Alfred Kostelecky, geb. 1920 in Wien, Mitglied der Marianischen Studentenkongregation und der Katholischen Jugend, Kontakte zur Widerstandsgruppe "Eisen", 31. 7. 1938 Gestapoverhör, 7. 10. 1938 Beteiligung an der Jugendfeierstunde am Stephansplatz, Studium der Katholischen Theologie, Oktober 1940 Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, mehrere schwere Verwundungen, amerikanische Kriegsgefangenschaft.
November 1945 Rückkehr nach Wien, 1948 Priesterweihe, 1986 Ernennung zum Militärordinarius und Weihe zum Bischof, 1990 Titularbischof von Wiener Neustadt. Mitglied des DÖW-Kuratoriums.
Verstorben 1994.
Ich war nicht in politischen Organisationen, sondern in der Katholischen Jugend. [...] Nun, was haben wir getan? Eine Jugend, die empfindet wie ich, die katholisch ist und jetzt unter Beweis stellen will, dass sie daran festhält, hat Dinge gemacht, die offiziell verboten waren. Die erste Versammlung, die wir hatten nach dem "Anschluss", dem so genannten "Anschluss", der Okkupation Österreichs, zeigte, dass von den 180 Mitgliedern nur noch 70 den Mut hatten, überhaupt zu unseren Versammlungen zu kommen. Aber diese 70 - so waren wir uns einig -, die müssen um so intensiver [arbeiten]. Vielleicht ist das ja auch eine Handlungsweise, die den Jugendlichen gelegen ist, dass wir also beweisen, was wir können. Wir sind auch zu Generalkommunionen gegangen, unter der Woche, wo wir ja sonst nicht gegangen sind oder nur selten. Da haben wir ein Verständigungssystem aufgebaut, dass einer dem anderen durchsagt, und am Nachmittag wurde dann durchgegeben: "Morgen in der Früh um 6.30 ist heilige Messe mit Kommunion in der Canisiuskirche." Da waren also von allen Schulen Wiens welche dabei, und das hat funktioniert. Dann haben wir Vorsorge getroffen, dass die Schüler ein Frühstück bekommen, da haben wir Tee gekocht und organisiert, dass was zum Beißen auch da war usw. Das hat uns sozusagen zusammengeholt, also nicht nur, dass wir beweisen wollten, dass wir Katholische Jugend sind, sondern auch, dass wir uns unseren Zusammenhalt nicht stören lassen. Das hat aber mit der Zeit dazu geführt, dass die Gestapo auf uns aufmerksam wurde.
In unserer Studentenkongregation war dann eine Spezialtruppe, die auch Flugzettel [verbreitet hat], also hektographiert. Das war ja bescheiden, aber manchmal konnte man auf Umstände, die passiert sind, aufmerksam machen, auch solche Leute, die nicht ahnten, was die neuen Machthaber treiben. Da war der Alfred Ellinger der Hauptangeklagte des "Hochverrates", und wir waren mitangeklagt. Ich bin in der Causa dann auch am 31. Juli [1938] bei der Gestapo gewesen und hab das also erlebt, einen Tag lang, von früh bis um halb 5 Uhr abends. [...]
Nun zur Methode des Verhörs. Denn wir haben nach dem Krieg eigentlich, das war das Merkwürdige, wir haben über die Dinge gar nicht viel gesprochen, es war für uns gar nicht interessant. Interessant war für uns, unser Studium fertig zu bekommen und mit Genugtuung zu betrachten, wie der Wiederaufbau in unserem Land vor sich geht. [...]
Also es wurde einem zuerst einmal alles abgenommen. Papiere, man musste den Schein dort [Gestapo-Leitstelle Wien im ehemaligen Hotel "Metropole"] abgeben, Ausweispapiere, man hat das Taschenmesser verlangt, man hat uns richtig ausgesackelt, und dann konnte man hinaufgehen in den 3. Stock. Sofort ist einer herausgekommen und hat einen angefahren: "Na also, junger Herr Präfekt, wird ja interessant werden, was Sie wissen." Und dann ist er wieder verschwunden und hat warten lassen, stehend warten lassen. Kein Mittagessen, nichts, die Herren haben sich abgelöst im Verhör, und die ganze Zeit musste man frei stehen. Der Raum, als ich dann hineingerufen wurde, das ist mir alles so, wie wenn es gestern gewesen wäre, in meinem Kopf, da ist ein Kasten hinten bei der Tür gestanden, der war einen Spalt geöffnet. Und da sah man, da waren hineingestopft rot-weiß-rote Bänder, gelb-schwarze Bänder, eine Dollfuß-Büste, was halt bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt worden ist. Und dann ist es angegangen, das Verhör. Ich war präpariert vom Pater Berthold Hausmann, das ist ein deutscher Jesuitenpater, der sich zufällig in Wien aufgehalten hat zu dieser Zeit, der mit der Gestapo reiche Erfahrung gehabt hat und der die Verhörmethoden genau kannte. Wie wir in Kalksburg draußen waren [in Kalksburg fanden im Sommer 1938 "erweiterte Exerzitien" statt], hat er mich eines Tages zur Seite genommen und hat gesagt: "Du musst damit rechnen, ich mach dich darauf aufmerksam, du bist Präfekt, die werden dich holen. Denn was ihr da macht, das gibt es in Deutschland nicht. Und dass sich die das wochenlang gefallen lassen ... Da müsst ihr also vorbereitet sein." Und dann hat er mir einige Tipps gegeben. "Am Schluss machen sie ein Protokoll, dann musst du deinen Namen in die letzte Zeile hineinschreiben. Die sagen immer: 'Unterschreiben Sie!' und zeigen weiter unten, und dann schreiben sie allerhand dazu. Und wenn sie mit dir schreien, musst du auch schreien." Das war natürlich leicht gesagt. Ich war an sich - als 18-jähriger Bua - gut erzogen. Ich hätte mir nie erlaubt, mit einem Erwachsenen zu schreien. [...]
Das Verhör begann zunächst in sachlicher Art. Allerdings mit dem Ton der Ironie. "Also, junger Herr Präfekt, was wissen Sie von der illegalen Sache?" Und dann immer wieder dazwischen: "Na, tuan S' doch net a so, wir wissen do eh alles, der Ellinger hat doch alles gestanden." [...] Und dann war das also ein Herumfragen, der und der, lauter Leute, die mit dem Studium nicht fertig geworden sind, die man also jahrelang nicht mehr gesehen hatte, auf jeden Fall wusste ich nicht einmal, was die am 11. oder 13. März gemacht haben, wir haben keinen Kontakt mehr gehabt. Die haben alle angeführt, und mich über alle befragt, und da musste ich sagen: "Bitte, die gehören der Kongregation nicht mehr an, die haben ihr einmal angehört." Dann war ein gewisser Höhepunkt, dass plötzlich aus der Tür heraus ... Ich habe das nicht mitgekriegt, dass das eine Tapetentür war, ich habe das auch nie gesehen, eine Tapetentür, dass man das in den Hotels damals hatte. Plötzlich öffnet sich sozusagen die Wand, heraus stürzt jemand im weißen Hemd mit aufgestreckten Ärmeln. [Hubert] Jurasek hat mir dann nachher gesagt, das war der Herr Kriminalrat [Johann] Sanitzer. Ein Bua eines Döblinger Greißlers. Also ein Wiener mit einem Piefke-Dialekt, wie wir damals gesagt haben. Heute sagen wir das nicht mehr, heute sind wir wieder fein geworden. In seinem abgehackten Reichsdeutsch, in Augennähe, ich bin als zivilisierter Mensch nicht gewohnt gewesen, dass einer da auf Augenhöhe mich anbrüllt und mich fertig macht. "Sie haben hier die Wahrheit zu sagen, und wenn Sie die Wahrheit nicht sagen wollen, dann werden Sie sich das sechs Wochen auf der Elisabethpromenade [Polizeigefängnis Roßauer Lände] überlegen." Meistens sind die Verhöre, wie ich nachher von meinen Freunden [erfahren habe], in dem Augenblick - da war aber schon stundenlanges Verhör - so weit gewesen, dass dann irgendein kurzer Wortwechsel war und eine verlegene Antwort oder eine verschreckte Antwort, und dann hat 's geheißen: "Ab in die Elisabethpromenade!" Und nach sechs Wochen, ohne dass sie die Leute dort noch einmal verhört haben, einfach Überstellung ins Landesgericht. [...] Darauf habe ich zum Schreien angefangen und habe gesagt: "Ich bin mir voll und klar bewusst, dass ich hier die Wahrheit zu sagen habe, aber was wollen Sie eigentlich von mir. Ich kann nicht mehr sagen, als was ich weiß." Und kaum habe ich das gesagt, haben mir die Knie gezittert und habe ich mir gedacht, um Gottes Willen, was kommt jetzt? Und der lässt von mir ab [...] und beginnt mit mir eine Diskussion über die "unbefleckte Empfängnis". [...]
Sie sind fortwährend herumgekreist und haben immer darauf gepasst, um die Kernfrage zu stellen, wo sie einen treffen. Dann kam also die Kernfrage, wieder wiederholt: "Schauen Sie, tun Sie nicht so, es ist sinnlos, wir wissen alles. Damals hat Ihnen doch der Ellinger den Antrag gemacht zur Mitarbeit in der illegalen Gruppe." Das war diese Spezialgruppe, die die Flugblätter gemacht hat. Und in meinem Kopf ist sofort die Szene gewesen, wie der Ellinger mir den Antrag gemacht hat, und zwar war das Gymnasiumstraße/Ecke Michaelerstraße, da war ein Postamt, und wir sind bei dem Postkasten gestanden. Und ich hätte nicht mehr leugnen können. Er hat den Antrag gemacht, d. h., ich wusste von der Gruppe und habe auch Sachen nach Hause gebracht gehabt. Meine Eltern haben das gelesen und gesagt: "Bittschön, wir haben das gelesen, wir sind deiner Meinung. Aber gib das her, wir verbrennen das. Das könnte ja bei uns einmal gefunden werden." Die haben auch vorausgedacht. Also gut, jetzt ist diese Frage gestellt, und in dem Augenblick habe ich einen Schritt zur Seite gemacht und habe mich mit der Hand an der Wand gestützt. Das sind so Dinge, die unbewusst passieren. In dem Moment fangt er zum Brüllen und zum Toben an: "Sie haben hier keine Müdigkeit vorzuschützen! Sie haben gerade zu stehen! In der Mitte des Raumes!" und hat sich da alteriert und ausgeschleimt. Da war zunächst eine Pause im Verhör eingetreten, weil er hat mich ja sozusagen schon im Netz gehabt. Und dann sagt er ganz schalmeienhaft: "Na also, Sie erinnern sich doch, dass er Ihnen den Antrag gemacht hat zur Mitarbeit in der illegalen Gruppe." Und fügt hinzu: "Damals im Währingerpark." Und das war meine Rettung. Ich konnte spontan sagen, ich hätte nicht lügen können wahrscheinlich, ich hätte es nicht zusammengebracht: "Ich war nie in meinem Leben im Währingerpark." Da war er also frappiert: "Wieso können Sie das sagen?" - "Erstens, weil das nicht auf meinem Heimweg lag" [...] und zweitens haben mir das meine Eltern verboten." - "Wieso haben Ihnen das Ihre Eltern verboten?" - "Meine Eltern haben mir das verboten, weil sie gesagt haben, dort sind lauter Platten [Jugendbanden]." [...]
Nun hat er begonnen, Protokoll, Satz für Satz: "Seit meinem 13. Lebensjahr gehöre ich der Marianischen Studentenkongregation an", als ob das ein Verbrechen wäre. "Dieser gehören auch an: ...", und dann wurden Namen aufgezählt von solchen, die ihr angehört haben und von Leuten, die ich überhaupt nicht gekannt habe. Ich habe mich immer gewehrt: "Nein, den kenne ich nicht" - "Ah so, den kennen Sie nicht? Na, geh!" Und dann ist das Kompromiss herausgekommen, der hat nicht verzichtet auf die Namen, aber er hat dann nachgegeben und hat geschrieben: "Dieser gehörten auch an ..." [...]
Und dann habe ich in die letzte Zeile hinein unterschrieben. Dann war es noch nicht aus, denn auch das gehört zur Methode des Verhörs, der Ortswechsel. "Kommen Sie mit!" Er voraus, hinten auch einer, ich wusste nicht, wohin. Zwei Türen weiter, die sind dort hineingegangen, das war genauso ein Raum, und dann hat er wieder mit einer Hand Maschine getippt. Es war Stille, ich wusste nicht, was er tippt. Und dann: "Kommen Sie her, unterschreiben Sie da!" Und da ist gestanden: "Nach eingehender Belehrung nehme ich zur Kenntnis, dass ich jedes hochverräterische Treiben der Geheimen Staatspolizei sofort zur Kenntnis zu bringen habe. Im Übrigen verpflichte ich mich zu einer loyalen Stellungnahme zum nationalsozialistischen Staat." Nun, das Erste habe ich ja nicht bestreiten können, das ist Gesetz gewesen an sich. Aber: "Im Übrigen verpflichte ich mich zu einer loyalen Stellungnahme zum nationalsozialistischen Staat." [...] Vielleicht war ich übervorsichtig, aber auf der anderen Seite kann ich sagen, ich habe mich nie zu einer loyalen Stellung, nicht einmal zu einer loyalen Stellungnahme zum nationalsozialistischen Staat - auch denen gegenüber nicht - verpflichtet. Da habe ich gesagt: "Das unterschreibe ich nicht." Ach, das hätten Sie müssen sehen! Der ist aufgesprungen, wie ein Löwe ist er auf- und niedergerannt in dem Zimmer, und immer so knapp an mir vorbei, dass ich ausweichen musste, und hat gebrüllt und mich beschimpft. [...] Dann hat er das zerrissen, ganz demonstrativ in den Papierkorb gehaut. Also ich musste den Eindruck haben, jetzt geht es ab in die Elisabethpromenade. Zu meiner Überraschung ist er wieder hingegangen, hat er wieder getippt. Hat dasselbe getippt ohne den Satz. "Da kommen Sie her, unterschreiben S'!" Da war es halb fünf, da habe ich unterschrieben mit zittrigen Händen. [...]
Dann hat er unterschrieben, Entlassung durch den Besuchnehmer und die Zeit, und hat mir den [Zettel] gegeben. Ich bin die drei Stock hinuntergestürzt. [...] Unten habe ich das abgegeben, die haben mir meine Sachen zurückgegeben, auch mein Taschenmesser, und ich bin vom Hotel "Metropole" nur noch gelaufen, bis zur Station Schwedenplatz, habe mich nicht umgedreht. Wie ich ums Eck war, habe ich versucht, noch einmal so zurückzuschauen, und habe gesehen, es ist niemand hinter mir, und zu meiner großen Überraschung steht vor mir der Pater [Maximilian] Groß. Der hat den ganzen Nachmittag dort gewartet, ob ich komme.