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Franz Fragner: "Arbeit macht frei!"

Franz Fragner, geb. 1904 in Wien, Ledergalanterist. 1921 zur Sozialistischen Arbeiterjugend Hernals, ab 1923 Bezirksobmann, ab 1935 Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Erzieher (Kinderfreunde), 1926-1934 auch Rote Falken. 1934 zum Kommunistischen Jugendverband und Aufbau und Führung der illegalen Rote-Falken-Gruppen in Österreich, 1934/35 mehrmonatige Haft. Am 22. August 1939 im Zug einer Verhaftungsaktion gegen amtsbekannte politische GegnerInnen erneut festgenommen, vom 4. Jänner bis 31. Dezember 1940 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. März 1941-1945 Deutsche Wehrmacht, 1945-1947 sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Rückkehr nach Wien, 1947-1949 Leiter der Jungen Garde (Kinderland), ebenso 1955-1965, Obmann von Kinderland, 1969 Austritt aus der KPÖ. Ehrenamtlicher Mitarbeiter des DÖW.

Verstorben 1996.

 

 

[Wie die meisten KZ-Häftlinge ohne Gerichtsverfahren, nur aufgrund eines Schutzhaftbefehls, wird Franz Fragner 1939 bis Ende 1940 im KZ Sachsenhausen festgehalten.]

 

Am nächsten Tag sind wir nach Sachsenhausen gekommen. Wir mussten heraußen aussteigen und durch das Tor gehen; da ist gestanden: "Der Weg in die Freiheit führt über Disziplin" und "Arbeit macht frei!" Danach sind wir zum Aufnahmepavillon nach hinten gekommen, wo wir uns alle in Zweierreihen aufstellen mussten, ich in der ersten Reihe. Da geht ein SSler, Blockführer oder was er war, mit einem vierkantigen Prügel, schaut sich die Leute an, kommt zu mir, bleibt stehen und sagt: "Bist ein Jud?" - "Nein." Bumm! Habe schon eine über den Schädel gehabt. Sage ich: "Ich stamme von niederösterreichischen Weinbauern ab", hat er mir noch eine "gezunden" und ist weitergegangen. Das war meine erste Bekanntschaft mit der SS im Lager. Dann haben sie aus unserer Reihe einen Polen herausgerufen; den haben sie in die Baracke geholt, und da haben wir sie schreien gehört: "Wir werden dich schon lehren, die SS abzulehnen und über die SS zu schimpfen", und ein Gebrülle; der ist gar nicht mehr herausgekommen, der ist liegen geblieben. [...]

 

Mir und dem Pointner [Hans Pointner, nach 1945 Obmann des KZ-Verbandes Burgenland] ist es zwar gelungen, dass wir beisammenliegen, aber wir wurden gleich nach vorne gelegt. Und das war das Schlimmste, weil, wenn ein SSler hereingekommen ist, hat er sofort auf die ersten Betten geschaut, aber, Gott sei Dank, habe ich da keine Schwierigkeiten gehabt. Später, als es kalt geworden ist, war es dann grauenvoll. Man durfte nur das Hemd anhaben, alles andere musste man ausziehen, aber genau auf das Stockerl neben dem Bett hinlegen. Es ist auch nicht geheizt worden. Da hat man gefroren. Die Fenster waren so dick mit Eis bedeckt, man hat sich nichts anziehen dürfen, nicht einmal die Hose drüberlegen dürfen. [...]

 

Als wir noch keinem Arbeitskommando zugeteilt waren, sind wir auf Stehkommando gekommen. Alle Häftlinge, die nirgendwo zu einer Arbeit eingeteilt waren und daher im Lager geblieben sind, sind in einer leer stehenden Baracke zusammengekommen und mussten da während der ganzen Zeit stehen, in der die anderen bei der Arbeit waren. Wir haben den ganzen Tag, den Vormittag und den Nachmittag, stehen müssen, es durfte sich keiner niedersetzen. Es war auch nichts drin außer einem kleinen Tisch und einem Sessel. An dem Tisch ist der Kapo für das Stehkommando gewesen, auch ein Häftling. Es hat einen Häftling gegeben, der Böhm geheißen hat, das war ein Politischer. Er war der, der auf alles aufgepasst hat, und der mit einer unwahrscheinlichen Rücksichtslosigkeit dafür gesorgt hat, dass keiner sich auf den Boden gesetzt hat. Wie wir da so beieinander sind, so 40, 50 Leute, auf einmal gibt es ein Getümmel und ein Geschrei, weil ein Häftling einen anderen beschuldigt hat, er hätte ihm sein Brot gestohlen. Daraufhin hat der Böhm den angeblichen Brotdieb über den Tisch legen lassen, die Hose heruntergezogen und hat ihm mit einem Vierkantholz 15 über den Hintern gerissen, aber wie! Der ist natürlich liegen geblieben, hat geheult, schrecklich war das. Dann haben zwei Häftlinge halten helfen müssen, und nicht lang darauf war ein neuerliches Geschrei. Es hat sich herausgestellt, das war gar nicht wahr, der hat dem das Brot gar nicht gestohlen, und auf das hinauf hat er den Beschuldiger über den Tisch gelegt und hat dem 25 übergezogen. Das war der erste Eindruck vom Lager.

 

Mit uns ist ein hannoveranischer Bauer eingeliefert worden, ein 70jähriger Mann, groß, kräftig, richtig gesund und frisch. Der ist eingeliefert worden, weil er sich gewehrt hat, SSler bei ihm in seinem Hof einzuquartieren. Er hat gesagt: "Alle können kommen, Wehrmacht, alles, aber SS nehme ich nicht!" Daraufhin hat man ihn verhaftet und ins KZ gebracht. Da war er den SSlern natürlich ausgeliefert, und der große, kräftige Mensch war nach 14 Tagen tot. Jedes Mal, wenn wir in der Früh und am Abend zum Appell angetreten sind, ist er geprügelt, getreten und geschunden worden, gegen das Schienbein haben sie ihn getreten mit den Stiefeln. So haben wir richtig erlebt und gesehen, wie der immer weniger geworden ist, und zum Schluss mussten wir ihn schon hinaustragen, er konnte nicht mehr gehen. Ins Revier haben sie ihn nicht genommen, weil angeblich war er ja gesund. Dann haben wir ihn hinausgetragen; wie wir angetreten waren, ist er immer am Ende oder am Anfang vom Block gestanden, und da sind die vorbeigegangen und haben ihn noch getreten mit den Stiefeln, in den Bauch, in den Kopf, ins Gesicht, überall haben sie ihn getreten. Und nach 14 Tagen ist er gestorben. So haben die den systematisch erschlagen. Das war auch einer meiner ersten großen Eindrücke, die ich dort gehabt habe.

 

Natürlich haben wir eine illegale Arbeit dort gehabt. Der Pointner und ich sind später auch gleich eingeteilt worden zu einer Arbeit, zu einem Arbeitskommando, und da hat er mir richtig Unterricht erteilt über Theorie und Praxis der KP und über die Arbeit; er hat mir von seiner Tätigkeit erzählt. Dann hat er mir schon gesagt, dass da eine illegale Zelle ist, und ich habe gesagt: "Natürlich möchte ich mit dabei sein, ich gehöre ja eigentlich dazu." Da hat er gesagt: "Gut, einen wirst du kennen lernen davon. Es kennen sich immer nur drei." Und das war dann der Hein Mein, ein Seemann aus Hamburg, der heute noch lebt. Den habe ich gelegentlich gesehen, wir haben uns kennen gelernt, haben geredet miteinander, aber der richtige Kontakt bestand natürlich nur durch den Hans [Pointner]. Ich habe da von einer illegalen Tätigkeit im Großen und Ganzen wenig erfahren, ich war nicht in der Gruppe drin, die entschieden und Aktionen gemacht hat. Ich weiß nur, dass wir manches Mal irgendetwas unternommen haben. [...]

 

Ich wäre beinahe nach Auschwitz gekommen. Das war so: Eines Tages musste das ganze Lager antreten zur Selektion, da ist eine Auswahl getroffen worden für ein Aufbaukommando für Auschwitz. Und an dem Tag, das war der 18. Jänner 1940, musste das ganze Lager antreten. Es war ein bitterkalter Tag, und wir mussten draußen stehen bis um 4 oder 5 Uhr nachmittags. Da ist immer Block für Block gerufen worden und da haben sie dann die Leute ausgesucht. Das haben wir schon gewusst, dass da ein Transport ausgesucht wird. Der Pointner und ich haben uns ausgemacht, wo der eine hingeht, da geht der andere auch hin. Sonst haben wir uns so etwas nie ausgemacht. Als wir endlich dran waren, sitzt einer beim Tisch, ein Arzt oder was, dabei stehen noch ein paar SSler. Einer hat die Namen vorgelesen, der andere hat den angeschaut und hat gedeutet "dorthin" oder "dorthin". Und der Hans steht vor mir, und die deuten: "Dorthin!" und er geht dorthin. Und wie ich drankomme, deutet er: "Da her!" Ich war ja damals schon ziemlich mager und angegriffen, aber ich bin einfach nicht "da her" gegangen, sondern dem Hans nach. Das ist bei dem Durcheinander nicht aufgefallen. Die anderen sind nach Auschwitz gekommen. [...]

 

[Als Franz Fragner 1940 erkrankte, wurde er mit Hilfe der Häftlingsorganisation von der Klinkergrube zu einem Arbeitskommando bei der Metallfirma "Kaiser" in Oranienburg versetzt, wo die Häftlinge die Bestände einer Metallsammlung sortieren mussten. Dort waren die Arbeitsbedingungen etwas besser.]

 

Man durfte natürlich um Gottes willen nichts mitbringen vom "Kaiser". Aber nun waren Feuerzeuge sehr begehrt, die waren auch massenhaft drinnen, sowie verschiedene andere Sachen, und immer wieder hat es welche gegeben, die so etwas eingesteckt haben und mitgebracht haben ins Lager. Wenn wir aber ins Lager gekommen sind, so ist manches Mal eine Stichprobe gemacht worden, manches Mal auch nicht. [...] Eines Tages gehen wir nach Hause und SSler sagen, unser Arbeitskommando soll sich auf die rechte Seite vom Tor stellen, dort warten, sich ganz nackt ausziehen und die Klamotten vor sich hinlegen. Einer nach dem anderen wurde ganz abgesucht, sogar bücken hast du dich müssen und die haben dir in den Arsch hineingeschaut. Bei einem Zigeuner, dem Pepi, haben sie schließlich ein Feuerzeug gefunden. Daraufhin musste das ganze Kommando auf dem riesengroßen Appellplatz rollen, der mit Schlacke bestreut und gewalzt war. Wir rollen und rollen, hin und her, und mir war schon mies. Ich habe brechen müssen, habe aufgepasst, dass mir nur ja niemand in mein Gekotze hineinkommt, und bin dort liegen geblieben; der SSler ist vorbeigekommen, hat gesehen, dass ich gebrochen habe, hat mich liegen gelassen, nachdem er mir einen Tritt gegeben hat. Dann haben wir doch endlich aufstehen dürfen, schwarz wie die Rauchfangkehrer, und haben uns waschen können.

 

Dann haben wir bei uns im Lager ein Kommando gehabt, das berühmt-berüchtigt geworden ist, das so genannte "Schuhläuferkommando". Rund um den Appellplatz, einem riesigen Halbkreis, wurde eine Straße angelegt, die so alle 25 m mit einem anderen Belag versehen war: mit zum Teil ganz gewöhnlichem Sand, dann Pflaster, Makadam; alle Belags- und alle Geländemöglichkeiten wurden auf dieser Straße angelegt. Ein Kommando musste sich nun neue Schuhe anziehen und täglich acht Stunden lang über diese Straße marschieren. Die Schuhe waren verschieden gebaut, hatten verschiedene Sohlen, verschiedene Oberleder usw., sodass man erproben konnte, welche Art von Schuhen die wirtschaftlichste ist. Das war das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst: acht Stunden mit nagelneuen Schuhen, die dir oft gar nicht einmal richtig gepasst haben. Das war ein fürchterliches Kommando.

 

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