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Erich Bielka: Ich habe mich immer geweigert, irgendwo beizutreten

Erich Bielka, geb. 1908 in Wien, promovierte 1931 zum Dr. juris, 1935 Eintritt in den Außendienst, 1936 Versetzung an das Generalkonsulat München. Am 17. März 1938 in München verhaftet, am 19. April Überstellung in das KZ Dachau, dort bis August 1938 inhaftiert, Entlassung aus dem Staatsdienst. Vom 16. März bis 7. April 1945 neuerliche Haft.

Nach 1945 Wiedereintritt in den Staatsdienst, u. a. Botschafter in Ankara (1952-1958), Bern (1967-1972) und Paris (1972-1974), 1974-1976 Außenminister.

Verstorben 1992.

 

 

Am 8. August 1938 bin ich ganz unerwartet verständigt worden, dass ich das Konzentrationslager verlassen konnte, was immer mit der strengen Auflage, dass man ja nichts über das, was man gesehen hat, erzählen darf, erfolgt ist, und auch mit der Auflage, dass man sich am Wohnort bei der Gestapo die erste Zeit zu melden hat, zumindest einmal in der Woche. Ich bin dann zuerst ins Salzkammergut zu meiner Mutter gefahren auf ein paar Tage und von dort nach Wien, um mein Dienstverhältnis zu klären. Ich habe noch immer mein Gehalt bekommen und überhaupt nicht gewusst, wer ist meine Dienststelle oder bin ich entlassen, was geschieht mit mir. Ich bin dann nach Wien und war über die Zustände in Wien so entsetzt, dass ich mich entschlossen habe, wieder nach München zurückzugehen. [...]

 

Im April 1939 habe ich irgendwie den Eindruck gehabt, dass es doch unvermeidlich sein wird, dass ein Krieg kommt, nachdem also auch die Tschechoslowakei völlig unter die nationalsozialistische Herrschaft gelangte, ein demokratischer Staat, der auch nicht bewirkt hat, dass die Westmächte, die wesentlich mehr Garantien gegenüber diesem Staat eingegangen waren, reagiert haben, weil sie ganz einfach militärisch wahrscheinlich damals noch nicht dazu in der Lage gewesen sind. Aber für mich war kein Zweifel, dass bald ein Krieg kommen wird. Und ich wollte nicht in einer bayrischen Einheit einrücken und habe mich dann nach Wien zurückbegeben, habe auch versucht, irgendwie eine Beschäftigung zu finden; das war für einen Entlassenen aus Dachau unmöglich. Es wurde mir auch mein Reisepass abgenommen. Ich hatte gar keine Möglichkeit zu versuchen, ins Ausland zu gehen. Ich habe versucht, illegal mit Leuten in Vorarlberg Verbindung aufzunehmen. Ich habe dann nicht die Courage gehabt, so etwas zu riskieren; außerdem hätte ich gar nicht gewusst, wenn ich etwa in die Schweiz gegangen wäre, wovon ich dann dort hätte gleich leben können. Ich habe ja kein Vermögen gehabt. Blieb ich also in Österreich.

 

Wie dann im Herbst 1939 der Krieg ausgebrochen ist, habe ich natürlich schon Verbindungen angeknüpft, um zu schauen, wie man sich am besten durchschwindeln kann, wenn man wirklich einberufen wird. Mein Jahrgang ist dann, glaube ich, im Laufe des Jahres 1940 gemustert worden. Und da war schon damals ein grundlegender Unterschied in der Haltung der hiesigen Bevölkerung. Die ärgste Angst, die in dieser Bevölkerung im Sommer 1938 noch festzustellen war, war weitgehend gewichen, und [es war] ungefähr eine Atmosphäre, wie man sie in München angetroffen hat, wo man ja ohne weiteres, ohne je irgendwo mit "Heil Hitler" grüßen zu müssen, leben konnte. [...] Ich würde nicht sagen, dass diese Leute bekehrt worden sind. Diejenigen, die Nazi waren, und das war ohne Zweifel ein erheblicher Perzentsatz der Bevölkerung [...] die haben sich höchstens in ihren Hoffnungen [getäuscht], dass sie also jetzt, sagen wir, doch bevorzugt behandelt werden würden, dass sie gewisse Positionen bekommen könnten, die sie dann nicht bekommen haben, weil diese Posten halt besetzt waren durch Leute aus dem so genannten Altreich - die waren um ihre Hoffnungen gebracht und enttäuscht. Daneben hat 's natürlich die Angst bei vielen gegeben, die sich vorher überhaupt nichts zu sagen getraut haben. Ich habe das auch gesehen, wie ich nach meiner Entlassung aus dem KZ im Herbst 1938 gezwungenermaßen am Ballhausplatz [war], um zu schauen, wo man da seine Dienstsachen regelt. Wenn Leute gesehen haben, ich komm am Gang, sind s' rasch verschwunden, so quasi: Mit dem wollen wir nichts zu tun haben, es könnte uns schaden. Leute, die gar nicht Nazis waren. Ich habe einen einzigen ehemaligen Beamten, der kein österreichischer Diplomat gewesen ist, sondern im Außenamt als Beamter tätig war, getroffen, der, wie er mich gesehen hat, gesagt hat: "Ich hab' gehört, du hast viel mitgemacht, komm einen Sprung herein." Und irgendwie gefragt hat, wie es mir geht. Sonst haben sich alle geduckt, um einem nicht zu begegnen und etwas sagen zu müssen. [...] Der Portier, der mich von früher her natürlich gekannt hat, der hat mich nicht einmal gegrüßt. Man war wie von der Pest befallen, man wurde möglichst gemieden in diesen gewissen Kreisen. Natürlich, in Freundeskreisen war das etwas anderes. Aber sonst war schon eine ungeheure Ängstlichkeit in der Bevölkerung, nur ja nicht irgendwie unangenehm aufzufallen, aus Angst, dass einem dann sofort irgendetwas geschieht. [...] Das hat sich dann etwas gelegt. Es hat sich automatisch eine Widerstandshaltung gebildet, die nicht dadurch zum Ausdruck gekommen ist, dass man jetzt plötzlich Amokläufer gegen Nazismus geworden ist oder dass man irgendwelche auffällige Akte gesetzt hat, sondern dass man sich gegenseitig, wenn man gewusst hat, der ist auch dagegen, geholfen hat. Und so ist es mir auch ergangen.

 

Man hat mir dann gesagt: "Wenn du vermeiden willst, dass du beim Militär jetzt für dieses "Dritte Reich" kämpfen musst, solltest du dich melden für die Wehrmachtsverwaltung, da werden dringend Beamte, Verwaltungsbeamte, gesucht. Und die werden ausgebildet als Kriegsverwaltungsinspektoren." Und da haben mir Leute gesagt: "Da kenne ich jemanden, der würde das dann schon so machen, dass man nicht eine Erkundigung bei der Gestapo einzieht, die sonst erforderlich ist, so dass du da eventuell unterkommen könntest." [...] Und es ist mir dann auch in der Zeit, wo ich zum Militär einberufen wurde, gelungen, dort unterzukommen. [...]

 

[Ab 1941 war Erich Bielka als Kriegsverwaltungsinspektor in der Sowjetunion und in Frankreich eingesetzt. Nach dem Bekanntwerden seiner politischen Vergangenheit wurde er nach Wien zurückversetzt. Einem neuerlichen Fronteinsatz, nun als einfacher Soldat, entging er durch einen antinationalsozialistisch eingestellten Arzt, der ihn gv. H. (garnisonsverwendungsfähig Heimat) schrieb.]

 

Da kam ich nach Grinzing zu einer Einheit, die war Funkstelle für den Abwehrdienst von den Balkanländern und Südrussland. Das war unter einer Feldpostnummer, man war sozusagen bei einer Feldeinheit. [...] Dort wurde ich also hinversetzt, sollte funken lernen, habe aber mit Absicht, weil ich gewusst habe, die Gefahr besteht, dass man irgendwo eingesetzt wird als Funker, einfach gesagt: "Es tut mir Leid, ich verstehe das nicht. Ich bin mit meinen Nerven nicht genug beisammen, ich kann mich da nicht so konzentrieren." Nach mehrmonatigen Versuchen, mich zum Funker auszubilden, haben sie es dann aufgegeben und haben gesagt, ich soll in die Schreibstube gehen. [...]

 

Der Feldwebel war ein Prachtkerl, auch ein Riesengegner, ein alter Sozialdemokrat, Portier im Rathaus vorher, der ein Amateurfunker war und dadurch zu dieser Einheit, weil er ein hervorragender Funker war, hingekommen ist. Obwohl ich ihm nie etwas von Dachau erzählt habe, hat er sofort gewusst, wie der Hase läuft, und war immer riesig nett und war ganz entsetzt, wie eines schönen Tags [am 16. März 1945] von der Gestapo Leute kommen und mich verhaften. Das war nur darauf zurückzuführen, dass ein Halbbruder von mir in einer Widerstandsorganisation [mitarbeitete] [...] Ich weiß nicht, wie die geheißen hat, ob sie überhaupt einen Namen gehabt hat. Die ist aufgeflogen. Damals ist eine Unzahl von Leuten verhaftet worden, natürlich auch mein Halbbruder. Da haben sie wahrscheinlich nachgeschaut, was es da noch für Verwandte gibt, sind sie auf meinen Namen gestoßen, dass ich in Dachau war usw. Die haben ja genug Registraturen gehabt, um alle wieder ausfindig zu machen, und haben entdeckt, dass ich da bei dieser Einheit bin. [...] Ich habe gewusst von den Sachen, aber ich habe mich immer geweigert, irgendwo beizutreten. Weil ich gefunden habe, dass sich da früher oder später jemand von der Gestapo einzuschleichen versucht und dass das gar nicht notwendig ist, dass man irgendeiner Gruppe angehört, wenn man dennoch gegen das Regime [ist] in einer Weise, die nicht unbedingt sofort lebensgefährlich ist. Es hat ja gar keinen Sinn - wie alt war ich damals? 28 Jahre. Ich habe gewusst, das geht alles schief aus. Warum sollte ich mein junges Leben opfern mit irgendeinem dummen Attentat oder mit irgendeiner Aktion, die doch gar keinen Sinn gehabt hat. Das war meine Einstellung, vielleicht habe ich Unrecht. Und daher bin ich dieser Gruppe nicht beigetreten. Vielleicht ist auch im Adressbuch von meinem Bruder nur mein Name dringestanden, und sie sind so draufgekommen. Ich weiß das bis heute nicht. Tatsache ist, dass ich dort noch einmal verhaftet worden bin und das große Glück gehabt habe, dass ich im Gegensatz zu meinem Bruder, der auf den Morzinplatz gekommen ist, in die Roßauer Lände, in das Polizeigefängnis, gekommen bin. [...]

 

Ich bin nie vorgeführt worden während der Zeit. Die sind schon gar nicht mehr nachgekommen, es waren so viele Leute verhaftet. Ich habe lauter Bekannte in der Elisabethpromenade [= Polizeigefängnis Roßauer Lände] getroffen, die da in der letzten Zeit noch geschnappt worden sind. Der große Unterschied war der, dass die Häftlinge am Morzinplatz "evakuiert" worden sind nach Mauthausen, auch mein Bruder. Und den Häftlingen in der Elisabethpromenade ist das durch einen sehr geschickten Trick des damaligen Gefängnisdirektors [erspart geblieben]. [...] Er hat ungefähr eine Woche, bevor die Gestapo abgezogen ist, erklärt: Es ist Typhus ausgebrochen, und es darf keiner aus dem Gefängnis heraus und keiner hinein. Er hat also sozusagen eine völlige Sperre verhängt. Und wie die Gestapo und natürlich auch die Morzinplatz-Häftlinge weggezogen sind - das war zwei Tage, bevor die Russen nach Wien gekommen sind -, hat er die Häftlinge zusammengerufen, es waren ja überhaupt nur politische Häftlinge, und hat ihnen gesagt: "Ich werde euch morgen alle entlassen." Hat uns unsere Sachen, die uns abgenommen worden sind, wieder zurückgegeben, und wir sind entlassen worden.

 

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