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Josef Paul: Der erste Transport

Josef Paul, geb. 1907 in Wien, Polizeijurist. Unmittelbar nach dem "Anschluss" von SA festgenommen, Entlassung aus dem Polizeidienst, mit dem 1. Dachautransport am 1. April 1938 in das KZ Dachau, am 27. September 1939 in das KZ Mauthausen überstellt, Entlassung am 10. Februar 1940. Dezember 1940 Einrücken zur Deutschen Wehrmacht, beim Militär wegen "kritischer Äußerungen" verwarnt. Amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Nach 1945 Wiedereintritt in den Polizeidienst.

Verstorben 1996.

 

 

Nach Vollendung des Jus-Studiums ging ich ans Gericht, hab 17 Monate Gerichtspraxis gemacht [...] Danach gelang es mir, einen Posten als Polizeijurist zu erlangen, und zwar habe ich angefangen am Polizeikommissariat Ottakring in der Hubergasse. [...] Zum Schluss war ich eben in Favoriten, und da hat sich dann herausgestellt, dass ich dort hinversetzt wurde, weil ich den Nationalsozialisten in Ottakring gefährlich war. Ich hab wiederholt einspringen müssen für Kollegen, die das zuständige politische Referat gehabt haben. Wenn sie krank waren, musste ich also einspringen, musste die Amtshandlung übernehmen. Und ich habe Erfolg gehabt, indem ich mit den kleinen Sündern, möchte ich sagen, gut gesprochen habe. Daraufhin gelang es mir, in die höheren Stellen hinaufzukommen, und das hat mir natürlich einen gewissen Hass eingetragen. [...]

 

Da waren aber außerdem zwei Verräter auf dem Kommissariat Ottakring, und zwar ein gewisser Dr. [Josef] Auinger, der das Zimmer neben mir gehabt hat, und ein Kriminalbezirksinspektor [Karl] Ammler, das dürfte der Hauptillegale gewesen sein. Die zwei sind meines Erachtens maßgeblich beteiligt gewesen, dass mich dann am 12. März 1938 um ca. acht Uhr früh aufgrund einer aufgestellten Liste vier bewaffnete SA-Männer aus der Wohnung geholt haben. Sie haben mich zuerst zum Kommissariat Ottakring gebracht. Der Dr. Auinger - das hab ich selbst gesehen - hat den Arrestzettel, also den Haftzettel, unterschrieben, und dann war ich unten, nur ganz kurz, in einer Zelle. Dann wurde ich in die Roßauer Lände [= Polizeigefängnis] transportiert.

 

Ich kam da zunächst in eine Einzelzelle. Das war so gegen Mittag. Und nachmittags ca. um drei, vier Uhr hab ich einen Zuwachs bekommen. Das war niemand anderer als unser späterer Bundeskanzler Figl. [...] Am nächsten Tag kamen schon vier andere dazu, wir waren dann zu sechst in einer Einzelzelle. Und das ging so über zwei Wochen, genau weiß ich das nicht mehr.

 

Dann sind wir zum Teil übersiedelt worden in das Gefangenenhaus der Gemeinde Wien in der Hahngasse [1938 bis 1945 in Sennhofgasse umbenannt]. Da haben wir größere Räume gehabt, und dort war ich dann bis Ende März. Am letzten Märztag wurden wir auf einmal rasiert usw., Fingerabdrücke wurden von uns gemacht. Danach sind wir gesammelt worden - wieder in andere Zellen - nach dem Buchstaben. Da haben wir gewusst, es geht irgendwohin. [...] Wir haben bald gemerkt, dass wir wahrscheinlich nicht nach Wöllersdorf gebracht werden - dorthin hätt man uns mit Autos hinausgeführt -, sondern dass es nach Dachau geht.

 

Und da sind wir am Westbahnhof angekommen. Dort stand schon die SS, die SS von der Dachauer Wachmannschaft, lauter junge Burschen, grobe Hunde, die uns gleich mit Gewehrkolben empfangen haben, mit Stiefeltritten usw., mit Faustschlägen ins Gesicht. Wir waren der erste Transport [...] Und da mussten wir dann zu sechst in Coupés sitzen, wo sonst vier sitzen, also ganz eng gedrängt. Das war in der Nacht, und wir mussten ständig ins Licht schauen. Bei der Türe stand ein SS-Mann mit einem Gewehrkolben; wenn einem die Augen zugefallen sind, hat man eine gekriegt. Musste man austreten gehen, hatte man schön zu melden: "Ich bitte gehorsamst, austreten zu dürfen." Dann ist man geschlagen hereingekommen. [...]

 

Beim Empfang war dieser [Hans] Loritz da, der war der Lagerkommandant. Er hat uns alle aufstellen lassen - 150 Österreicher waren wir -, einer musste vortreten. "Was warst du? Was hast du getan?" Andere Offiziere haben immer auf Befehl zu lachen, zu spotten angefangen. Na, so kam auch ich dran, sie haben mich auch ausgelacht, aber das wäre das Einfachste gewesen. Dann haben sie uns die Haare geschoren und wir haben das Sträflingsgewand gekriegt. Ich kann mich noch erinnern, ganz ein leichtes gestreiftes Gewand. Ich hab immer geglaubt, das ist zuerst einmal zum Schlafen. Im Block war nur Stroh aufgestreut. Dort haben wir uns hingelegt, und kaum dass wir geschlafen haben, haben sie die Tür aufgemacht und ein SS-Mann hat uns alle aufgeweckt, sich mit uns unterhalten, dann ist er wieder gegangen.

 

Und am nächsten Tag antreten. Dann ging es vor zum Jourhaus, das haben wir dann sehr oft gesehen. Da sind wir zum Arbeitskommando eingeteilt worden. Das Erste war einmal, dass wir Betonblocks händisch zertrümmern haben müssen. Dort war nämlich einmal eine Munitionsfabrik, und dieses Gebiet ist dem Lager angeschlossen worden, und da mussten wir diese Betonsockel zertrümmern. Dann haben wir eine "schöne" Arbeit gekriegt, wenn die keine Arbeit [für uns] gehabt haben: Da war ein großer Berg Humus, auf der rechten Seite, wenn man ins Lager gegangen ist, den mussten wir im Laufschritt auf die linke Seite und dann wieder von der linken auf die rechte Seite [bringen]. Da kann ich mich noch erinnern, bei dieser Arbeit kam ein SS-Offizier, und den [Wiener] Bürgermeister Schmitz, der auch dabei war, den hat er gerufen und hat gesagt: "Du, du wolltest die Arbeiterschaft bewaffnen? Die Zeitungen schreiben das." Und der Bürgermeister Schmitz hat gesagt: "Das ist eine Lüge." Darauf hat er eine schallende Ohrfeige gekriegt und: "Komm mit." Jetzt haben wir ganz schwarzgesehen für diesen Schmitz. Über eine Stunde hat es gedauert, bis er zurückgekommen ist. Nix ist ihm geschehen. Wir haben gefragt, was war. "Na, der wollt nur wissen, was wahr ist. Aber er hat gesagt zu mir: 'Du kannst vor den anderen nicht sagen, das ist eine Lüge.'" [...]

 

Einer der Ersten, der eine Lagerstrafe gekriegt hat, war Figl, der 25 über den Po gespannt gekriegt hat, weil er mit einem anderen über Österreich gesprochen hat bei der Arbeit. Wir haben dann auf der Plantage gearbeitet in großer Hitze, kann ich mich auch noch erinnern. Und da wurden dann Wasserkannen aufgestellt mit frischem Wasser. Aber wehe, wenn einer dort hingegangen wäre, der wäre glatt erschossen worden. Alles war im Laufschritt zu tun. Ich hab die SS immer schnell abschütteln können, weil ich war damals noch ein kräftiger Mann am Anfang. Da mussten wir diesen Schubkarren voll machen, und ich hab das noch zusammengetreten und noch was draufgegeben, und dann bin ich gerannt, recht fest gelaufen. Das hat den [SS-Mann] nicht interessiert. Der hat nur gesagt: "Der andere dort."

 

Und dann hab ich auch ein Erlebnis gehabt mit einem Kameraden, [Otto] Neumann, der auch ein Polizist war. Der war ein älterer Herr - damals schon hübsch gegen 50 -, und der musste einmal ... nachdem ich fest trab trab gemacht hab, kam er dran. Ich hab aber gesehen, der hält das nicht aus, der fällt um. Ich bin zu dem Posten hin und hab gebeten, dass ich für meinen Kameraden weiterfahren darf. Und da geschah ein Wunder: Der musste nicht und ich musste nicht. Das war einmal ein Mensch. [...]

 

Das war damals noch etwas besser in Dachau, es war noch nicht Krieg. Wir haben so genannte Pichelsteiner gekriegt, so Kartoffeln mit Walfischfleisch oder Bohnen usw. Und in der Kantine konnten wir noch Süßigkeiten kaufen, wenn einer Mark gehabt hat. Das war anders nach Kriegsbeginn, da wurde das gestrichen, da hat es nur mehr Zigaretten gegeben. Und in Mauthausen war es dann ganz arg.

 

Also, ich hab auch in Mauthausen im Steinbruch gearbeitet. Da mussten wir runter, immer 1000 Mann, und da haben wir über 100 Mann unten liegen gelassen an einem Tag. Kälte bis 24 Grad unter Null. Wir haben ja nichts angehabt wie das Sträflingsgewand. [...]

 

Ich kann mich noch erinnern, dass wir unten Folgendes erlebt haben: Da war ein Kamerad aus Ottakring, aus der Koppstraße, ich weiß den Namen heute nicht mehr. Es hat sich Folgendes abgespielt: Mittagspause, Abziehen. Das war eine halbe Stunde. [...] Jedenfalls wieder bei so einem Appell mittags: einer fehlt. Na, die Kapos müssen suchen und finden diesen Kameraden, der nebenbei bei mir in Mauthausen rechts oben mein Nachbar war. Der war aber schon früher bei mir und hat gesagt: "Du, Paul, heute komm ich dran", hat er gemeint zum Sterben. Da hat er auch recht gehabt, denn er war so matt. Den haben sie herbeigeschleppt und haben ihn vor den Sturmbannführer hingestellt. Der hat ihm einmal einen Schlag gegeben, dass er hingefallen ist, dann hat er ihn mit dem Stiefel in den Mund getreten, dass das Blut gekommen ist. Damit war es aus. So ist der Kamerad gestorben. [...]

 

Ich hab damals Durchfall gehabt, und ich hab gewusst, wenn ich mich da melde, ist es aus. Komme ich in die Isolierbaracke und nicht mehr heraus, weil die hätten gesagt, es ist Typhus. Und jetzt hab ich mir gedacht, was machst? Was machst zu Hause? Zu Hause nimmst du Tierkohle, so nennt man das. Ich hab Holz verkohlt und hab es gegessen. Und das hat mir geholfen. Wir haben ja immer nur Steckrüben gekriegt. Abendessen war - wir als Schwerarbeiter, Steinbruch - ein Drittel Wecken, diese Kommisswecken, und zwei Schöpfer, ein oder zwei Schöpfer Rüben, Steckrüben. Das waren aber meistens zwei oder drei Löffel Rüben, das andere war Wasser. Da hat man sich das Brot hineingebröckelt und hat es gegessen. Das war das ganze Essen.

 

So bin ich dann am 10. Februar 1940 entlassen worden. Und da weiß ich auch noch, dass wir einen gleich zurücklassen haben müssen. Wir wären fünf Mann gewesen, die entlassen wurden, wir waren drei Politische, zwei Deutsche. Da mussten wir vor dem Kommandanten antreten, der hat uns belehrt über die Freude, die uns zuteil wird, dass wir entlassen werden, dass wir mit "Heil Hitler" grüßen müssen und so. Dann haben wir unterschreiben müssen, dass wir niemandem etwas mitteilen über all das, was wir gesehen und erlebt haben. Und bei der Gelegenheit hat einer in die Hose gemacht. Der ist sofort über Befehl wieder zurückgekommen ins Lager. Na, der ist nie mehr rausgekommen.

 

Jetzt sind wir zu viert hinunter. Einer war so schwach - wir sind begleitet worden von zwei Reservisten, älteren Herren, SS-Leuten -, der ist gestürzt, hat sich die Nase wund geschlagen, da hat man das Nasenbein gesehen. Mich hat das gewundert, dass die den nicht zurückführen. Wir haben jeder ein Taschentuch oder was gehabt, haben wir ihm gegeben, dass er sich das vorhalten kann. Neben der Donau haben sie uns hinuntergeführt, nicht durch den Ort. Jetzt sind wir also zum Bahnhof gekommen. Dort hab ich eine Fahrkarte gekriegt von denen, und "Heil Hitler", dann hab ich in den Zug einsteigen können. Bin ich gefahren bis St. Valentin, dort hab ich einen Schnellzug gekriegt. Und das weiß ich noch, der war gesteckt voll, und die Leute haben alle gewusst, von wo ich komm. Denn die haben sich gegenseitig ereifert, mir Platz zu machen. Ich war ja damals über 30 Jahre. Aber die haben gesehen, der muss sitzen, der kann nicht stehen. [...]

[Nach Kriegsende konnte Josef Paul Einsicht in seinen NSDAP-Gauakt nehmen.]

 

Da hab ich Folgendes festgestellt, dass am 1. Juli 1939 die Gauleitung Wien über Eingaben von meiner Frau, meinen Eltern, die hab ich dort im Original vorgefunden in dem Akt, die Absicht gehabt hat, mich zu entlassen, also ich wäre normalerweise schon im Juli 1939 von Dachau nach Hause gekommen. Es wurde natürlich, wie das immer üblich ist, der Referent bei der Gestapo befragt, was er dazu sagt. Und da hat der Dr. [Othmar] Trnka [Othmar Trnka änderte seinen Familiennamen 1942 in "Trenker".] Folgendes mitgeteilt, schriftlich: Dr. Paul gehört zu den schwerst belasteten Polizeibeamten und ist erst mit der letzten Gruppe zu entlassen. So bin ich dort [in Dachau] sitzen geblieben, bin dadurch nach Mauthausen gekommen, sonst hätt ich mir Mauthausen erspart.

 

Es war dann aber noch einmal, und zwar am 6. Oktober 1939, die Gauleitung interessiert an meinem Fall, oder, was ich vermute, ob es nicht schon Berlin war. Und da hat der Dr. Trenker Antrag auf Verlängerung der Schutzhaft wegen gänzlich ungenügender Führung im KZ bekannt gegeben. Das geht hervor aus einem Schriftsatz, den ein gewisser Beamter [Wilhelm] Bock [Leiter der Abt. II der Gestapo Wien] an Berlin geschickt hat. [...]

 

Eine Sache vielleicht noch bezüglich der SS: also die konnten mit den Häftlingen machen, was sie wollten. Jeder konnte einen umbringen, hatte nichts zu verantworten. Und dann möchte ich noch einen besonderen Fall von Mauthausen erwähnen. Das war bald, so im Oktober 1939. Wir haben außerhalb des Lagers gearbeitet, also wieder Humus geführt und die üblichen Schaufelarbeiten geleistet. Da waren zwei deutsche Politische, die in der Nähe eines Postens, der auf so einem Gestell gesessen ist - schussbereit -, gearbeitet [haben]. Und die zwei sind geflüchtet, indem sie das Gestell umgeworfen haben. Der Posten ist runtergefallen; bevor er schießen konnte, waren die im Wald.

 

Aber die Leute waren ja im Sträflingsgewand, waren kahl geschoren, und die Bevölkerung hat fleißig mitgearbeitet, dass die womöglich erschlagen werden. Man hat sie bald erwischt und in eine Baracke reingesperrt, das hat vielleicht zwei Tage gedauert. Wir waren im Steinbruch wieder unten, mussten wir auf einmal einrücken. Sirene, alles einrücken. Im Wirtschaftshof in Mauthausen oben waren wir alle aufgestellt, und zwei Galgen waren aufgestellt. Da sind die zwei Häftlinge gekommen, gekrochen, gehen haben sie nicht mehr können, gestützt. Und die Lagerältesten, das waren auch Gefangene, mussten die zwei aufhängen. Der Kommandant hat noch verlesen: Über Befehl des Reichsführers SS Himmler sind diese hinzurichten. Also kein Gerichtshof, nichts. Die haben [sie] exekutiert, haben sie aufgehängt. Es war damals Winter, Schnee ist gelegen. Und wie die schon oben ganz steif gehängt sind, hat sich die SS erfreut, hat Schneeballen gemacht und hat die zwei Toten als Ziel verwendet.

 

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