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Rudolf Ekstein: Zweisprachig gelebt

Rudolf Ekstein, geb. 1912 in Wien. Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler, 1937 Abschluss des Philosophiestudiums, daneben Ausbildung als psychoanalytischer Pädagoge. Nach dem "Anschluss" Flucht nach Großbritannien, von dort im Dezember 1938 in die USA.

1947-1957 Menninger Foundation in Topeka, Kansas; 1957-1976 Reiss Davis Center in Los Angeles; Lehranalytiker in Kalifornien, insbesondere bekannt für seine Arbeiten mit psychotischen, autistischen und Borderline-Kindern, ab 1970 Gastprofessur an der Universität Wien. 1998 erhielt das Sonderpädagogische Zentrum für integrative Betreuungsformen in Wien die Zusatzbezeichnung "Rudolf Ekstein Zentrum".

Verstorben 2005.

 

 

1938 kam ich nach Amerika und lebte zuerst in einer kleinen Schule in New Hampshire als Psychologe und Lehrer. Das war eine Stelle, wo man eine Au-pair-Position hatte. Man konnte dort leben, aber nichts verdienen, lehren und sozusagen ernährt werden. Das hat zwei Jahre gedauert. Inzwischen gelang es mir, meinen Vater nach Amerika zu bringen, den einzigen Verwandten, den ich noch retten konnte. Die anderen Verwandten sind alle vernichtet worden. Man lebte in den ersten Monaten immer mit dem entsetzlichen Schuldgefühl, dass man selbst gerettet ist und andere Leute umkommen lässt.

 

Es war ein böser Beginn in Amerika. Am 22. Dezember kam ich an und am 23. musste ich wegen eines Ohrenleidens, einer Gleichgewichtsstörung, ins Spital gehen. Meine ersten Weihnachten waren in einem amerikanischen Spital, ohne Geld, mit der englischen Sprache, wie man sie halt in Wien in der Mittelschule gelernt hat, und ohne Aussichten weiterzukommen. So hat das Leben in Amerika begonnen. Das war in New York, und zum Glück haben uns aber Freunde, die in Wien zu Analytikern ausgebildet worden waren, Amerikaner, helfen können. In meinem Fall bestand die Hilfe darin, dass ich diesen kleinen Posten in New Hampshire bekommen hab. Mit diesen amerikanischen Kindern hab ich wenigstens Englisch gelernt, zwar nicht das Englisch, das man zum Schreiben oder zum Vortragen braucht, aber jenes, um Kinder oder Jugendliche zu verstehen. Ich hab mich auf diese Weise langsam in eine neue Welt eingelebt, die ganz fremd war.

 

Die Stadt, in der ich gelebt hab, Mount Vernon/New Hampshire, hatte ein paar hundert Einwohner, es gab eine kleine Kirche dort. Wenn man irgendetwas unternehmen wollte, z. B. mit den Kindern in ein Kino gehen, musste man in eine andere Stadt, denn in Mount Vernon gab 's nicht einmal ein Kino. Es gab nur einen kleinen Greißler, der gleichzeitig das Postamt war. Man war vollkommen isoliert, und ich erinnere mich an die Zeit, wo ich beim Einschlafen langsam mit mir Deutsch geredet hab, damit ich die deutsche Sprache nicht verlerne, was irgendwie merkwürdig für mich war. Als ich einmal nach Boston in ein Flüchtlingsheim kam, wo ich wieder deutschsprachige Menschen vorgefunden hab, konnte ich in den ersten paar Minuten nicht einmal Deutsch reden, bis mir die Sprache wieder zurückkam. Eine Sprache nebenbei, die, wie ich mir versprochen habe, ich nie wieder sprechen würde, denn das war doch die Sprache der Nazis. Langsam, als die Jahre vorbeigingen, hab ich mich natürlich erinnert, dass diese Sprache nicht die Sprache der Nazis war, die haben sie doch bestenfalls verhunzt, sondern dass es die Sprache von einem Goethe, einem Einstein, einem Freud usw. war. Ich hab dann die Sprachverbindung mit der alten Welt innerlich wieder aufgenommen und sozusagen zweisprachig gelebt, zwischen der einen Sprache und der anderen. Soweit die deutsche Sprache in Frage kam, hab ich auch zweisprachig gelebt, nämlich: soll es Hochdeutsch sein oder die Sprache der Kindheit, Wienerisch. [...]

 

Was in Amerika unglaublich war, war der vollkommene Verlust einer politischen Betätigung, und zwar deswegen, weil nichts in Amerika damals existiert hat, was meiner alten Jugendbewegung ähnlich war. Die beste Zeit meines Lebens hat mich an den Austromarxismus erinnert, an diese Bewegung, die nicht nur mit Politik zu tun hatte, sondern mit Kunst, Wissenschaft und all den Dingen, die wir damit heute verknüpfen. [...]

 

Ich entsinne mich dieses merkwürdigen Gefühls, welches ich hatte, als ich mich stellen musste, als Amerika in den Krieg ging. Es war so ein Doppelgefühl, ich muss jetzt in den Krieg, ich will ja in den Krieg, denn ich weiß, wofür man kämpft, und dann, als ich zurückgewiesen wurde, da ich ein chronisches Ohrenleiden hatte, hab ich zu weinen begonnen und sie gebeten, mich doch gehen zu lassen, damit wir wieder das alte Land zurückerobern können. Die sagten mir, das sei unmöglich, und dann ging ich weg - nach Hause - und wusste nicht, ob ich erleichtert oder betrübt sein sollte. Es ist schwer, ein Held zu sein. [...]

 

Es ist gar keine Frage, dass wir uns innerlich unglaublich am Krieg beteiligt haben. Als der Krieg dann geendet hat, erlebte ich die Siegesfeiern am Times Square in New York. Ich war zu der Zeit, als die Japaner den Krieg aufgegeben hatten, dort und entsinne mich an den Jubel der Bevölkerung, der jungen Matrosen und Mitglieder der Armee. Der Krieg war vorbei. [...]

 

Also, das erste Jahr habe ich natürlich überhaupt keinen Kontakt zu anderen Emigranten gehabt, ich war irgendwo in der "Wildnis" sozusagen. Später hab ich in Boston sogar einen Klub für "New Americans", "Neue Amerikaner", gegründet, damit die Neuankömmlinge langsam mit den Amerikanern bekannt wurden. Als ich nach Topeka kam, hab ich nur mit Europäern Kontakt gehabt, die dort angestellt waren. Die waren auch Analytiker. Der Kontakt hat existiert, und gelegentlich fuhr ich nach New York und hab alte Freunde getroffen, die mit mir aufgewachsen sind.

 

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