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Antonie Lehr: Der erste Hoffnungsschimmer

Antonie Lehr, geb. 1907 in Czernowitz, 1914 nach Wien. Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Verbands Sozialistischer Mittelschüler, ab 1927 KPÖ. Nach Abschluss ihres Welthandelsstudiums Tätigkeit für die Rote Hilfe in der Sowjetunion. 1933 Rückkehr nach Wien, Betätigung für den Nachrichtenapparat der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Wien, Herbst 1934 nach Prag, später Paris, Widerstandstätigkeit in Frankreich ("Travail Anti-Allemand"). 1943 als Französin getarnt Rückkehr nach Österreich. Juli 1944 Festnahme, anschließend Auschwitz (September 1944 bis Jänner 1945) und Ravensbrück (Jänner bis April 1945). Von Ravensbrück Mitte April 1945 vom Roten Kreuz nach Schweden evakuiert.

1946 Rückkehr nach Österreich. Bis zu ihrem Ausschluss 1970 verschiedene Funktionen in der KPÖ. Journalistin im "Wiener Tagebuch".

Verstorben 1997.

 

 

Damals hatten sie im Gefängnis [in Wien] schon die ehemaligen österreichischen Kriminalbeamten zurückgeholt, die schon längst in Pension gewesen waren. Da waren einige darunter, die unerhört anständig waren, Beamte, die wirklich Antinazi waren und alles getan haben, um uns, mir persönlich, muss ich sagen, ihre Sympathie zum Ausdruck zu bringen. Ich habe natürlich am Anfang, wie ich so hergerichtet und auch moralisch vollkomen herunter war, überhaupt nichts essen können. Der Beamte hat mir das Essen reingestellt und hat mir immer zugeredet: „Essen Sie doch, Sie werden Ihre Kraft noch brauchen, Sie müssen sich zwingen, essen Sie doch was." [...] Es war auch eine Aufseherin da, die allerdings dienstverpflichtet war und die, wenn sie Dienst gehabt hat, mir immer aufgesperrt und mich zu sich ins Kammerl gerufen hat. Es war wirklich rührend, die Sympathie dieser Leute für uns zu spüren. Eines schönen Tages, ich war ganz allein, durfte keine Zeitung haben, durfte nichts lesen, [...] war ein furchtbares Geräume, und einer von den Wachleuten muss mir gesagt haben, dass ein Attentat auf Hitler verübt worden ist. Da habe ich mir gedacht, jetzt ist es aus, jetzt holen sie uns zur Hinrichtung. Aber ich war ja noch immer in dem Stadium, dass ich verhört wurde. Und da haben die Verhöre aufgehört bei mir. Dann war ich noch, ich weiß nicht, wie lange, in der Einzelhaft, und wie das Verhör dann zu Ende gewesen ist, haben sie mich eines schönen Tages geholt und ich bin in eine Gemeinschaftszelle, in die Judenzelle, gebracht worden. Das war für mich eine unerhörte Erleichterung. Erstens habe ich mir gedacht, jetzt habe ich das Schicksal aller anderen. So habe ich stündlich damit gerechnet, dass sie uns rufen, dass ich abgeholt werde. Ich hätte nicht einen Pfennig für mein Leben gegeben. Ich war sicher, dass wir alle erschossen werden. Aber so habe ich mir gedacht, jetzt kann ich vielleicht untertauchen in der Judenzelle. Und nachher haben die Frauen, die dort waren, ich war dann ja Vertrauensmann, gesagt, ich sei der erste, der einzige Mensch gewesen, der da lachend hereingekommen ist. Sonst haben alle Frauen wahnsinnig geweint, wie sie in die Zelle gekommen sind. Ich war die Einzige, die gelacht hat, sie konnten das überhaupt nicht verstehen. Aber für mich war das irgendwie der erste Hoffnungsschimmer. [...]

 

Da war schon klar, dass wir wegkommen, aber man sagte uns natürlich nicht, wohin. In der Nacht sind wir in Autos verfrachtet, auf die Bahn und in Gefängniswaggons gebracht worden, und da hat uns dann der Kriminalbeamte, der uns begleitet hat, gesagt, wir kommen nach Auschwitz. Der war aber auch sehr, sehr lieb zu uns. Dann hat sich herausgestellt, dass die Burschen im selben Waggon waren - nicht mein Mann, der ist ja nach Dachau -, aber die jüdischen Burschen, die auch nach Auschwitz gekommen sind. Und da hat er uns dann so aufgestellt, dass wir zusammenkommen. Wir sind draußen am Gang gestanden und haben uns unterhalten. Eine Stunde lang, dann mussten wir wieder in die Zellen. Wir sind die ganze Nacht gefahren, aber eigentlich ohne Unterbrechung. Wir sind in der Nacht in Auschwitz angekommen. Da hat man schon die Männer und die Frauen getrennt. Wir waren im ganzen fünf Frauen. Es war kein Massentransport; die hat es damals, Ende 1944, nicht mehr gegeben. Sie haben uns in eine Halle gebracht. [...]

 

Wir haben zwar gewusst, dass Auschwitz ein furchtbares Lager ist, aber das, was dort wirklich geschah, davon haben wir keine Ahnung gehabt. Wir haben uns in der Halle hingesetzt. Es hat geheißen, wir müssen die ganze Nacht hier bleiben, in der Früh können wir erst ins Lager reinkommen. Wie wir dort gesessen sind, ist ein junger Häftling vorbeigegangen, wie sich herausgestellt hat, ein Franzose. Ich habe ihn auf Französisch angesprochen und habe ihn ausgefragt, und nach kurzer Zeit hat er mir erzählt, er gehöre dem Sonderkommando an.

 

Bis wir um sechs Uhr in der Früh ins Lager reingekommen sind, hat er mir ununterbrochen erzählt, was in Auschwitz vorgeht. Das werde ich nie vergessen. Dann hat er gesagt, dass er ganz genau weiß, er verlässt dieses Lager nicht lebend. Denn die Leute aus dem Sonderkommando werden alle hintereinander erschossen oder vergast: "Ich kann dir nur eines sagen, in dieses Lager kommt man herein, aber hinaus kommt man nicht."

 

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