft es aus dem Fenster!" Denn das hat man nicht mitnehmen dürfen. Und mir selbst hat jemand in Wien eine goldene Zigarettendose mitgegeben, ich soll sie seinem Verwandten hier [Palästina] geben, und ich hab' sie auch aus dem Fenster geworfen. Und dann haben wir die Grenze ohne jede Schwierigkeit passiert. Nach einer Woche sind Wiener Zeitungen nach Palästina gebracht worden, und da ist gestanden: "Jüdische Rowdies beschimpfen den Führer." Anstatt "Lehitraot" haben sie verstanden: "Dem Hitler den Tod!"