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Andrej Mitsche: Warten

Andrej Mitsche, geb. 1893 in St. Veit im Jauntal/Šentvid v Podjuni, Bürstenbinder und Organist. Unterstützung der Kärntner PartisanInnen. Seine Frau und seine Tochter gehörten den Kärntner PartisanInnen an, beide wurden im Jänner 1945 hingerichtet.

Verstorben 1989.

 

 

Ich war immer überzeugt: "Der Hitler verliert." Aber sagen konntest du das nicht, denn da war schon Krieg, da musstest du aufpassen, dass niemand etwas hört. Aber ein paar gab es, denen habe ich vertraut. Einer war Lehrer, der hat bei uns am Klavier gespielt, wir waren Freunde. Der war fest überzeugt, dass Hitler siegen würde, aber ich habe immer gesagt: "Nein, der Hitler wird nicht siegen." Ich wusste, dass er nicht alles einfach so besetzen konnte und alles würde ruhig bleiben. Die Franzosen haben ja auch einmal geglaubt, dass sie alles besetzen können, und sie haben es auch nicht ausgehalten. Zu viel Erde hatten sie und zu wenig Leute, um alle am Boden niederhalten zu können.

 

Es war dann diese Volksabstimmung, und hier in St. Veit stimmten sechs Leute mit "Nein". Die Nazis verdächtigten sofort den Pfarrer und die Nichte, die Köchin. Auf jeden Fall waren die Slowenen ordentlich eingeschüchtert worden. Alles war still. Die Gestapoleute rannten ja dauernd herum. Da traute sich ja keiner, etwas dagegen zu sagen. Der Druck wurde dann immer stärker, und nachdem Jugoslawien besetzt wurde, da plakatierten sie dann "Kärntner, sprich deutsch". Wir waren ja ganz still.

 

Wir hatten im Dorf auch einen Vertreter des Nazismus, so einen Ortsgruppenleiter. Das war ein Junger. Wir waren Freunde von früher, wir spielten Schach miteinander. Er war jeden Tag hier bei mir. Das war ja auch unser Glück; er hat meine Frau nicht verraten. Vermutlich weil wir uns gut verstanden. Meine Frau [Theresia Mitsche] war als bewusste Slowenin von Anfang an für die Partisanen eingestellt, aber angeschlossen hat sie sich der OF [Osvobodilna fronta - Befreiungsfront] erst 1943, da ist es bei uns erst so richtig losgegangen.

 

Meine Tochter [Theresia Mitsche jun.] war in Klagenfurt, dort am Bahnhof hatte sie eine Vertraute, mit der sie das Nötige organisierte und zu den Partisanen trug und umgekehrt. Sie hat später, nachdem sie von den Nazis verhaftet worden war, gesagt, wenn sie schwach gewesen wäre - die haben sie in der Gefangenschaft geschlagen, dass sie ganz blau war -, wenn sie nicht stark gewesen wäre, hätte sie an die 200 Leute verraten können. Aber sie hat niemanden verraten. Wir hatten einen deutschen Pfarrer hier in der Zeit, der gab den Partisanen Zigaretten und ließ sie im Pfarrhof auf dem Dachboden schlafen. 1942 hatten sie unseren alten Pfarrer nach St. Paul versetzt, und dann war der gekommen. Der war bis Ende des Krieges hier, Auer hieß er. Der war in Ordnung. Der erwähnte in der Predigt noch, als der Krieg zu Ende war, dass unsere Tochter viele gerettet hatte, weil sie niemanden verraten hatte.

 

1943 haben die Partisanen diesen Ortsgruppenleiter erschossen. Sie wollten bei ihm eine Hausdurchsuchung machen, aber er hat sofort geschossen. Er hatte immer gesagt, wenn die Partisanen kommen, dann stirbt er nicht allein, dann nimmt er einen mit. Er hat sofort geschossen, da haben die Partisanen zurückgeschossen und ihn halt erwischt. Es kam dann kein Neuer mehr, der Ortsgruppenleiter geworden wäre. Sie haben dann alles auf die Gemeinde hinunterverlegt, auch die Post. Auf der Gemeinde war auch einer, ein Jugoslawe Plajer, der mit den Partisanen zusammenarbeitete. Der musste dann zu den Partisanen fliehen, wie sie draufgekommen sind, dass er mit ihnen zusammenarbeitete.

 

Meine Frau war ja eine feste Slowenin. Sie trug den Partisanen das Mittagessen in den Wald hinauf. Dann kamen sie öfter und und blieben über Nacht oben im Zimmer. Später waren sie auch den Tag über bei uns, den Tag über, denken Sie nur, das Zimmer voller Partisanen, in der Werkstätte vier Gendarmen, wie schlecht es mir da gegangen ist. Wie stark ich sein musste, dass ich mich nicht mit den Nerven verraten habe, könnte man sagen. Vor dem Haus waren ein Apfelbaum und ein Tisch, da sind die Gendarmen gesessen, und die Partisanen haben beim Fenster auf die Gendarmen hinuntergeschaut. Einer von ihnen hat noch gesagt: "Wie leicht hätte ich alle da unten erschießen können." Das waren sehr angespannte Tage für mich: wenn einer draufgekommen wäre und die Gendarmen angefangen hätten, das Haus zu durchsuchen, das wäre schlimm gewesen.

 

Aber dann hat ein gefangen genommener Partisan alles verraten. Angefangen hat es auf der anderen Seite der Drau in Köttmansdorf beim Komar, dort wollten der Vater und sein Sohn die Partisanen über die Drau bringen. Sie häuften Stroh auf und die Partisanen legten sich darunter. Auf der Brücke war aber eine Kontrolle, und sie wurden erwischt. Einer hat sich gleich erschossen, aber den anderen haben sie erwischt, und der hat alles verraten, alles. Er hat verraten, dass unser Haus Partisanen unterstützt. Sie gaben ihm eine Menge Zigaretten und versprachen, dass ihm nichts passieren und er freikommen würde, wenn er alles erzählte, was er wüsste. Freilich erzählte er ihnen dann genau, wo sich unser Haus befindet und alles. Er wurde aber trotzdem getötet.

 

Dann sind sie die Tochter holen gekommen. Zwei Autos kamen auf einmal heraufgefahren, am 1. Juni um halb zehn, ein paar kamen herein und ein paar gingen hinten herum, und Gestapoleute waren da, und der Hauptmann Hofstätter. Die Frau war gerade im Garten. Die Tochter hatte früher einmal gesagt: "Sollten die Gestapo-Leute kommen, dann werde ich mich im Ofen verstecken." Aber sie hatte nicht das Glück. Sie war in der Küche, ich in der Werkstatt bei der Arbeit. Ein paar sind zu mir hinein. Die Tochter führten sie hinauf ins Zimmer, dort durchsuchten sie alles, was möglich war. Zwei Stunden waren sie hier. Um halb zwölf fuhren sie ab, mit der Frau und der Tochter.

 

Dabei hatten sie nichts gefunden bei der Durchsuchung, nur ein bisschen gestohlen hatten sie. Aus der Werkstatt nahmen sie das Radio mit, vom Dachboden das viele geselchte Schweinefleisch und den Zucker, der in einem Sack war, Würfelzucker. Und das Brot und die Schreibmaschine, die nahmen sie auch mit. Da war ich dann ein ganz Armer, und der Gendarm sagte zu mir: "Wenn Sie nicht blind wären, würden Sie mitgehen." [...]

 

Nachdem sie die Frau und die Tochter eingeliefert hatten, da musste ich alles zusperren. Sie verboten mir mein Handwerk und den Verkauf und schickten mich hinunter zu meinem Bruder. Den Schlüssel gaben sie dem Bürgermeister. Nach drei Tagen bekam ich ihn dann beim Bürgermeister wieder. Dann hieß es, ich dürfte keine Bürsten mehr verkaufen, weil ja eigentlich alles beschlagnahmt sei. Nach einiger Zeit kamen die Gendarmen wieder und sagten, dass ich wieder verkaufen dürfe.

 

Jeden Donnerstag ging ich sie besuchen, nach Klagenfurt zum Gericht. Dort war ein Besuchszimmer. Der Wächter war noch nett. Der hat so ein bisschen zu uns gehalten. Am Anfang war das so, dass er dabei war, später waren wir alleine, zuerst mit der Tochter, dann mit der Frau. Wir waren nie zu dritt. Ein einziges Mal waren wir alle drei zusammen, weil dieser Wächter so fein war. Ein feiner Mensch.

 

Der Frau haben sie dort ja nichts Besonderes angetan, aber die Tochter haben sie gemartert. Sie haben sie so geschlagen, dass sie gesagt hat: "Ich kann nicht liegen, aber auch nicht stehen."

 

Sie waren vom 1. Juni 1944 an im Gefängnis, am 6. Jänner 1945 wurden sie verurteilt; an diesem Tag wurden in Klagenfurt 20 verurteilt, viele davon, das hat mich ja so fertig gemacht, zum Tod. Und dann erfuhr ich, dass auch die Unseren zum Tode verurteilt worden waren. Das war ein harter Schlag für mich. Dann, am Montag, am 8. Jänner, haben sie sie nach Graz geliefert. Um vier Uhr in der Früh schon aus Klagenfurt weg. Damals fiel furchtbar viel Schnee und ich konnte nicht hin. Und ich habe sie nicht mehr gesehen. Da war ich dann so schlecht beinander. Am 11. Jänner bin ich nach Klagenfurt, sogar auf das bischöfliche Ordinariat, zu einem Kanzler, um mich mit seiner Hilfe an Hitler zu wenden. An Hitler. Denn dieser Kanzler war ein bisschen ein Nazi. Auch zum Gericht bin ich hin, dort hat man mich getröstet, dass ich noch drei Monate Zeit hätte, bis das Urteil rechtskräftig sei. Nach einiger Zeit, im Februar oder so, bekam ich aus Graz von einer Frau einen Brief mit der Mitteilung, dass sie noch lebten. Und einen zweiten, der den Eindruck erweckte, dass sie schon tot wären. Da habe ich dann zwischen zwei Stühlen gelebt. Das hat mir am meisten wehgetan. Einerseits dachte ich daran, wie sie dort litten, wenn sie so auf den Tod warteten, andererseits wären sie gerettet, wenn sie noch nicht getötet worden wären.

 

Im Februar und im März, da bin ich so draußen gesessen und habe den Vögeln zugehört, und mir hat das Herz wehgetan, es war, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, der Vogelgesang: eigentlich liebe ich Tiere, die Vögel, aber das Herz hat mir richtig wehgetan, ich war sehr empfindlich in der Zeit. Dann habe ich am 8. April das Schreiben aus Graz bekommen. Darin stand, dass sie am 8. Jänner um halb acht am Abend geköpft worden sind. Mir war dann viel leichter, als ich wusste, dass sie nicht mehr über den Februar und März hinaus gelitten hatten.

 

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