Otto Skritek, geb. 1909 in Znaim/Znojmo, aufgewachsen in der Nähe von Hollabrunn. Angestellter. Mitglied des Zentralvereins der Kaufmännischen Angestellten, 1934-1938 illegale Arbeit als Gewerkschafter. Am 22. August 1939 im Zuge einer Verhaftungsaktion gegen amtsbekannte KommunistInnen und Revolutionäre SozialistInnen festgenommen, ab 13. April 1940 KZ Dachau, 10. November 1944 Einrückung zu einer Strafkompanie, Dezember 1944-1945 russische Kriegsgefangenschaft.
1945 leitender Sekretär der Sektion Handel der Gewerkschaft der Privatangestellten. Vizepräsident der Wiener Arbeiterkammer. Abgeordneter zum Nationalrat und Bundesrat. Mitglied des Vorstands des DÖW
Verstorben 1998.
Ich war am 12. Februar 1934 im Jugendsekretariat des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten. Gegen neun Uhr vormittags kommt die telefonische Meldung durch, in Linz wird geschossen, es ist zu einem Zusammenstoß zwischen Schutzbündlern und Polizei und Heimwehr gekommen. Ich verständige telefonisch Manfred Ackermann [Vorsitzender der Jugendabteilung des Zentralvereins], der in Kärnten bei einer Versammlungsreise ist. Um ca. elf Uhr vormittags erlosch das Licht, das war das vereinbarte Signal für die letzte große Auseinandersetzung. Nach einer Stunde wurde unsere Gewerkschaftszentrale in der Werdertorgasse von Polizei mit Stahlhelm und aufgepflanzten Bajonetten besetzt und geschlossen. Eine Schutzbundaktion im ersten Bezirk gab es nicht. Ich marschierte zu Fuß nach Ottakring, Straßenbahn gab es ja keine. Vor dem Arbeiterheim in der Kreitnergasse wurde bereits geschossen, man hörte auch Maschinengewehrfeuer. In meinem Gemeindebau, Pirquethof, in der Gablenzgasse, waren von der dortigen Schutzbundgruppe Gewehre verteilt worden, die später wieder eingezogen wurden.
Am nächsten Vormittag traf ich Genossen Ackermann und Leo Safran, einen Jugendfunktionär des Zentralvereins, in der Dienstwohnung des Genossen Pinz in den Hammerbrotwerken. Wir versuchten, Flugblätter herzustellen und zu verteilen, die zur Hilfe für die Schutzbündler aufriefen. Das war der erste Schritt zur weiteren illegalen Tätigkeit. Leo Safran, der als Vertreter der Volksbuchhandlung die Mandatare und Funktionäre von Partei und Gewerkschaft besuchte, vermittelte wertvolle Kontakte und Verbindungen. Sehr rasch gab es die illegale AZ [Arbeiter-Zeitung], die in Brünn hergestellt wurde, und Flugblätter. Wir versuchten, zuerst Verbindung mit den Betriebsräten des Zentralvereins der größeren Betriebe, die ja alle Genossen waren, herzustellen und sie mit diesen Zeitungen und Flugblättern zu beliefern. Eine Vertriebsstelle des aus der Č gelieferten illegalen Materials war bei Pepi Cmejrek, einem Hausbesorger in einem Haus in der Kärntnerstraße.
In dem Sekretariat des Zentralvereins hatte sich inzwischen die neu gegründete Einheitsgewerkschaft etabliert. Ihr Funktionärekader bestand aus christlichen und deutschnationalen Funktionären. Der führende Mann der christlichen Seite war Staud, von der deutschnationalen Seite war es der DHV[Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband]-Führer Prodinger. Beide Gruppen waren zur Zeit der Freien Gewerkschaften mitgliedsmäßig kleine Organisationen gewesen. Die Angestellten des Zentralvereins erhielten ein Kündigungsschreiben und teilweise das Angebot, in der neuen Gewerkschaft ihre Tätigkeit fortzusetzen. Fast alle Sekretäre schieden jedoch aus. Es war gesinnungsmäßig für einen Sozialisten nicht zu vereinbaren, einer faschistischen Zwangsorganisation zu dienen. Auf dem politischen Sektor hatte sich sehr rasch das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten gebildet, dem auch Ackermann angehörte. Das war in einem gewissen Sinne die Weiterführung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Auf dem Gewerkschaftssektor war es das so genannte Siebener-Komitee unter Führung des Genossen Mantler, das die Freie Gewerkschaftsbewegung illegal weiterführte. Daneben gab es eine von den Kommunisten gegründete und geführte Kommission zum Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften und zahlreiche kleinere Organisationen, deren bedeutendste der Autonome Schutzbund war. Sehr bald auch kam es zu Kontakten der illegalen Funktionäre aus dem Kreis der Angestelltengewerkschaften, die sich zu einer einheitlichen illegalen Organisation der Angestelltengewerkschaften, der so genannten FRAGÖ (Freie Angestelltengewerkschaft Österreichs), zusammenschlossen. Großen Anteil an dieser Entwicklung hatte Friedrich Hillegeist, der auch der Obmann dieser Organisation wurde. In der Sektion Industrie waren auch die früheren Jugendfunktionäre der Industrieangestelltengewerkschaft, Häuser und Hedrich, eifrigst tätig. Die FRAGÖ hatte Verbindung sowohl mit dem Siebener-Komitee des Genossen Mantler und der kommunistischen Wiederaufbaukommission. Ihre Funktionäre kamen sowohl aus der RS [Revolutionäre Sozialisten] als auch der KP. Als Vertreter der Handelsangestellten gehörte auch ich der Führung dieser Organisation an.
Nach einigen Wochen illegaler Tätigkeit wurde ich erstmals verhaftet. Ich hatte das Glück und wurde nach drei Wochen wieder entlassen. Ackermann, der zur gleichen Zeit verhaftet worden war, kam nach Wöllersdorf. Nach einer Pause setzte ich die illegale Tätigkeit sowohl in der RS als auch in der FRAGÖ wieder fort. Ich änderte meinen Decknamen von Benno auf Norbert. Die Parole auf dem gewerkschaftlichen Sektor war "Boykott der Einheitsgewerkschaft", womit der Aufbau dieser Organisation außerordentlich erschwert und verzögert wurde.
Als der zentrale Transportapparat wegen Verhaftung der Grenzgänger wieder einmal ausfiel, wurde ich ersucht, diese Arbeit zu übernehmen. Ich versuchte, die Zeitungen und Flugblätter auf legalem Weg nach Wien zu bringen, was mir als früherem Angestellten der Spedition nicht zu schwerfiel. Ich stellte zunächst fest, dass zum Beispiel Kreide zollfrei eingeführt werden konnte. Nun versuchten wir diesen Weg. Von einer Č-Kreidefirma kamen vier große Kisten Kreide nach Wien, die am Rande Kreide, in der Mitte Fluglätter und Zeitungen enthielten. Für die Zollabfertigung konnte ich einen früheren Kollegen meiner Speditionsfirma gewinnen. Die Kisten wurden in ein mit falschen Papieren gemietetes Kellermagazin transportiert, und von dort wurde das Material verteilt. Die Hoffnung, hier einen neuen dauernden Weg für den Transport der Zeitungen gefunden zu haben, erfüllte sich nicht. Bereits nach dem zweiten Transport teilte mir mein Speditionsfreund mit, dass ein Zollbeamter Verdacht geschöpft hatte. Beim tieferen Anbohren einer Kiste waren neben Kreide auch Papierfetzen herausgekommen. Der Versuch einer ähnlichen Aktion mit Gurken aus Znaim scheiterte, da die nötige Einfuhrbewilligung nicht zu besorgen war. Zum weiteren Vertrieb hatte ich noch zwei andere Lokale gemietet. Eines im so genannten Kleahaus, in dem sich die Gebietskrankenkasse befand, und eines in der Taborstraße im heutigen ÖMV-Haus. Die Häuser hatten einen starken Parteienverkehr, das ÖMV-Haus überdies noch zwei Eingänge, sodass man dort unauffälliger aus- und eingehen konnte. Diese beiden Lokale wurden später von der Polizei entdeckt. Ich hatte beide Lokale mit falschen Meldezetteln gemietet und konnte so einer Verhaftung entgehen. Später importierte man nicht mehr die fertige Zeitung, sondern nur mehr die Druckplatten. Der Druck wurde in Österreich durchgeführt.
Nach einer kurzen Pause wurde ich Leiter des Kreises 5 der Revolutionären Sozialisten. Das waren die Bezirke 15, 16, 17, 18 und 19. Organisationsleiter war damals Genosse Fleck, nach ihm Pav, der nach 1938 Nazispitzel und Agent provocateur wurde. Ich hatte die politische Tätigkeit der RS [Revolutionären Sozialisten] nach den Beschlüssen des ZK [Zentralkomitees] mit den Leitern der Bezirke zu organisieren. Im 15. Bezirk war Emmerich Wenger, im 16. Bezirk Karl Kysela, im 17. Bezirk Genosse Brosch, im 18. Bezirk Pfannenstiel und im 19. Bezirk Genosse Haas die Verbindungsperson zu den einzelnen Bezirken. Diese Tätigkeit übte ich bis zu meiner Verhaftung Ende 1937 aus. Da das Dollfußregime in der Bevölkerung und insbesondere in Wien nur geringe Unterstützung hatte, erleichterte dies die illegale Arbeit sehr. Im Beamtenapparat gab es noch Freunde von uns, Polizei und Justiz waren besonders von Nazis durchsetzt, gegen die Dollfuß gleichfalls zu kämpfen hatte.
Neben der Arbeit für die Revolutionären Sozialisten übte ich weiter meine Funktion in der FRAGÖ aus. Hier organisierte ich den Kontakt und die Materialverteilung mit den Betrieben des früheren Organisationsbereiches des Zentralvereins. In der Spedition war der Betriebsrat Strnad bei der Firma Schenker ein wichtiger Verbindungsmann. Er wurde nach 1945 öffentlicher Verwalter und später Obmann der Sektion Handel der Gewerkschaft der Privatangestellten.
Langsam hatte sich die Situation auch in der Betriebsarbeit geändert. Durch Druck wurden viele Betriebe veranlasst, der Einheitsgewerkschaft beizutreten, wobei auch frühere Betriebsräte der Aktionsbasis Mitarbeiter der Einheitsgewerkschaft wurden. Wir versuchten, durch die Forderung nach freier Wahl der Betriebsräte eine entsprechende Organisationsbasis zu finden. Die Betriebsräte mussten nämlich die Genehmigung durch die Vaterländische Front erhalten. Die Erfüllung dieser Forderung hätte einen echten Ansatzpunkt für den Wiederaufbau einer Freien Gewerkschaftsbewegung gegeben. Schuschnigg lehnte diese Forderung bis zu seinem Rücktritt im Jahr 1938 immer ab. Einen Widerstand gegen die Verschlechterung der Sozialgesetzgebung und sonstiger Sozialeinrichtungen konnte die Einheitsgewerkschaft nicht leisten. Zu den Gedenktagen der österreichischen Arbeiterbewegung, 12. Februar, 15. Juli, gab es meist größere Aktionen: Flugzettelstreuaktionen, Transparente, Versammlungen im Wienerwald. Zwischen dem ZK der RS und dem ZK der KP gab es Kontakte und Vereinbarungen bei solchen Aktionen. Als RS lehnten wir den Wunsch der KP nach Einheitsfront von unten, was eine Zusammenlegung der illegalen Organisationen bedeutet hätte, ab. In der Diskussion über Chancen und Ziele unserer Arbeit gab es zunächst die Diskussion über kurze oder lange Perspektiven. Einige Führer der Freien Gewerkschaften, darunter der ehemalige Zentralsekretär Schorsch, vertraten die Meinung, das Regime Dollfuß werde bald am Ende sein, vor allem wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und man würde die Arbeiterbewegung wieder zulassen müssen. Diese Meinung teilten wir nicht, wir rechneten damit, dass dieses Regime von längerer Dauer sein werde und vor allem freiwillig nicht abtreten werde. Trotz der Niederschlagung des Naziputsches im Juli 1934 wuchs der Druck des deutschen Faschismus auf Österreich ununterbrochen. Wir mussten fürchten, und brachten dies auch in unseren Flugblättern zum Ausdruck, dass das Regime Schuschnigg ins "Dritte Reich" und zum Krieg führen würde. Leider behielten wir recht. Ein von der illegalen Arbeiterbewegung unterstützter Versuch, die frühere Arbeiterbewegung in die Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus einzugliedern, scheiterte, weil Schuschnigg jedes Zugeständnis, zum Mindesten unseren Organisationen gewisse Grundfreiheiten zuzubilligen, ablehnte.